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CNL 2022, 2
 

„Das muss der Rechtsanwender erstmal in den Griff bekommen“

Das Lieferkettensorgfaltsplichtengesetz (LkSG) beschreitet mit seinen Compliance-Verpflichtungen viel Neuland. Im Interview erläutert Dr. Martin Rothermel, Autor des Kommentars zum Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, warum das LkSG die Rechtsanwender in den betroffenen Unternehmen vor gewaltige Herausforderungen stellt.

» Sie widmen sich in Ihrer Kommentierung zum LkSG einem komplett neuen Gesetz. Würden Sie auch sagen, dass es in dieser Form neuartig ist?

« Das LkSG ist komplett neuartig, weil es neun konkrete Compliance-Verpflichtungen enthält, statt abstrakt generell die Einhaltung von Gesetzen, Rechten und Standards zu fordern. Am ehesten vergleichbar ist das vielleicht mit dem Geldwäschegesetz, zumal dort ebenfalls der risikobasierte Ansatz, eine Verpflichtung zum Risikomanagement, zur Risikoanalyse und zur Bestellung eines Beauftragten vorgesehen ist, was dem LkSG entspricht – auch „Sorgfaltspflichten“ sind dort (im GWG) genannt. Eine weitere Nähe besteht zur Risikoanalyse in der Konfliktmineralienverordnung (3TG) sowie ihrem Durchführungsgesetz mit den dortigen behördlichen Befugnissen und unternehmerischen Mitwirkungspflichten.

Dennoch ist beim LkSG von einem Paradigmenwechsel die Rede, da die in zwölf menschenrechtliche und drei umweltbezogene Risiken gruppierten Nachhaltigkeitsbezüge auch relevant sind, wenn sie keine finanziellen Auswirkungen haben. Anders ist dies im Rahmen der nicht finanziellen Berichterstattungspflicht – dem bisher klassischen CSR-Ansatz. Zudem haben die Unternehmen nun „Soft Law“ oder sogar im Normenkonflikt mit anderen staatlichen Regelungen enthaltene Schutzniveaus zu berücksichtigen.

» Welche Parallelen zu und Rückgriffe auf bestehende Regelungen sehen Sie, die bei der „Interpretation“ des LkSG helfen können?

« Zur „Interpretation“ des Gesetzes gibt es für den Rechtsanwender einerseits zu wenig Parallelen und andererseits zu viele Rückgriffe auf bestehende Reglungen. Das LkSG – so die Gesetzesbegründung – habe Bemühungspflichten und keine Erfolgspflichten; bei genauerem Hinsehen gibt es jedoch ganz klare Handlungspflichten und in bestimmten Fällen auch Erfolgspflichten – etwa die Beendigung von Rechtsverletzungen im eigenen Geschäftsbereich. Die im Gesetz 19mal verwendete Begrifflichkeit der „Angemessenheit“ und der fünfmal im Gesetz und oft in der Begründung zitierte risikobasierte Ansatz lassen hingegen allein oft nicht erkennen, was in welcher Intensität zu tun ist. Insofern bestehen zu wenig Parallelen zu existierenden Regelungen.

» Warum sehen Sie andererseits dennoch „zu viele Rückgriffe“ auf bestehende Regelungen?

« Das LkSG verweist auf eine große Fülle an internationalen Übereinkommen, Protokollen sowie Pakte zu menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken in der Anlage zum Gesetz. Diese 300 Seiten in den 14 in Bezug genommenen Soft Law-Werken muss sich der Rechtsanwender erstmal beschaffen und sie in den Griff bekommen. Ebenso verweist die Begründung des Gesetzes auf weitere 1.100 Seiten in zwölf UN-Leitprinzipien, nationalen Aktionsplänen, OECD Leitsätzen und ähnlichem. Beinahe zynisch wirken für den Gesetzesanwender daher die in dem FAQ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) im Dezember 2021 veröffentlichten Hinweise wonach diese Referenzdokumente, eine „zusätzliche Auslegungshilfe“ seien, die „gerade zum Einstieg in das Thema Sorgfaltspflichten geeignet“ wären. An „Rückgriffen“ auf bestehende Regelungen gibt das Gesetz also eher zu viel als zu wenig.

» Auch auf EU-Ebene werden Regelungen zu Sorgfaltspflichten von Unternehmen vorbereitet. Die dortigen Forderungen übersteigen voraussichtlich die des deutschen Lieferketten Gesetzes. Welchen Einfluss hat das auf die Auslegung des LkSG.

« Die Regelungen der EU sind noch nicht greifbar.Würde sich ein Richtlinienvorschlag tatsächlich mal zum Entwurf einer Richtlinie entwickeln (nun für das Frühjahr 2022 vorgesehen) ginge noch Zeit ins Land ehe diese Richtlinie erlassen würde und dann gäbe es wahrscheinlich noch eine Umsetzungsfrist von zwei Jahren. Nach den bisherigen Diskussionen könnte sich der Anwendungsbereich erweitern, da die bisherigen Vorschläge bei 250 Arbeitnehmern ansetzen, wohingegen das deutsche Gesetz ja 1.000 bzw. 3.000 Arbeitnehmer erfordert. Unabhängig vom Sitz eines Unternehmens könnte bereits die Geschäftstätigkeit in der EU ausreichen und neben Bußgeldern oder sogar strafrechtlicher Haftung auch eine zivilrechtliche Haftung mit sich bringen. Es ist also im Moment fraglich, ob und in wie fern in naher Zukunft eine Veränderung des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) durch die EU-Maßnahmen ansteht. Daher kann man diese vage Entwicklung auch für eine Auslegung des deutschen Gesetzes nicht gebrauchen.

» Wäre denn eine baldige EU-weite Reglung überhaupt wünschenswert?

« Ja, um etwaige Wettbewerbsnachteile deutscher Unternehmen zu vermeiden und – noch wichtiger – durch vereinheitlichte Ansätze (Safe Harbor) auf EU-Ebene die Risikoanalyse und -vermeidung zu vereinheitlichen. Im Moment sind die deutschen Unternehmen aufgefordert, eigene Verständnisse des Gesetzes zu entwickeln und – jedes für sich – mehr oder weniger ähnliche oder gar gleiche Fragen im eigenen Geschäftsbereich bzw. bei Geschäftspartnern zu stellen. Das scheint vor allem ineffizient. chk

Abbildung 1

Dr. Martin Rothermel leitet die deutsche Practice Area Commercial Agreements & Distribution einer internationalen Wirtschaftskanzlei. Er berät Unternehmen bei der Vertragsgestaltung und vertritt sie vor nationalen Gerichten wie auch in internationalen Schiedsverfahren; zudem lehrt er internationales Handelsrecht an Universitäten wie auch für Verbände, Kammern und Seminaranbieter.

 
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