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BB 2011, 1
Schwalbe, Ulrich und Zimmer, Daniel 

8. GWB-Novelle - die Chance zur Modernisierung der deutschen Fusionskontrolle

Kartellrecht

Die Anfang August 2011 von Bundeswirtschaftsminister Rösler vorgestellten Eckpunkte für eine 8. GWB-Novelle sehen in Übereinstimmung mit dem im Oktober 2009 zwischen CDU, CSU und FDP geschlossenen Koalitionsvertrag eine Übernahme von "Elementen der europäischen Fusionskontrolle" in das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen vor. Hierbei soll das derzeit in der deutschen Zusammenschlusskontrolle verankerte Marktbeherrschungskriterium durch den sog. SIEC-Test ersetzt werden, der im europäischen Fusionskontrollverfahren seit 2004 den materiellen Entscheidungsmaßstab bildet.

Was wird sich - falls der Bundestag den Übergang zum SIEC-Test beschließt - ändern? Der Wortlaut des Untersagungstatbestandes wird modifiziert. Nach dem derzeit geltenden § 36 GWB hat das Bundeskartellamt einen Zusammenschluss zu untersagen, von dem "zu erwarten ist, dass er eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt ..." Demgegenüber stellt die europäische Fusionskontrollverordnung darauf ab, ob durch einen Zusammenschluss "wirksamer Wettbewerb ... erheblich behindert würde, insbesondere durch Begründung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung ..." Maßgebendes Untersagungskriterium wäre hiernach die "erhebliche Behinderung wirksamen Wettbewerbs" (significant impediment to effective competition, deshalb "SIEC-Test"). Allerdings bliebe die Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung, wie sich aus der Formulierung ("insbesondere durch ...") ergibt, ein - besonders wichtiges - gesetzliches Regelbeispiel.

Aus ökonomischer Sicht wäre ein Übergang vom Marktbeherrschungs- zum SIEC-Test aus mehreren Gründen zu begrüßen. Zum einen ist zu beachten, dass ein Zusammenschluss von Unternehmen bereits unterhalb der Schwelle der Marktbeherrschung negative Auswirkungen auf den Wettbewerb in Form höherer Preise, geringerer Produktqualität oder reduzierter Innovationstätigkeit haben kann. Ein klassisches Beispiel hierfür ist der US-Fall der beiden Hersteller von Babynahrung Heinz und Beech-Nut. Nach dem Marktführer Gerber mit einem Marktanteil von rund 65 % hätten die beiden Unternehmen, das dritt- bzw. zweitgrößte, nach dem Zusammenschluss einen gemeinsamen Marktanteil von ca. 33 % erreicht.

Supermärkte in den USA führten jedoch in der Regel neben den Produkten des Marktführers Gerber nur die eines weiteren Herstellers, so dass zwischen Heinz und Beech-Nut ein intensiver Wettbewerb um den 'zweiten Platz im Regal' herrschte, der durch den Zusammenschluss ausgeschaltet worden wäre. Dies hätte voraussichtlich höhere Preise sowohl bei den fusionierenden Unternehmen als auch beim Marktführer zur Folge gehabt - Ökonomen sprechen in diesem Zusammenhang von den nicht koordinierten Effekten eines Zusammenschlusses. Eine Untersagung des Fusionsvorhabens nach dem US-amerikanischen Kriterium des substantial lessening of competition, das im Wesentlichen dem SIEC-Test entspricht, erwies sich als unproblematisch. Mit dem Kriterium der Marktbeherrschung wäre eine Untersagung des Zusammenschlusses jedoch fraglich gewesen, da eine marktbeherrschende Stellung in Ansehung der Position des Marktführers weder begründet noch verstärkt worden wäre.

Zum anderen könnte ein weiteres Problem des Marktbeherrschungstests durch den Übergang zum SIEC-Test begrenzt werden. Der herkömmliche Marktbeherrschungstest nimmt den Umweg über die Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung und leitet daraus mögliche negative Auswirkungen auf den Wettbewerb ab. Dabei wird Marktbeherrschung in der Regel anhand der Marktanteile beurteilt. In vielen Märkten werden jedoch differenzierte Produkte gehandelt, die für die Abnehmer unterschiedlich gute Substitute darstellen, so dass Marktanteile hier nur von recht geringer Aussagekraft sind. Der Zusammenschluss von zwei Produzenten enger Substitute hat regelmäßig weitaus größere Auswirkungen auf den Wettbewerb als die Fusion von Unternehmen, die nur entfernte Substitute herstellen, auch wenn in beiden Fällen das fusionierte Unternehmen den gleichen Marktanteil aufweisen würde. Anders als der Marktbeherrschungstest stellt der SIEC-Test direkt auf die Auswirkungen eines Zusammenschlusses auf den Wettbewerb ab - und das ist das eigentliche Problem, um das es in der Fusionskontrolle geht.

Das Bundeskartellamt erscheint für einen Übergang zum SIEC-Test wohlvorbereitet. Es ist seit Juli 2007 mit einem der Grundsatzabteilung zugeordneten Team von Ökonomen ausgestattet. Eine Reihe von neueren Entscheidungen - vornehmlich solche zu koordinierten Effekten (Entstehung oder Verstärkung kollektiv marktbeherrschender Stellungen) - zeigen eine moderne Handschrift. Auch mit den durch einen SIEC-Test zu erfassenden nicht koordinierten Effekten wird das Amt umzugehen verstehen. In dem Entwurf eines "Leitfadens zur Marktbeherrschung in der Fusionskontrolle", den das Amt am 21.7.2011 zur Konsultation auf seine Webseite gestellt hat, finden nicht koordinierte Effekte allerdings noch keine Berücksichtigung. Dies dürfte sich daraus erklären, dass das Amt der Einführung des SIEC-Tests durch den Bundesgesetzgeber nicht vorzugreifen vermag.

Professor Dr. Ulrich Schwalbe (li.), Institut für Volkswirtschaftlehre der Universität Hohenheim Professor Dr. Daniel Zimmer (re.), Institut für Handels- und Wirtschaftsrecht der Universität Bonn und Mitglied der Monopolkommission
 
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