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CB 2022, I
Passarge 

CB 2022, Heft 06, Umschlagteil S. I (I)

Kritik am HinSchG-E

„Unerfreulich: Staatliche Institutionen entziehen sich dem Anwendungsbereich.“

Der jüngst vorgelegte Entwurf des Hinweisgeberschutzgesetzes (HinSchG) stellt eine erhebliche Verbesserung der letzten Entwürfe dar und ist grundlegend zu begrüßen. Einige Aspekte sollen hier besonders beleuchtet werden:

Der Entwurf des HinSchG erweitert den Anwendungsbereich der ursprünglichen EU-Whistleblower-Richtlinie, die sich auf Verstöße gegen europäisches Recht bezieht, indem nun das gesamte deutsche Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht im Fokus steht. Dies war zu erwarten und ist unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit gewiss gerechtfertigt. Positiv hervorzuheben ist der Umstand, dass der Entwurf von der Vereinbarung im Koalitionsvertrag abweicht, wonach auch „sonstiges Fehlverhalten“ oder „unethisches Verhalten“ in den Anwendungsbereich fallen sollten. Der Verzicht auf diese diffusen Begrifflichkeiten ist uneingeschränkt zu begrüßen. Seit einiger Zeit ist zu bemerken, dass verstärkt moralische Grundsätze Gegenstand rechtlicher Bewertung und sogar Sanktionen sein sollen. Dies ist ein Rückschritt in der Rechtskultur. Sofern nicht gegen geltende Gesetze verstoßen wird, dürfen bestimmte Verhaltensweisen von Bürgern oder Unternehmen, die anderen Bürgern nicht passen, nicht Gegenstand justizieller Maßnahmen sein. Allein schon der Begriff des „sonstiges Fehlverhalten“, das gerade nicht gegen Gesetze verstößt, ist rechtsstaatlich nicht haltbar und Spiegelbild einer undemokratischen Gesinnung.

Fehlende Verklammerung: Mittlerweile bestehen in zahlreichen Gesetzen Verpflichtung zur Einrichtung von Hinweisgeberstellen oder zum Schutz von Hinweisgebern, insbesondere im GeschGehG und im LkSG. Eine einheitliche Regelung für Hinweisgeberstellen und den Schutz von Hinweisgebern in einem einheitlichen Gesetz wäre für alle Beteiligten gewiss hilfreich.

Ausgesprochen überraschend ist der Umstand, dass anonyme Hinweise von Hinweisgeberstellen nicht bearbeitet werden müssen. Dies steht im Gegensatz zur bisherigen Rechtslage, wonach die Geschäftsführer und Vorstände verpflichtet sind, zur Abwendung von Schäden gegen das Unternehmen jedem ernsthaften Verdacht nachzugehen und Verdachtsfälle aufklären müssen. Dies ergibt sich aus dem Legalitätsprinzip und dem allgemeinen Grundsatz „Aufklären, Abstellen, Ahnden“. Tatsächlich ist die Möglichkeit der Anonymität für Hinweisgeber für die Aufklärung schwerwiegender und struktureller Missstände und Gesetzesverstöße zwingend erforderlich. Insoweit ist die Gesetzesbegründung wenig nachvollziehbar. Dort heißt es, dass erhebliche zusätzliche Kosten für die notwendigen technischen Vorrichtungen entstünden. Dies ist freilich nicht der Fall, da anonyme Meldungen auch per Brief oder per Telefon (mit Rufnummernunterdrückung) möglich sind. Es drängt sich daher der Eindruck auf, dass hinter eine andere Motivationslage steht, etwa der Wunsch, behördlichen Meldestellen vor zu erwartenden anonymen Meldungen zu verschonen. Erfahrungsgemäß ist der Anteil anonymer Meldungen relativ gering. Besonders wichtig ist der Schutz der Anonymität aber bei Gesetzesverstößen in behördlichen Strukturen. Man könnte denken, dass das Fehlen einer Pflicht zur Bearbeitung anonymer Hinweise insbesondere durch die behördlichen, externen Meldestellen gerade die Meldung staatlichen Fehlverhaltens unterbinden soll. Damit einher geht auch der sehr weitreichende Ausschluss von Meldungen aus dem staatlichen Bereich in den §§ 5, 6 HinSchG-E. Bekanntermaßen wurden besonders schwerwiegende Gesetzesverstöße in und durch staatliche Institutionen von anonymen Whistleblowern aufgedeckt. Ohne den Schutz der Anonymität wurden diese massiv verfolgt. Dass sich staatliche Institutionen dem Anwendungsbereich des HinSchG zu entziehen versuchen, ist unerfreulich.

Sachlich nicht nachvollziehbar ist die Pflicht zur Dokumentation der eingehenden Meldungen durch die Hinweisgeberstelle (§ 11 HinSchG-E). Eine Begründung zu dieser Dokumentationspflicht findet sich auch in der Gesetzesbegründung nicht. Grundsätzlich muss es Hinweisgeberstellen und Unternehmen freistehen, wie sie mit den eingehenden Meldungen umgehen, die Dokumentation ist eine Obliegenheit, die im Risiko der aufnehmenden Stelle steht. Eine entsprechende gesetzliche Pflicht zur Dokumentation ist aus Sicht des Hinweisgebers, der Hinweisgeberstelle, des betroffenen Unternehmens oder aber möglicherweise betroffener Dritter nicht zweckmäßig. Insbesondere aufgrund des hohen Gutes des Schutzes der Vertraulichkeit aller Beteiligten. Demgegenüber ist die Dokumentation aus Sicht der Ermittlungsbehörden durchaus interessant und erfreulich. Denn nach wie vor ist die Frage der Beschlagnahmefreiheit von Dokumenten bei einer Hinweisgeberstelle nicht geregelt – auch nicht im HinSchG-E. Dem Schutz der Vertraulichkeit des Hinweises und des Hinweisgebers selbst dient sie keineswegs, wird aber zu Rechtsunsicherheit und der Benachteiligung aufklärungswilliger Unternehmen und Personen führen.

Abbildung 1

Dr. Malte Passarge ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht und Partner in der Kanzlei HUTH DIETRICH HAHN Rechtsanwälte PartGmbB, Vorstand des Instituts für Compliance im Mittelstand (ICM) und Geschäftsführer von Pro Honore e. V. sowie Chefredakteur des Compliance-Beraters.

 
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