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CB 2022, I
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CB 2022, Heft 09, Umschlagteil S. I (I)

Aufrichtige Compliance

„Am Ende der Lieferkette ist es warm und gemütlich.“

Gern stelle ich Compliancebeauftragten mit internationalem Tätigkeitsfeld folgende Fragen, die nur widersprüchlich richtig beantwortet werden können: „Werden Vorgaben der Konzernmutter nach deutschem Recht konzernweit, also auch etwa in afrikanischen Ländern, uneingeschränkt durchgesetzt?“ Darauf ist die Antwort in der Regel: „Ja, selbstverständlich“. Es folgt die zweite Frage: „Dann werden also lokale kulturelle Vorgaben nicht berücksichtigt?“ Darauf ist die ebenfalls selbstverständliche Antwort des weltgewandten toleranten Westeuropäers: „Doch natürlich werden die kulturellen Besonderheiten der jeweiligen Länder respektiert und geachtet.“ Der Widerspruch zwischen den Antworten fällt nicht unmittelbar auf, sondern erst bei der dritten Frage: „Wie genau setzen Sie Korruptionsverbote in Ländern durch, die kulturell von Korruption durchdrungen sind?“

Hier wird das Dilemma der weichgezeichneten Compliance deutlich. Wer es allen recht machen will und ernsthafte Konsequenzen scheut, sollte auf Compliance lieber gleich verzichten. Die einzig richtige Antwort kommt von Dieter Zetsche: „No business deal can ever justify putting our company’s reputation at risk.“ Für Regionen, in denen Korruption strukturell verankert ist, gilt dann der Grundsatz des LG München, dass dort entweder kein Geschäft gemacht werden kann, oder nur unter Einhaltung deutschen Rechts.

Doch am Ende der Lieferkette ist es warm und gemütlich. Wohl kaum ein westeuropäischer Compliance Officer muss um seine körperliche Unversehrtheit oder sein Leben fürchten. Dies ist bei Korruptionsermittlern, Journalisten oder auch Compliance-Beauftragten außerhalb von Westeuropa nicht unbedingt der Fall. Schon in Ländern wie Rumänien oder Zypern werden Staatsanwälte, Richter, Journalisten oder auch Anwälte mit dem Leben bedroht oder gar umgebracht, wenn sie ernsthaft gegen Korruption und allem, was damit zusammenhängt, vorgehen. Berichte darüber werden gern mit moralischer Entrüstung und Selbsterhöhung geschrieben, gelesen, weitergeleitet – und vergessen.

Die internationalen Verbindungen zwischen Gewaltverbrechen, Drogenhandel, Korruption und Geldwäsche werden leider noch in vielen Compliance-Abteilungen außer Acht gelassen. Dies scheinen Schauermärchen anderer Länder zu sein, nicht aber westeuropäischer Compliance-Offices. Dabei wird schnell vergessen, dass am Ende auch dieser Lieferkette zumeist ein Abnehmer in Westeuropa steht.

Gerade bei der Geldwäsche kuschelt sich Deutschland in eine wahlweise gemütliche, bräsige oder hochmütige Ignoranz. Bereits in den 1990er Jahren haben Fachleute in – auch für die Politik zugänglichen Informationen – auf Geldwäsche durch Mafia in Ostdeutschland hingewiesen. So erklärte der Oberstaatsanwalt von Palermo, Roberto Scarpinato: „Wenn ich Mafioso wäre, würde ich in Deutschland investieren.“ Dies und die weiteren Entwicklungen bei der Geldwäsche in Deutschland wurden hartnäckig ignoriert. Der Bericht der FATF für 2020/2021 wird für ein unerfreuliches Erwachen sorgen. Gleichwohl sind die Probleme damit nicht gelöst.

An der internationalen Geldwäsche und der Korruption sind nicht nur irgendwelche Mafiosi und Winkeladvokaten beteiligt. Diese Systeme funktionieren nur unter Beteiligung internationaler Banken, Steuerberater, Rechtsanwälte und Wirtschaftsprüfer. Sie investieren in „normale“ Unternehmen, erwerben und verkaufen „normale“ Leistungen und Produkte an „normale“ Menschen und Unternehmen. Selbstverständlich ist dabei das schmuddelige Geschäft nicht immer sichtbar, was ja Sinn der Sache ist.

Nun kommen aber die Einschläge immer näher. Die Unterwanderung staatlicher Strukturen geschieht nicht mehr nur in Mexiko oder Italien, die Ermittlungsergebnisse der letzten Zeit in den Niederlanden haben gezeigt, dass ein naives Wegschauen und die Romantisierung von Drogenkonsum die Probleme noch größer machen. Es wird davon ausgegangen, dass Kriminelle tief in die Verwaltungsstrukturen eingewandert sind. Mit dem Thema vertraute Journalisten bezeichnen die Niederlande sogar als „Narcostaat“. Wer in Deutschland Drogen konsumiert, unterstützt damit die gesamte Lieferkette mit den tausenden Toten des Drogenkrieges in Mexiko. Wer bei Immobilientransaktionen nicht so genau hinschaut, wer die Parteien sind, trägt genauso dazu bei, wie derjenige, der sich über den finanzstarken Investor in sein notleidendes Unternehmen freut. Und am Ende der Kette der wirtschaftlich Berechtigten von manch einem Unternehmen steht ein russischer Oligarch. Es wird auch für Complianceabteilungen Zeit, dass wir im Zuge moralischer Überheblichkeit nicht mehr nur gut gemeinte, aber sinnlose Gesetze und Regularien schaffen, sondern Compliance ernsthaft anwenden und umsetzen.

Abbildung 1

Dr. Malte Passarge ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht und Partner in der Kanzlei HUTH DIETRICH HAHN Rechtsanwälte PartGmbB, Vorstand des Instituts für Compliance im Mittelstand (ICM) und Geschäftsführer von Pro Honore e. V. sowie Chefredakteur des Compliance-Beraters.

 
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