Neues zur Arbeitszeiterfassung
Seit einem Urteil des EuGH aus dem Jahr 2019 zur Arbeitszeiterfassung beschäftigen sich Unternehmen mit der Frage, ob sie ihre bisherige Praxis anpassen sollten. In Personalabteilungen besteht zur Rechtslage verbreitet Unsicherheit. Dieser Beitrag klärt auf und gibt Handlungsempfehlungen.
Die Entscheidung des EuGH zum Arbeitnehmerschutz war ein Paukenschlag: Pflicht zur lückenlosen Erfassung und Dokumentation von Arbeitszeiten. Müssen Arbeitgeber nun sämtliche Arbeitszeiten ihrer Arbeitnehmer erfassen? Hat sich die Rechtslage in Deutschland seit dem EuGH-Urteil geändert? Welche innerbetrieblichen Maßnahmen sind sinnvoll? Diese Aspekte werden im Folgenden beleuchtet.
I. ENTSCHEIDUNG DES EUGH
Der EuGH betont mit Urteil vom 14.5.2019 (Az. C-55/18) die besondere Bedeutung der Begrenzung der Höchstarbeitszeit sowie der Gewährung von Ruhepausen und Ruhezeiten für den betrieblichen Gesundheitsschutz. Die Mitgliedstaaten hätten folgende Anforderungen des Unionsrechts zu gewährleisten:
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Mindestruhezeit von 11 zusammenhängenden Stunden pro 24-Stunden-Zeitraum
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Mindestruhezeit von 24 zusammenhängenden Stunden pro 7-Tages-Zeitraum
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maximal 48 Arbeitsstunden im Wochendurchschnitt
Nach Auffassung des Gerichts müssen die EU-Mitgliedstaaten die Arbeitgeber verpflichten, „ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann“. Nur auf diese Weise könne gewährleistet werden, dass die Ziele der
II. AKTUELLE RECHTSLAGE
In Deutschland wurde das EuGH-Urteil bislang nicht gesetzlich umgesetzt. Das Arbeitszeitgesetz wurde nicht angepasst. Daher müssen Arbeitgeber weiterhin insbesondere folgende Regelungen einhalten:
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§ 3 ArbZG: maximale tägliche Höchstarbeitszeit von 10 Stunden
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§ 4 Abs. 1 S. 1 ArbZG: bei mehr als 6 Stunden Arbeitszeit mindestens 30 Minuten Pause, bei mehr als 9 Stunden mindestens 45 Minuten
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§ 5 Abs. 1 ArbZG: nach Ende eines Arbeitstags mindestens 11 Stunden ununterbrochene Ruhezeit
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§ 9 Abs. 1 ArbZG: Beschäftigungsverbot an Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen
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§ 16 Abs. 2 ArbZG: Pflicht zur Aufzeichnung von Überstunden (und aller Arbeitszeiten bei Arbeit an Sonn- oder Feiertagen) sowie Aufbewahrung der Nachweise für die Dauer von 2 Jahren
Die Form der Arbeitszeiterfassung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. Eine digitale Erfassung und Speicherung ist zulässig. Arbeitgeber können die Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeiten und deren Dokumentation auf die Mitarbeiter übertragen.
Zu erfassen sind nur Arbeitszeiten im Sinne des Arbeitszeitgesetzes. Dazu gehören zum Beispiel weiterhin nicht die sogenannte Wegezeit, die Beschäftigte für ihren Weg von zu Hause zum Betrieb aufwenden, Reisezeiten bei Dienstreisen im Inland, falls Beschäftigte öffentliche Verkehrsmittel nutzen und keine Arbeitsleistung erbringen müssen, und in der Regel Rufbereitschaft, soweit keine aktive Inanspruchnahme der Arbeitnehmer erfolgt.
Anders als teilweise behauptet, ist Vertrauensarbeitszeit weiterhin zulässig. Diese entbindet Arbeitgeber freilich nicht von der Pflicht, die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes einzuhalten.
III. REFERENTENENTWURF ZUR ZEITERFASSUNG BEI MOBILER ARBEIT
Ende 2020 veröffentlichte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales den Entwurf eines Gesetzes zur mobilen Arbeit, mit dem die Gewerbeordnung ergänzt werden soll. Es enthält auch Regelungen zur Erfassung der Arbeitszeiten von regelmäßig mobil arbeitenden Beschäftigten:
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Gemäß des Entwurfs zu § 112 Abs. 1 GewO „wird die Pflicht nach § 16 Absatz 2 Satz 1 des Arbeitszeitgesetzes dahingehend abgewandelt, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, Beginn, Ende und Dauer der gesamten Arbeitszeit am Tag der Arbeitsleistung aufzuzeichnen“.
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Gemäß des Entwurfs zu § 112 Abs. 2 GewO soll der Arbeitgeber bei mobil arbeitenden Beschäftigten die Zeiterfassung auf die Arbeitnehmer übertragen dürfen. Er bleibt aber für die ordnungsgemäße Aufzeichnung verantwortlich.
Auf welche Weise die Erfassung und Aufzeichnung der Arbeitszeit zu erfolgen hat, ist im Gesetzentwurf nicht festgelegt. Die Arbeitszeiterfassung und Aufzeichnung kann daher analog oder digital erfolgen.
IV. PRAXISHINWEISE ZUR ARBEITSZEITERFASSUNG
Wie beim Arbeitszeitgesetz ist auch mit einer Änderung der Gewerbeordnung noch in dieser Legislaturperiode nicht zu rechnen. Dennoch können sich Arbeitgeber, die aktuell ihre Arbeitszeiterfassung anpassen wollen, an der EuGH-Rechtsprechung und dem Gesetzesvorhaben orientieren. Dadurch können sie späteren Anpassungsbedarf zumindest verringern.
Eine Arbeitszeiterfassung sollte möglichst folgenden Anforderungen entsprechen:
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Erfassung von Datum, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeit
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Verarbeitung nur erforderlicher personenbezogener Daten (zum Beispiel Verzicht auf biometrische Daten durch Irisscanner)
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Berechnung der Pausen und Ruhezeiten
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Berechnung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit
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fehlerfrei arbeitendes System und Ausschluss späterer Manipulationen
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automatischer Hinweis bei möglicher Überschreitung von Arbeitszeitvorgaben
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Zugriffsmöglichkeit des Beschäftigten auf Aufzeichnung der eigenen Arbeitszeiten
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bei Bedarf Zugriffsmöglichkeit ggf. des Betriebsrats und der Arbeitsschutzbehörde auf Arbeitszeitaufzeichnungen und -auswertungen
Sofern die Arbeitszeiterfassung unter Einsatz von technischen Mitteln erfolgt, ein Betriebsrat gebildet ist und keine tarifliche Regelung einschlägig ist, besteht ein Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmervertretung gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG.
Autoren | |
Karsten Kujath LL.M.oec.int. Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner GvW Graf von Westphalen Rechtsanwälte Steuerberater Partnerschaft mbB, Frankfurt | Arne Lordt Rechtsanwalt GvW Graf von Westphalen Rechtsanwälte Steuerberater Partnerschaft mbB, Frankfurt |