Regierungsentwurf zum FISG – Geschwindigkeit vor Konsequenz?
Mit dem Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz (FISG) will der Gesetzgeber das durch den Wirecard-Skandal verloren gegangene Vertrauen in den Finanzmarkt Deutschland zurückgewinnen und dauerhaft stärken. Zudem sollen die Kapitalmarktteilnehmer besser geschützt werden.
Vertrauen ist schnell verloren und schwer wieder aufzubauen. Ist der Gesetzgeber mit dem Gesetzgebungsverfahren auf dem richtigen Weg, zumal mit dem Regierungsentwurf (RegE) die Zielgerade schon in Sicht sein könnte?
Es wäre ein Trugschluss, davon auszugehen, dass sich durch gesetzliche Maßnahmen ein Fall wie Wirecard, bei dem erhebliche kriminelle Energie vorgelegen hat, vollständig verhindern ließe. Dennoch sollten die regulatorischen Maßnahmen möglichst präventiv ausgerichtet sein, eine hinreichend abschreckende Wirkung entfalten und dafür sorgen, dass solche Fälle möglichst frühzeitig erkannt werden.
Angesichts der Tragweite des zugrunde liegenden spektakulären Falls und des Anspruchs an die avisierten Maßnahmen überrascht die Geschwindigkeit, mit der nach dem Referentenentwurf (RefE) noch vor Weihnachten der RegE für diese Gesetzesinitiative vorgelegt wurde. Noch mehr überrascht, dass die Vorschläge des RefE, die in zahlreichen Stellungnahmen als eher schwach, nicht immer zielführend und nicht umfassend aufeinander abgestimmt beurteilt wurden (vgl z. B. AKRB, bwf, DSW, alle abrufbar unter www.bundesfinanzministerium.de), im RegE an einigen Stellen eher abgeschwächt als geschärft wurden. So wurde im RegE gegenüber dem RefE die dort angehobene Haftungsobergrenze für Abschlussprüfer wieder ein Stück gesenkt, und für die verkürzte Rotationsfrist wird nun in der Begründung auf die (geringfügige) Verlängerungsoption in Art. 17 Abs. 6 Abschlussprüferverordnung hingewiesen. Die Signalwirkung dieser Richtungsänderung wird nicht unbedingt zur Vertrauensbildung beitragen. Viele weitere Anpassungen gegenüber dem RefE wirken zudem eher technisch.
Um die gesetzten Ziele zu erreichen, sollen insbesondere die Abschlussprüfung und die Bilanzkontrolle weiter reguliert werden. Die Absicht, die Abschlussprüfung zu stärken, ist nachvollziehbar und begrüßenswert. Für eine qualitativ hochwertige Abschlussprüfung ist es essentiell, dass die handelnden Personen über eine hohe Kompetenz, die erforderliche Unabhängigkeit und ausreichende Ressourcen verfügen. Während die Kompetenz aufgrund der anspruchsvollen Ausbildung zum Wirtschaftsprüfer außer Frage stehen und die verkürzte Rotation die Unabhängigkeit stärken dürften, bleibt das Thema Ressourcen weitgehend ungeregelt. Dabei überrascht es doch, wenn bei einem Wechsel des Abschlussprüfers das Prüfungshonorar eher sinkt als deutlich steigt. In der Kalkulation ist das wohl in erster Linie über den Einsatz von geringer bezahltem eigenen Personal oder Outsourcing, einen geringeren Stundeneinsatz, “effizientere Prüfungstechnik” und/oder eine (in der Zukunft deutlich erschwerte) Quersubvention über Beratungsleistungen darstellbar. Dadurch dürfte allerdings das Prüfungsrisiko eher steigen als sinken. Dies gilt insbesondere für prüferische Fragestellungen über die Ordnungsmäßigkeitsprüfung hinaus, wie die in den Stellungnahmen mehrfach deutlich und bisher vergeblich angeregte stärkere Ausrichtung des Prüfungsauftrags auf Fraud. Da sich insbesondere der Berufsstand selbst erfolgreich gegen regulatorische Eingriffe bei den Prüfungshonoraren wehrt, bei den Big4-Gesellschaften die ökonomischen Preis-Mechanismen eines Oligopols offensichtlich nicht funktionieren und die Prüfungshonorare selbst im FISG nicht adressiert sind, ist zumindest die “klarstellende” Regelung des § 107 AktG-E ausdrücklich zu begrüßen, mit der den Aufsichtsräten ihre eigene Verantwortung für die Qualität der beauftragten Abschlussprüfung stärker ins Bewusstsein gerückt werden dürfte.
Der zweite zentrale Aspekt des FISG ist die Stärkung der Bilanzkontrolle. Die Ausweitung der Kompetenzen der BaFin und die geänderte Aufgabenverteilung zwischen BaFin und Prüfstelle sind ausdrücklich zu begrüßen, insbesondere die in § 107a WpHG-E des RegE gegenüber dem RefE verschärften Regelungen in Bezug auf die Prüfstelle und die jetzt neu eingefügten Regelungen des § 109a WpHG-E zum Informationsaustausch und zur Befreiung von der Verschwiegenheit. Allerdings kann das Festhalten am zweistufigen Enforcement-System aufgrund der dennoch zu erwartenden Reibungsverluste und der höheren Autorität der BaFin nicht vollständig überzeugen. Zudem wird das Schwert der Bilanzkontrolle erst scharf, wenn die neuen Befugnisse im Sinne der Kapitalmarktteilnehmer konsequent, aber mit Augenmaß wahrgenommen werden. Dabei wird es ganz maßgeblich auf eine in Umfang, Kompetenz und Integrität angemessene Personalausstattung ankommen, was in § 107a WpHG-E für die Prüfstelle explizit adressiert ist. Hier werden sich die Institutionen der Bilanzkontrolle das verloren gegangene Vertrauen sehr mühsam wieder erarbeiten müssen, zumal gerade auch international der Umgang mit den Warnhinweisen im Wirecard-Fall nachdrücklich Spuren hinterlassen haben dürfte. Insofern kann man auf die Ergebnisse der avisierten Evaluation gespannt sein.
Insgesamt enthält das Gesetzgebungsverfahren viele Schritte in die richtige Richtung, wirkt aber nach wie vor nicht konsequent. Die in den Stellungnahmen zum RefE angebrachten Kritikpunkte wurden nur zu einem geringen Teil aufgegriffen. Hier sollte der Gesetzgeber auf der Zielgeraden noch nachschärfen. Ob das angestrebte Ziel dann erreicht wird, dürfte allerdings insbesondere davon abhängen, wie die Maßnahmen der Bilanzkontrolle tatsächlich gelebt werden, also durch geeignetes Personal umgesetzt werden.
Prof. Dr. Hans-Jürgen Kirsch leitet das Institut für Rechnungslegung und Wirtschaftsprüfung (IRW) der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU). Er ist u. a. Mitglied des Arbeitskreises “Externe und Interne Überwachung der Unternehmung” der Schmalenbach-Gesellschaft, ehemaliges Mitglied des HGB- und des IFRS-Fachausschusses des Deutschen Rechnungslegungs Standards Committee (DRSC) sowie Mitglied des Hochschulrats der WWU.