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BB 2024, I
Morich 

Bilanzierung von Power Purchase Agreements: Wie reagieren die International Financial Reporting Standards (IFRS) auf Erneuerbare Energien?

Abbildung 1

Die vorgeschlagenen Änderungen an IFRS 9 sind ein wichtiger Schritt hin zu entscheidungsnützlichen Informationen über PPA.

Power Purchase Agreements (PPA) – erfreuen sich in den letzten Jahren steigender Beliebtheit, erfüllen sie als oftmals langfristige Stromlieferverträge doch auch eine Finanzierungsfunktion. Eine zunehmende Relevanz ist insbesondere im Kontext von Erneuerbaren Energien zu erkennen, wo hohen Investitions- niedrige Betriebskosten gegenüberstehen.

Die große Vielfalt an Vertragsausgestaltungen erschwert die Definition verschiedener Arten von PPA. Ein typischer Versuch in der Abgrenzung besteht zwischen physischen PPA und virtuellen bzw. synthetischen PPA, bei denen die physischen von den finanziellen Stromflüssen entkoppelt werden.

Die IFRS-Bilanzierung bestimmter nicht-finanzieller Verträge nach den Maßgaben für Finanzinstrumente ist seit jeher Gegenstand intensiver Diskussionen. Im Zentrum der Debatte: die sog. Eigenbedarfsausnahme – Own-use-Exemption – nach IFRS 9.2.4. Bereits mehrfach beschäftigte sich u. a. das IFRS Interpretations Committee (IC) in den vergangenen zwei Dekaden mit dieser Regelung. Es war somit nur eine Frage der Zeit, bis derartige Fragestellungen auch zu PPA den Standardsetzer in London erreichten. Im Frühjahr 2023 war es soweit: Eine IC-Eingabe monierte u. a., dass es bei physischen PPA aus erneuerbaren Energiequellen wesensimmanent sei, dass die abzunehmende Strommenge schwankt und diese Menge nicht notwendigerweise dem Bedarf des Käufers zu jedem Zeitpunkt der Erzeugung entspricht.

Konsequenterweise befand das IFRS IC im Juni 2023, dass die Vorgaben in IFRS 9 keine angemessene Grundlage bieten, um die Bilanzierung für einige physische PPA in einheitlicher Weise zu bestimmen. Der International Accounting Standards Board (IASB) folgte der Empfehlung zur Ansetzung eines eng begrenzten Standardsetzungsprojekts. Schnell zeigte sich, dass auch virtuelle PPA wegen ihrer bis dato weitgehend unstreitigen Bilanzierung eines Contract for Differences als Derivat ähnliche Herausforderungen bereitstellen.

Mit dem IASB ED/2024/3 “Contracts for Renewable Electricity” gibt es nun ein konkretes Zwischenergebnis. Der am 8.5.2024 vorgelegte Exposure Draft (ED), der bis zum 7.8.2024 kommentiert werden kann, versucht, mit beiden Arten von PPA umzugehen. Eine gesonderte (Nicht-)Behandlung unter IFRS 9 sollen demnach nur solche PPA erfahren, bei denen die Quelle der Stromerzeugung von der Natur abhängig ist und der Käufer im Wesentlichen dem gesamten Mengenrisiko ausgesetzt ist.

Die Eigenbedarfsausnahme kann dann für physische PPA unter bestimmten Voraussetzungen (neben der Exposition zu Preis- und Mengenrisiken u. a. auch ein Mindermengenausgleich im Zeitablauf) beibehalten werden. Wenngleich sich im Detail hier noch Nachschärfungsbedarf für den finalen Standard zeigt (wie etwa die sehr einengend anmutende Bezeichnung als “pay as produced”), sind die Klarstellungen zur Verwendung der Eigenbedarfsausnahme zu begrüßen. Erste Rückmeldungen aus der Unternehmenspraxis zeigen, dass eine exakte Abgrenzung aufgrund der Vielfalt der Verträge nicht einfach ist. Gleichzeitig ist dem IASB auch zuzugestehen, dass ein allzu weiter Anwendungsbereich das Risiko für unbeabsichtigte Bilanzierungsfolgen erhöht.

Darüber hinaus sieht der ED auch Änderungen im Hedge Accounting für physische und virtuelle PPA vor. Demnach dürfte zukünftig auch ein variables Volumen an erwarteten Stromlieferungen als Grundgeschäft designiert und unter Verwendung der gleichen Mengenannahmen bewerten werden, die für das Sicherungsinstrument verwendet werden. Auch diese Regeln sind zu befürworten, behandeln sie doch ein wesentliches Problem beim Effektivitätsnachweis.

Positiv hervorzuheben ist neben der hohen Reaktionsgeschwindigkeit des IASB dessen konzeptionelle Begründung für die vorgeschlagenen Standardänderungen über das Informationsbedürfnis der Adressaten. Zwar leisten PPA auch einen wesentlichen Beitrag zur Energiewende, woraus der Bilanzierungsmethode so manche Anreizfunktion zugesprochen werden könnte; für die Finanzberichterstattung sollten jedoch weniger behavioristische Argumente als vielmehr die Bereitstellung entscheidungsnützlicher Informationen im Vordergrund stehen. Das ist dem IASB gelungen.

Indes ist dieses Spannungsfeld im konkreten Fall der PPA auch gar kein Widerspruch. Vielmehr wird deutlich, dass als Derivate eingestufte PPA zum beizulegenden Zeitwert, gehebelt über Faktoren wie Unsicherheit, Laufzeit und Marktpreisentwicklung, teils erhebliche Volatilitäten erzeugen können, die nicht notwendigerweise im Geschäftsmodell des Stromabnehmers verständlich erscheinen. Eine Bereinigung derartiger Effekte durch die Kommunikation zusätzlicher Ergebnisgrößen außerhalb der Primärbestandteile wäre kein gutes Zeichen für die Qualität der Rechnungslegungsgrundsätze.

Andererseits ist zu konstatieren, dass die Änderungsvorschläge konkrete Ausnahmetatbestände zu einigen Grundprinzipien des IFRS 9 schaffen. Insofern mag es angebracht sein, zunächst eine regelbasierte Standardanpassung vorzunehmen und zu einem späteren Zeitpunkt die Prinzipien in einem separaten Projekt zu überprüfen und ggf. weiterzuentwickeln.

In vielen Fällen wird die Art der Verträge, die Unternehmen abschließen können, durch die Gestaltung und Funktionsweise des Strommarkts bestimmt. Der IASB räumt im ED selbst ein, dass die beiden Grundtypen von physischen und virtuellen PPA wirtschaftlich sehr ähnlich sind, obwohl ihre bilanzielle Einordnung bis auf Weiteres unterschiedlich bleibt. Die US Generally Accepted Accounting Principles (US-GAAP) sind hier einen Schritt weiter. Vielleicht haben wir damit ja schon einen Kandidaten für die nächste Agendakonsultation des IASB.

Prof. Dr. Sven Morich, WP/StB, ist Vizepräsident und Leiter des Fachausschusses Finanzberichterstattung des Deutschen Rechnungslegungs Standards Committee e. V. (DRSC), Mitglied des Financial Reporting Board der European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG), Vertreter im Accounting Standards Advisory Forum der IFRS-Stiftung sowie Professor an der University of Europe for Applied Sciences, Berlin.

 
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