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BB 2018, I
Hugger/Pasewaldt 

Bundesverfassungsgericht erlaubt Auswertung sichergestellter Unterlagen aus Diesel-Untersuchung durch Rechtsanwälte

Abbildung 1

Abbildung 2

Das Bundesverfassungsgericht hat der Staatsanwaltschaft München II nach über einem Jahr nun die Auswertung von Unterlagen und Daten erlaubt, die im März 2017 bei einer Durchsuchung des Münchener Büros der US-Kanzlei Jones Day sichergestellt wurden. Jones Day hatte für Volkswagen zu der so genannten “Diesel-Affäre” eine interne Untersuchung durchgeführt. Die Erkenntnisse daraus hat Volkswagen zwar in die Verhandlungen über eine Verständigung mit US-amerikanischen Strafverfolgungsbehörden im Januar 2017 einfließen lassen, die unter anderem eine Geldstrafe von 2,8 Milliarden US-Dollar an das Department of Justice (DOJ) zum Gegenstand hatte. Den parallel ermittelnden deutschen Strafverfolgungsbehörden wollte Volkswagen diese Erkenntnisse aber nicht mitteilen. Die Staatsanwaltschaft München II hat daraufhin die Münchener Büroräume von Jones Day durchsucht und dort 185 Papierordner und elektronische Daten zu der Untersuchung sichergestellt.

Volkswagen, Jones Day und drei Rechtsanwälte der Kanzlei wollten eine Auswertung der sichergestellten Unterlagen und Daten zunächst mit ordentlichen Rechtsbehelfen beim Amtsgericht München und Landgericht München verhindern, hatten damit aber keinen Erfolg. Ihre Verfassungsbeschwerden führten im Juli 2017 allerdings zu einem Teilerfolg. Damals hat das Bundesverfassungsgericht der Staatsanwaltschaft mit einstweiliger Anordnung eine Auswertung vorerst untersagt und sie angewiesen, die sichergestellten Unterlagen und Daten bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerden versiegelt beim Amtsgericht München zu hinterlegen. Noch im Januar 2018 hat es diese zunächst auf sechs Monate befristete Anordnung um weitere sechs Monate verlängert.

Am 6. Juli 2018 hat das Bundesverfassungsgericht nun die Verfassungsbeschwerden abgewiesen und einer Auswertung der sichergestellten Unterlagen und Daten zugestimmt (BB 2018, 1673 ff. mit BB-Kommentar Behr [in diesem Heft]). Begründet hat es das insbesondere damit, dass Volkswagen weder im Recht auf informationelle Selbstbestimmung noch im Recht auf ein faires Verfahren verletzt sei. Dabei hat es darauf abgestellt, dass das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft München II, in dem die Durchsuchung und Sicherstellung erfolgt sind, nicht zur Konzernmutter Volkswagen geführt wurde, die Jones Day beauftragt hat, sondern zu einer ihrer Gruppengesellschaften. Nach seiner Auffassung soll es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sein, wenn Fachgerichte ein Sicherstellungsverbot nach strafprozessrechtlichen Vorschriften nur im Rahmen des Vertrauensverhältnisses zwischen Rechtsanwälten und einem Unternehmen anerkennen, gegen das sich das konkrete Strafverfahren richtet. Zudem führte es insbesondere aus, Jones Day als US-Kanzlei fehle bereits die Beschwerdebefugnis, weil sie sich im Gegensatz zu Kanzleien aus Deutschland und anderen EU-Ländern nicht auf Grundrechte nach dem Grundgesetz berufen könne. Auch den Rechtsanwälten fehle die Beschwerdebefugnis, insbesondere auch zum Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, weil die Durchsuchung und Sicherstellung nicht auf ihre persönlichen Daten gerichtet gewesen sei, sondern auf Informationen, die Jones Day aufgrund des Mandatsverhältnisses mit Volkswagen im Rahmen der internen Untersuchung zusammengetragen und erstellt hatte.

Das Landgericht Stuttgart hatte im Juni 2018 in einer ähnlichen Konstellation der Staatsanwaltschaft Stuttgart ebenfalls die Auswertung von Unterlagen einer US-Kanzlei zu einer internen Untersuchung zu Vorwürfen einer Manipulation von Dieselmotoren bei einem Stuttgarter Autobauer erlaubt.

Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bedeuten nicht etwa das Ende für interne Untersuchungen in Deutschland. Sie waren zur Aufklärung möglicher Straftaten oder Compliance-Verstöße schon immer erforderlich und werden für eine angemessene Wahrnehmung und Verteidigung von Unternehmensinteressen weiter erforderlich bleiben, insbesondere in Strafverfahren. Die nun von dem Gericht vertretene Auffassung war im Ergebnis auch nicht unvorhersehbar. Verwunderlich ist jedoch, dass es eine Auswertung der sichergestellten Unterlagen und Daten mit einstweiliger Anordnung für rund ein Jahr untersagt hat und sich so lange Zeit gelassen hat, um zu entscheiden, dass die Asservate nun doch ausgewertet werden dürfen. Es bestand in Deutschland schon immer ein Risiko von Durchsuchungen und Sicherstellungen in Geschäftsräumen von Rechtsanwaltskanzleien. Mit seinen Entscheidungen erklärt das Bundesverfassungsgericht allerdings ein weniger zurückhaltendes Vorgehen für verfassungsrechtlich unbedenklich, das von manchen deutschen Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichten für nach der Strafprozessordnung zulässig erachtet wird. Es bleibt abzuwarten, inwieweit vor diesem Hintergrund andere deutsche Behörden und Gerichte weiter an ihrem zurückhaltenderen Ansatz festhalten werden. Keinesfalls sollte übersehen werden, dass das Bundesverfassungsgericht darauf abgestellt hat, dass die Durchsuchung und Sicherstellung nicht in einem Ermittlungsverfahren gegen Volkswagen erfolgte, die Jones Day mit der internen Untersuchung beauftragt hat, sondern in einem Ermittlungsverfahren gegen eine ihrer Tochtergesellschaften. Abzuwarten bleibt zudem, inwieweit die große Koalition ihre Ankündigung im Koalitionsvertrag umsetzen und eine gesetzliche Regelung zu internen Untersuchungen und insbesondere zur Sicherstellung von Ergebnissen solcher Untersuchungen herbeiführen wird. In jedem Fall sollte aber das Risiko von Durchsuchungen und Sicherstellungen von Unterlagen zu internen Untersuchungen durch Rechtsanwaltskanzleien nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts von niemandem mehr übersehen werden, insbesondere nicht bei der Gestaltung von internen Untersuchungen.

Dr. Heiner Hugger, LL.M. (re), RA/FAStrafR, ist Partner im Frankfurter Büro von Clifford Chance. Er berät und vertritt seine Mandanten bei Ermittlungen, behördlichen oder gerichtlichen Verfahren, internen Untersuchungen und allen sonstigen Fragen im Zusammenhang mit strafrechtlichen oder sonstigen Sanktionen.

Dr. David Pasewaldt, LL.M. (li), RA, ist Counsel der Kanzlei Clifford Chance in Frankfurt a. M. Er berät zu allen Fragen des Wirtschaftsstrafrechts und ist Dozent an der Frankfurt School of Finance & Management.

 
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