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BBM 2021, 20
Hönig 

EU-Whistleblower-Richtlinie – eine arbeitsrechtliche Betrachtung

Das Europäische Parlament hat am 16. April 2019 die Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht („Whistleblower-Richtlinie“) melden, beschlossen. Die Richtlinie verpflichtet Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten und Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern, zuverlässig funktionierende interne und externe Meldekanäle einzurichten.

Die EU-Whistleblower-Richtlinie muss bis zum 16. Dezember 2021 in nationales Recht umgesetzt werden. Die Richtlinie sollte in Deutschland durch das Hinweisgeberschutzgesetz umgesetzt werden, dessen erster Entwurf allerdings Ende April 2021 seitens CDU/CSU nicht angenommen wurde. Zum jetzigen Zeitpunkt steht noch nicht fest, ob das Hinweisgeberschutzgesetz rechtzeitig in nationales Recht umgesetzt wird. Wenn keine rechtzeitige Umsetzung in Deutschland erfolgt, kann die Richtlinie selbst unmittelbare Geltung für Deutschland erlangen.

Die EU-Whistleblower-Richtlinie ist aus arbeitsrechtlicher Perspektive höchst interessant. Im Einzelnen sind die folgenden Punkte maßgeblich:

1. Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates

In der EU-Whistleblower-Richtlinie ist kein allgemeines Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates geregelt, bei der Implementierung des Meldesystems können aber Mitbestimmungsrechte aus § 87 Abs. 1 BetrVG eingreifen.

Nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG hat der Betriebsrat bei Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb mitzubestimmen. Wenn das Meldesystem die Pflicht für die Arbeitnehmer einführt, Verstöße zu melden, und vorsieht, wie, wann und bei wem über welche Umstände Meldung gemacht werden muss, greift § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ein. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG hat der Betriebsrat bei der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung des Arbeitnehmers zu überwachen, mitzubestimmen. Wenn bei der Implementierung technische Einrichtungen verwendet werden, wird § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG eingreifen, auch wenn eine Überprüfung der Arbeitnehmer nicht der Zweck der Maßnahme ist.

Bewertung

Die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates werden zwar nicht ausdrücklich in der EU-Richtlinie geregelt und waren auch im letzten Entwurf des Hinweisgeberschutzgesetzes nicht vorgesehen. Eine konkrete zusätzliche Regelung ist aber auch nicht nötig. Denn für den Betriebsrat ergeben sich aus § 87 Abs. 1 BetrVG bereits verschiedene Mitbestimmungsrechte, die bei der Implementierung des unternehmensinternen Meldesystems entstehen.

2. Schutzvorschriften für Arbeitnehmer:

In Artikel 4 der Richtlinie sind die zu schützenden Personen aufgenommen, worunter nach a) Arbeitnehmer im Sinne von Artikel 45 Abs. 1 AEUV fallen. In Artikel 19 der Richtlinie ist das Verbot von Repressalien aufgeführt. Unter anderem sind in dem umfassenden Katalog in Artikel 19 das Verbot der Kündigung, Versagung einer Beförderung, Gehaltsminderung, Ausstellung eines schlechten Arbeitszeugnisses, Einschüchterung, Diskriminierung und Rufschädigung genannt.

Abbildung 21

Bewertung

Die Entwicklung von Schutzvorschriften für Arbeitnehmer ist eine notwendige Folge der Ziele der EU-Whistleblower-Richtlinie. Gerade Arbeitnehmer bekommen vielfältige Einblicke in das jeweilige Unternehmen, sodass gerade sie wertvolle Hinweise zur Aufklärung von Missständen geben können. In Deutschland sind die Arbeitnehmer derzeit u.a. durch das Maßregelungsverbot nach § 612a BGB geschützt. Das Maßregelungsverbot will zwar auch jegliche Repressalien gegen Arbeitnehmer unterbinden, in BBM 2021 S. 20 (21)Artikel 19 der Richtlinie werden die verbotenen Repressalien allerdings erstmals konkret benannt.

3. Sanktionen bei Verstoß der Arbeitnehmer gegen die Richtlinie

Der Arbeitgeber ist bei der praktischen Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie auf die Prüfung und Meldung durch die Arbeitnehmer angewiesen. Die Arbeitnehmer sind zwar nicht selbst Adressaten der Richtlinie. Wenn das Unternehmen die Arbeitnehmer im Hinblick auf die Vorgaben der Richtlinie schult und zur umgehenden internen Mitteilung eines Verstoßes auffordert, ergibt sich die Einhaltung bereits aus der arbeitsvertraglichen Treuepflicht und stellt eine Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis dar. Bei einem gewichtigen Verstoß hiergegen stehen dem Arbeitgeber als Sanktion die Abmahnung und als Ultima Ratio die verhaltensbedingte Kündigung zu. Das kann sowohl für den Fall gelten, dass der Arbeitnehmer selbst einen Verstoß gegen die Vorschriften der Whistleblower-Richtlinie begeht, als auch für die unterlassene Mitteilung bei Entdeckung eines Verstoßes.

Bewertung

Ob die Abmahnung oder Kündigung angemessen ist, hängt vom konkreten Einzelfall ab. Den Arbeitgeber als Unternehmer kann aus der Richtlinie aber im Umkehrschluss sogar die Pflicht zur Nachverfolgung und Sanktion von Verstößen seitens der Arbeitnehmer treffen. Denn das Unternehmen soll durch die Etablierung der internen und externen Meldekanäle gerade zur Aufdeckung von Verstößen führen.

4. Verhältnis von interner und externer Meldung

Die Unternehmen sind nach der Richtlinie verpflichtet interne und externe Meldekanäle einzurichten. Art. 7 der Richtlinie legt fest, dass die Regel im Rahmen des Meldeverfahrens zunächst ein internes Whistleblowing ist, wenn intern wirksam gegen den Verstoß vorgegangen werden kann und der Hinweisgeber keine Repressalien befürchtet. Nach Art. 10 der Richtlinie können die Hinweisgeber aber gleichfalls auch direkt über externe Meldekanäle Meldung erstatten.

Bewertung

Die Arbeitnehmer mussten sich zunächst intern an den Vorgesetzten wenden. Nach der Entscheidung des EGMR 2011 (EGMR Urteil vom 21.7.2011 – 28274/08) konnte im Ausnahmefall eine externe Meldung abgegeben werden. In Folge des neu geschaffenen Verhältnisses der Meldekanäle werden die Arbeitnehmer bei der ersten Meldung zukünftig gesetzlich vor Repressalien nicht nur bei der internen Mitteilung, sondern gleichermaßen bei der externen Mitteilung geschützt. Aus Unternehmenssicht ergibt sich durch den erhöhten Schutz das Problem, dass Arbeitnehmer die Meldung ohne Sanktionen auch direkt an die zuständige Meldebehörde geben können. Eine direkte Meldung an die Öffentlichkeit ist weiterhin nur im Ausnahmefall möglich, etwa nach Artikel 15 der Richtlinie, wenn nach der internen oder externen Meldung keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden.

Fazit

Die EU-Whistleblower-Richtlinie etabliert erstmals einen konkreten Schutz für Arbeitnehmer.

Es ist zwar noch unklar, ob die EU-Whistleblower-Richtlinie rechtzeitig in deutsches Recht umgesetzt wird. Die Unternehmen müssen aber damit rechnen, dass entweder kurzfristig vor Dezember 2021 eine neue Fassung des Hinweisgebergesetzes erlassen wird oder dass die Richtlinie bei fehlender nationaler Regelung unmittelbare Anwendung finden kann.

Die verpflichteten Unternehmen müssen sich daher kurzfristig mit der Etablierung eines internen und externen Meldesystems befassen. Wenn die Unternehmen die Arbeitnehmer ausdrücklich mit in die Verantwortung zur Einhaltung der Richtlinie und insbesondere der Meldung eines Verstoßes nehmen, können sie einer direkten Meldung an externe Behörden oder sogar die Öffentlichkeit vorbeugen. Für das Unternehmen hat eine interne Mitteilung der Arbeitnehmer den Vorteil, dass zunächst intern selbstständig überprüft werden kann, ob ein Verstoß vorliegt. Bei einer externen Meldung oder Veröffentlichung kann der Ruf des Unternehmens nachhaltig geschädigt werden, denn die Prüfung liegt nicht mehr in der eigenen Hand.

Abbildung 22

Autorin

Natascha Hönig

Rechtsanwältin GvW Graf von Westphalen Rechtsanwälte Steuerberater Partnerschaft mbB, Frankfurt

 
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