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BB 2023, I
Förster 

Grenzüberschreitende Umstrukturierungen: erleichtert oder erschwert?

Abbildung 1

Rechtssicheren Möglichkeiten zur steuerneutralen Umstrukturierung kommt eine erhebliche Bedeutung zu, um die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmungen zu erhalten.

Unternehmungen bewegen sich in einem dynamischen Umfeld. Die Entwicklung von Märkten und Technologien, neue regulatorische Rahmenbedingungen, strategische Neuausrichtungen, Veränderungen der Unternehmungsgröße sowie die Neuordnung von Verantwortungsbereichen können eine Anpassung ihrer Struktur an die veränderten Bedingungen erforderlich machen. Rechtssicheren Möglichkeiten zur steuerneutralen Umstrukturierung kommt deshalb eine erhebliche Bedeutung zu, um die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmungen zu erhalten. Dies gilt wegen der internationalen Verflechtung der deutschen Wirtschaft auch und gerade für grenzüberschreitende Umstrukturierungen. Hier hat sich in den vergangenen Jahren einiges getan:

Im Gesellschaftsrecht hat die Mobilitätsrichtlinie (RL [EU] 2019/2121, ABlEU vom 12.12.2019, L 321, 1) neben der bereits möglichen grenzüberschreitenden Verschmelzung erstmals einen Rahmen für den grenzüberschreitenden Formwechsel sowie für grenzüberschreitende Aufspaltungen, Abspaltungen und Ausgliederungen von Kapitalgesellschaften zur Neugründung in der EU geschaffen. Die Richtlinie war bis zum 31.1.2023 von den Mitgliedstaaten umzusetzen. In Deutschland ist dies durch das Gesetz zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie (UmRUG) geschehen, welches am 1.3.2023 in Kraft getreten ist (s. dazu auch Recktenwald, BB 2023, 643 ff. und 707 ff., in diesem Heft). Damit sind neben betrieblichen Konzentrations- nunmehr auch Dekonzentrationsmaßnahmen und Sitzverlegungen von Kapitalgesellschaften innerhalb der EU rechtssicher realisierbar.

Im Umwandlungsteuergesetz (UmwStG) war bereits im Jahr 2006 im Zuge der Umsetzung der steuerlichen Fusionsrichtlinie (RL 90/433/EWG, ABlEG vom 20.8.1990, L 225, 1; RL 2009/133/EG, ABlEU vom 25.11.2009, L 310, 34) durch das Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften (SEStEG) die Möglichkeit eröffnet worden, grenzüberschreitende Verschmelzungen, Spaltungen und Einbringungen in der EU und im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) steuerneutral durchzuführen, sofern sie inländischen Umwandlungen vergleichbar sind und deutsche Besteuerungsrechte nicht beeinträchtigt werden. Durch das Gesetz zur Modernisierung des Körperschaftsteuerrechts (KöMoG) vom 25.6.2021 wurde der Anwendungsbereich für die Verschmelzung und Spaltung von Körperschaften weiter auf Vorgänge unter Beteiligung von Drittstaatengesellschaften ausgedehnt.

Die Entwicklungen im Gesellschafts- und Steuerrecht haben grenzüberschreitend tätigen Kapitalgesellschaftskonzernen neue Möglichkeiten eröffnet, ihre Strukturen rechtssicher und steuerneutral zu reorganisieren. Sie sind daher positiv zu beurteilen. Aber ist damit alles gut – oder gibt es gegenläufige Entwicklungen?

Die Anwendbarkeit des UmwStG auf grenzüberschreitende Vorgänge, die nach ausländischen Recht vollzogen werden, hängt davon ab, dass sie einer inländischen Umwandlung vergleichbar sind. Fehlt es hieran, ist der Vorgang nicht steuerneutral. Das Kriterium der Vergleichbarkeit wird bisher sehr eng ausgelegt. Insbesondere müssen etwaige Vermögensübergänge “kraft Gesetzes” und nicht durch Einzelübertragungen erfolgen. Diese Sichtweise engt die Möglichkeit zur steuerneutralen Anpassung von Strukturen insbesondere bei Drittstaatenberührung deutlich ein und beeinträchtigt hierdurch die Wettbewerbsfähigkeit der betroffenen Unternehmungen.

Die Steuerneutralität ist darüber hinaus ausgeschlossen, soweit deutsche Besteuerungsrechte beeinträchtigt werden. In diesen Fällen sieht das Gesetz eine Sofortbesteuerung der betroffenen stillen Reserven vor. Zwar ist das in EU/EWR-Fällen europarechtlich unzulässig, doch erlaubt das Europarecht eine aufgeschobene Besteuerung über fünf Jahre. Der wirtschaftliche Effekt des Aufschubs ist wegen der Kürze des Zeitraums nur geringfügig: So verringert sich der Barwert der Steuerzahlungsverpflichtung bei einem Kalkulationszinsfuß von 10 % p. a. um gerade einmal 16,6 %. Im Ergebnis lassen sich grenzüberschreitend regelmäßig nur Änderungen der Rechtsstruktur steuerneutral verwirklichen, während eine Verlagerung von Funktionen, Rechten, Know-how oder Beteiligungen sowohl in EU/EWR- als auch in Drittstaatenfällen nicht selten erhebliche Steuerlasten auslöst. Hier belastet die Funktionsverlagerungsverordnung vom 18.10.2022 den Steuerpflichtigen zusätzlich mit neuen Unsicherheiten bei der Abgrenzung von Funktionsverlagerungen, der Ermittlung von Einigungsbereichen sowie der Bestimmung von Zinssätzen und verschärft gleichzeitig die Nachweispflichten. All dies steht rechtssicheren Restrukturierungen im Wege.

Neu überdacht werden muss nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtline (ATADUmsG) die Behandlung von Umstrukturierungen der ausländischen Teile eines deutschbasierten Konzerns in der Hinzurechnungsbesteuerung. So können im Ausland steuerneutrale Reorganisationen passiver Tätigkeitsbereiche von der Hinzurechnungsbesteuerung erfasst werden, sofern der Vorgang nicht einer inländischen Umwandlung vergleichbar ist. Das Merkmal der Vergleichbarkeit gewinnt damit weitere Bedeutung. Offen ist auch, ob auf der Ebene einer ausländischen Zwischenholding ein Hinzurechnungsbetrag entsteht und die bisher mögliche Abschirmwirkung entfallen ist. Beide Fragen beeinträchtigen insbesondere deutschbasierte Konzerne, ohne dass deutsche Besteuerungsinteressen direkt betroffen sind.

Schließlich werden neue Zweifelsfragen durch die Einwirkung der Global Anti-Base Erosion Rules (GloBE-Regelungen) auf Umstrukturierungen entstehen.

Gesetzgebung und Finanzverwaltung sollten mit Augenmaß agieren und sicherstellen, dass die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmungen durch die Steuerneutralität von Anpassungsmaßnahmen gewährleistet bleibt. Vergleichbarkeit sollte daher großzügig interpretiert und dem Gesichtspunkt der zeitnahen Rechtssicherheit besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Prof. Dr. Guido Förster ist Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insb. Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Er ist u. a. Mitglied im Arbeitskreis Steuern der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaftslehre e. V., des Fachinstituts der Steuerberater e. V., der International Fiscal Association und der Forschungsgruppe anwendungsorientierte Steuerlehre (FAST).

 
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