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CNL 2025, 4
Kahlen-Pappas. 

„Das ganz heiße Thema wird der versprochene Bürokratieabbau“

Wie geht es weiter in Deutschland? Worauf müssen wir uns angesichts des anstehenden Regierungswechsels einstellen? Jörg Bielefeld behält die Entwicklungen in der sich anbahnenden Regierungskoalition im Blick und erläutert im Interview, worauf es dabei für Compliance ankommt.

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Bürokratie ins Museum? Ganz so weit wird der Koalitionsvertrag nicht gehen, aber es soll „spürbare“ Veränderungen geben.

Compliance: Eine Standortbestimmung nach der Bundestagswahl, die geben Sie bei der Deutschen Compliance Konferenz 2025. Auch wenn bis dahin noch ein Koalitionsvertrag abzustimmen und vermutlich Friedrich Merz als Bundeskanzler zu wählen ist. Welches sind jetzt schon absehbar die wesentlichen Themen für die Compliance-Community?

Bielefeld: Wirklich neue Compliance-Themen gibt’s in den Wahlprogrammen von Union und SPD nicht. Die Union will, im Kontext der Kriminalitätsbekämpfung im organisierten Bereich, eine Zollpolizei, mehr Geldwäscheverfolgung und Gewinnabschöpfung. Generell will sie das Strafrecht verschärfen, aber eher mit Blick auf Rohheitsdelikte.

Das ganz heiße Thema wird sicherlich der vor allem von der Union versprochene „spürbare“ Bürokratieabbau. National und auf EU-Ebene sollen „echte Entrümpelungsgesetze“ her, für jedes neue sollen zwei alte Gesetze gestrichen werden. Bürokratieabbau als Thema soll sogar als Chefsache zum Bundeskanzleramt gezogen werden. Konkret sollen das LkSG abgeschafft, das Beauftragtenwesen für KMU reduziert und auch langsame Genehmigungsverfahren, etwa bei der Exportkontrolle, beschleunigt werden. Klingt ganz gut.

Interessant dürfte es auch im Bereich der arbeitsrechtlichen Compliance werden: Der Dauerbrenner Statusfeststellungsverfahren soll sowohl arbeitgeber- wie auch selbstständigenfreundlich angepasst werden. Ob zudem ein „modernes Kartellrecht“ so zu verstehen ist, dass die deutsche Wirtschaft ohne Rücksicht auf Verluste zu fördern ist, wie das gerade in der zweiten Trump-Administration mit Blick auf den FCPA passiert, wage ich hingegen zu bezweifeln.

Ganz heißes Eisen schließlich: Cyberabwehr und Cyberresilienz. Hier haut die Union richtig rein, will Deutschland zum „Weltmarktführer“ in Sachen Cybersicherheit machen und keine Bremswirkung durch EU-Recht, etwa die KI-Verordnung. Von der Anwenderseite sollen KMU steuerliche Anreize erhalten, wenn sie in gute Cyberabwehr investieren. Sie sehen: Hier wird jedenfalls im Wahlprogramm eher mit Zuckerbrot als mit Compliance-Peitsche gearbeitet.

Was davon Bestand hat, ist offen, schließlich handelt es sich bloß um bedrucktes Papier: Auf Seite 75 des Unions-Programmes steht immer noch, man wolle für eine „solide Haushaltspolitik […] an der grundgesetzlichen Schuldenbremse festhalten“.

Compliance: Diverse Compliance-Vorgaben resultieren aus dem Green Deal der EU. Der scheint gerade Stück für Stück zurückzufahren. Wie sieht die Situation in Deutschland diesbezüglich aus?

Bielefeld: Laut Wahlprogramm der Union sollen auf EU-Ebene die Taxonomie-Verordnung und die CSRD dran glauben müssen. Statt „Green Deal“ soll ein „Deal für Wettbewerbsfähigkeit“ im Sinne von weniger Bürokratie und mehr Technologieoffenheit angestrebt werden. EU-Vorgaben soll Deutschland nicht mehr als Musterschüler übererfüllen.

Compliance: Bürokratieabbau beschäftigt Brüssel gleichermaßen wie Berlin. Was wäre aus Ihrer Sicht der erste wichtigste Schritt diesbezüglich, den die neue Regierung gehen sollte?

Hier ist weniger mehr. Ich lese zwar durchaus mit Wohlwollen im Programm der Union, dass es ein frühzeitiges „EU-Forechecking“ geben soll, um Verwerfungen rechtzeitig zu erkennen und dann gegensteuern zu können. Allerdings wäre es schon einmal ein Anfang, mit den vielen Entrümpelungsvorschlägen, auch denen, die nun der Diskontinuität zum Opfer gefallen sind, auf nationaler Ebene zu beginnen.

Beim Programm der SPD kommen mir wegen des compliance-relevanten Bürokratieabbaus Zweifel: Einerseits sollen Berichtspflichten vereinfacht werden, andererseits allerlei Ziele, zu deren Verfolgung eben diese Pflichten einst eingeführt wurden, beibehalten werden. Dann wird zwar an einigen Stellen etwas über den Abbau „unnötiger“ Bürokratie geschrieben, das soll dann aber über die Gründung von Arbeitskreisen laufen und steht oft in Zusammenhang mit der Vergabe von Steuergeld oder einer vereinfachten Einwanderung nach Deutschland. Zugleich soll etwa die Landwirtschaft „digital und bürokratiearm“ gestaltet werden.

Lustig finde ich die Vorstellung, Startups mit einer so genannten „Gründerschutzzone“ eine Art Bürokratie-Welpenschutz geben zu wollen: Gründer sollen laut Union in der „Startphase“ von „bürokratischen Vorschriften“ befreit werden. Was bitte meint das? Ich erinnere mich gut an einige Ermittlungsverfahren, die ich bei Start-Up-Unternehmen begleitet habe. Da herrschte genau dieser Welpenschutz-Mindset vor und kollidierte dann mit der Arbeitsweise der Behörden, die dann zur Durchsuchung vorbeikamen, etwa der Zoll. Das führte zu einem bösen Erwachen bei manchen Gründern. Also: Gut gemeint, aber auf die Umsetzung bin ich gespannt.

Compliance: In einem Interview mit dieser Online-Zeitschrift hat Prof. Dr. Matthias Jahn, Richter am Oberlandesgericht Frankfurt a.M., sich dafür ausgesprochen, den Faden der Gesetzgebung für ein Unternehmensstrafrecht wiederaufzunehmen. Sie haben sich in der vorherigen Legislaturperiode intensiv mit dem damals geplanten Verbandssanktionengesetz beschäftigt. Nehmen die möglichen Koalitionsparteien einen neuen Anlauf?

Bielefeld: Um mit den Worten eines geschäftsführenden Bundeskanzlers zu antworten: Nö.

Tatsächlich verliert nur die SPD in ihrem Wahlprogramm über das Wirtschaftsstrafrecht einmal ein Wort: Das soll verschärft werden, um gegen „Mietwucher“ zu wirken. Das Programm der Union schweigt sich – Bürokratieabbau! – dagegen grundsätzlich über das Unternehmensstrafrecht aus.

Es sieht ganz danach aus, als würde das Unternehmensstrafrecht weitere vier Jahre – wenn es denn zu einer solchen Legislaturperiode kommen wird – sein im Kreise der Strafrechts- und Compliance-Community liebgewonnenes Zombie-Dasein fristen. Aus meiner fachlichen Perspektive finde ich das, trotz allerlei Verbesserungspotentials, nicht schlimm: Sowohl wir als Unternehmensverteidiger als auch die Staatsanwaltschaften kommen ganz gut mit dem aktuellen „Werkzeugkasten“ aus Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht klar.

Das Interview führte Christina Kahlen-Pappas.

Einen ausführlichen Vortrag von Jörg Bielefeld zu „Compliance nach der Bundestagswahl“ können Sie auf der Deutschen Compliance-Konferenz am 13. und 14. Mai 2025 in Frankfurt am Main erleben.

Abbildung 4

Jörg Bielefeld leitet als Rechtsanwalt und Partner bei Addleshaw Goddard (Germany) LLP in Frankfurt am Main das Team Wirtschaftsstrafrecht und Compliance, das Teil der internationalen Praxisgruppe Global Investigations ist. Seit 2003 ist Jörg Bielefeld im gesamten Wirtschaftsstrafrecht, der Compliance-Beratung sowie der Strafverteidigung tätig.

 
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