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CNL 2020, 8
Pikó/Uhl 

Compliance in Zeiten von #MeToo

Fälle sexueller Belästigungen sind Compliance-Vorfälle, die als ernstzunehmende Compliance-Risiken einzustufen sind.

Abbildung 11

#MeToo: Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist kein Kavaliersdelikt.

In den letzten Jahren haben sich Organisationnen vermehrt mit Diskriminierungen, insbesondere sexuellen Übergriffen, auseinandersetzen müssen. Eine maßgebliche Rolle spielt dabei die #MeToo-Bewegung als weltweite Kampagne gegen jede Form sexueller Übergriffe. Diese erlaubt den Betroffenen, aus der Opferrolle heraus zu treten und sich zu wehren. Mit dem Öffentlichmachen einhergehend verschwindet mehr und mehr das bisherige stillschweigende Tolerieren des Ausnutzens von Machtpositionen zur sexuellen Diskriminierung und Bagatellisierung solchen Verhaltens.

Vorwürfe sexueller Belästigungen können heute auf Grund der damit einhergehenden Reputationsschäden ein mit Korruption oder anderen wirtschaftskriminellen Compliance-Vorfällen (wie Betrug oder Wettbewerbsabsprachen) vergleichbares Schadenspotential entwickeln. Die prominenten Fälle von Harvey Weinstein und Fox News illustrieren dies beispielhaft: Weinstein verlor im Zuge des Skandals seine Anstellung, seine Produktionsfirma ist insolvent, er sitzt derzeit seine Gefängnisstrafe ab und ist Entschädigungs- und Vergleichszahlungen in bisher zweifacher Millionenhöhe ausgesetzt. Fox News verlor aufgrund des Skandals (zumindest vorübergehend) zentrale Werbekunden und zahlte Entschädigungen an Opfer und Aktionäre von über 110 Mio. USD.

Im Zusammenhang mit sexuellen Übergriffen am Arbeitsplatz treffen Arbeitgeber gesetzliche Vorgaben. Sowohl das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG in § 3 Abs. 4) für Deutschland wie das Gleichstellungsgesetz (CH-GlG in Art. 4) für die Schweiz enthalten jeweils eine spezifische Definition von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Die Form sexueller Belästigung ist dabei nicht abschließend definiert. Ausschlaggebend für die Beurteilung des Verhaltens ist letztlich, ob die betroffene Person das Verhalten objektiv erkennbar als unerwünscht erlebt. Die Voraussetzung, dass das unerwünschte Verhalten die Würde der betroffenen Person verletzt oder verletzen will, wirkt dabei als objektivierendes Kriterium. Es schützt entsprechend vor Überempfindlichkeiten und Missbrauch.

Arbeitgeber in Deutschland wie der Schweiz sind gesetzlich verpflichtet, ihre Mitarbeitenden an ihrem Arbeitsplatz vor sexueller Belästigung durch andere Mitarbeitende bzw. Dritte zu schützen (§ 12 Abs. 1 AGG bzw. Art. 328 CH-OR). So müssen Arbeitgeber einem glaubhaften Hinweis auf sexuelle Belästigung angemessen nachgehen, den Sachverhalt (soweit möglich) aufklären und Maßnahmen ergreifen, die weitere Belästigungen verhindern. Dazu zählt auch das Ergreifen von Sofortmaßnahmen bei weiter andauernden Belästigungen. Maßnahmen zur Prävention sind nicht zwingend gesetzlich vorgeschrieben. Diese ist Arbeitgebern allerdings dringend zu empfehlen – schon allein aus dem Grundgedanken der Schutzpflicht den Mitarbeitenden gegenüber, der äquivalenten Behandlung des Risikos vor sexuellen Belästigungen mit anderen Compliance-Risiken, und um die Möglichkeit zu wahren, sich gemäß den gesetzlichen Bestimmungen exkulpieren zu können.

Ein zeitgemäßes Compliance-Management-System (CMS) umfasst somit nicht nur die Prävention und Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität, sondern auch die von Diskriminierungsfällen und insbesondere sexueller Belästigungen. Eine der wichtigsten präventiven Maßnahmen zum Schutz vor sexuellen Belästigungen ist das Vorleben einer wertebasierten Unternehmenskultur durch die Führungskräfte („tone from the top“). Das bedeutet, zur Sorgfaltspflicht des Arbeitgebers und seiner Führungskräfte gehört es auch, bei Diskriminierungen hinzusehen und verantwortlich zu agieren.

Weitere Maßnahmen zur Prävention und Bekämpfung von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz umfassen insbesondere spezifische Schulungen zu sexueller Belästigung, das Ergreifen von Diversity & Inclusion-Maßnahmen zur Herstellung einer wertebasierten Unternehmenskultur, das Ausweiten der regelmäßig unternehmensintern durchzuführenden Compliance-Risikoanalyse auf die Risiken sexueller Belästigungen im Unternehmen, das Implementieren und Kommunizieren eines Hinweisgebersystems oder Meldestelle, das Erheben entsprechender Daten und ein transparenter Umgang mit dem Thema im Unternehmen.

Einem glaubhaften Hinweis auf eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz muss der Arbeitgeber in angemessener Weise nachgehen, am zweckmäßigsten mittels einer internen Untersuchung. Untersuchungen von sexuellen Belästigungsfällen stellen den Arbeitgeber vor spezielle Herausforderungen: Zum einen gibt es im Unterschied zu Compliance-Vorfällen wirtschaftskrimineller Natur ein persönlich, in seiner Privat- bzw. Intimsphäre betroffenes Opfer. Der Arbeitgeber ist somit gefordert, die richtige Balance zwischen Schutz des Opfers vor weiteren Belästigungen und Schutz der beschuldigten Person vor falschen Anschuldigungen zu finden. Bestätigt die interne Untersuchung den Hinweis auf sexuelle Belästigung, so hat der Arbeitgeber die im Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zur Unterbindung der Diskriminierung wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen.

Dr. Rita Pikó, RAin, LL.M. und Dr. Laurenz Uhl, RA, LL.M.

Ein ausführlicher Beitrag zum Thema ist erschienen in BB 2020, 1204-1214.

Abbildung 12

Dr. Rita Pikó, LL.M. (Exeter), ist Rechtsanwältin und Partnerin in der Kanzlei Pikó Uhl Rechtsanwälte AG in Zürich mit Zulassungen in Deutschland und der Schweiz. Sie doziert an verschiedenen Hochschulen zu Compliance.

Abbildung 13

Dr. Laurenz Uhl, LL.M. (Exeter), ist Rechtsanwalt/Fürsprecher und Partner in der Kanzlei Pikó Uhl Rechtsanwälte AG in Zürich mit Zulassungen in Deutschland und der Schweiz.

 
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