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CNL 2023, 5
Bielefeld 

„Ich fühle mich beraubt, wenn Regeln keinen Sinn ergeben.“

Zum Jubiläum der Fachzeitschrift Compliance-Berater zieht Jörg Bielefeld ein Resumee zur Entwicklung der Compliance in den vergangenen zehn Jahren. Ganz zufrieden ist er nicht mit dem Status quo. Trotzdem ist sein Fazit: Compliance funktioniert.

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Der Compliance-Berater feiert Geburtstag: Grund genug, auf die Entwicklung der Compliance in den vergangenen zehn Jahren zurückzuschauen.

Zehn Jahre! Eine Dekade lang befassen wir uns im Compliance-Berater aus den verschiedensten Perspektiven mit der Frage, wie Compliance besser funktionieren kann. Aus der Perspektive von Praktikern aus den verschiedensten Disziplinen und mit vielfältigen beruflichen Hintergründen – mit Praktikern als Zielgruppe.

Zehn Jahre. Es fühlt sich länger an, weil in dieser Zeit viel passiert ist: Die Szene hat sich professionalisiert. Prozesse und Methoden wurden verfeinert. Standards erfunden, ergänzt, überholt. Mehrere Berufsverbände wurden gegründet. Staatsanwaltschaften und andere Behörden sind auf Zack. Verbandsgeldbußen sprudeln. Strafverfolger schießen gern übers Ziel hinaus und sind heute schnell bei der Hand mit Untreuevorwürfen, wenn eine teure interne Untersuchung zu „verteidigend“ rüberkommt. Bei Compliance Officern wird auch zu Hause durchsucht. Und Compliance Professionals haben die Chance, aus erster Hand zu erfahren, wie Richter eigentlich Compliance sehen – so etwa auf der Deutschen Compliance Konferenz diesen Mai in Frankfurt am Main.

Lassen Sie uns zu den zehn Jahren noch einmal einige Jahre draufpacken: In der Kriminologie zerbrachen sich damals Wissenschaftler ihre klugen Köpfe, was wirken könnte, um etwa Straftäter wieder in die Spur zu bringen: Milde? Strenge? Nachsicht und Unterstützung? Schnelle, knackige Strafen nach den Schlagworten „sharp, short, shock“? Drohung mit dem Untergang mit „three strikes and you are out“? Manche Forscher, unter anderem aus den insoweit gebeutelten USA, vertraten den Standpunkt: Original genau nix wirkt, „nothing works“, die tradierten Regeln, Behörden, Knäste müssen weg. Umfassende Forschung aus Skandinavien zeigte, dass Haftstrafen keinen positiven Einfluss auf die Rückfallquote von Straftätern hatten.

Für solche Fragen „brannte“ ich vor über 25 Jahren im Studium. Und heute? Auch im Feld der Compliance stellen sich mehr denn je ganz ähnliche Fragen: Was wirkt? Dabei geht es mit Blick auf die Motivation zur Suche nach einer Antwort schon lange nicht mehr um bloße ABC-Compliance, sondern auch um Teilhabe. Junge Menschen legen beim Berufsstart Wert darauf, in einem Umfeld der Mindfulness zu arbeiten. Statt stark in Korruption und Kartellabsprachen lieber stark in ESG sein – ein Fest für die Behavioral Compliance, nicht wahr? Und, falls Ihnen bzw. Ihrem CFO die klingende Münze eher liegt als das Umgarnen des wählerischen Nachwuchses: Wenn Sie heute zum Beispiel im Automotive-Sektor als Dienstleister berücksichtigt werden und Aufträge an Land ziehen möchten, dann müssen Sie sich den kritischen Compliance-Fragen auf Qualifikationsplattformen stellen. Auch, wenn Sie als agiler Laden ESG grundsätzlich gut finden, aber zugleich als ein Unternehmen mit einigen hundert Beschäftigten gar nicht auf das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz verpflichtet sind, heißt es dann: Sie sind leider raus, denn der Richtlinienthemenbereich „Ethische Rekrutierung“ oder Vorgaben zu „Rechten von Minderheiten und indigenen Völkern“ stehen nicht in Ihrem Code of Conduct. Das ist leider kein Scherz.

An Motivation fehlt es also nicht, wenn wir uns fragen: „What works“? Compliance hat auch eine deutlich größere Lobby als Strafgefangene. Vielleicht bezeichnet sich deshalb alle elf Minuten ein Strafverteidiger auch als Compliance-Spezialist. Beides kann man gut finden oder nicht. Wichtig ist der ständige, konstruktive Austausch. Passend dazu ist einer der großen gemeinsamen Nenner für gelungene Compliance die Compliance-Kommunikation. Auch auf der diesjährigen Deutschen Compliance Konferenz wird es darum gehen.

Was wäre da naheliegender, als sich als Complianceberater im Compliance-Berater einmal ehrlich zu machen? Ja, ich oute mich. So manche Compliance-Regeln nerven mich, auch, wenn sie hübsch verpackt sind. Wenn man sie am eigenen Leib zu spüren bekommt, ist es schnell vorbei mit salbungsvollen Worten zum tone from the top. Moment mal: Habe ich das gerade wirklich geschrieben? Kann ich das ernst meinen? Was ich meine und womit ich im Arbeitsalltag meine Probleme habe sind Regeln, zu denen mir als Adressat der Kontext fehlt. Ich habe ein Problem damit, Regeln einzuhalten, die ich zwar gefühlt alle sechs Monate in „leichter Sprache“ in Erklärvideos vorgesetzt bekomme, aber deren Sinn und Zweck ich nicht verstehe. Oder, schlimmer noch: Wenn ich sehe, dass diese Regeln keinen Sinn ergeben. Wenn eine solche Regelbefolgung dann in gefühlt sinnfreie Arbeit ausartet, dann fühle ich mich beraubt. An Freizeit mit meiner Familie. An „billable time“. Oder an Zeit und Muße, diese Zeilen aufs Papier zu bringen. Die Lösung: Kommunikation. Diesmal als Betroffener mit den Regelsetzern. Und siehe da: Es gibt einen Hintergrund für die scheinbar sinnlosen Regeln. Und eine Lösung für den Teil, der tatsächlich überflüssig ist. Ergebnis: Schlankeres Regelwerk, weniger Generve, wieder was gelernt. Gelebte Compliance.

„Nothing works“, also? Nein, eher „something works“. In kleinen Schritten. Mit der Erkenntnis, dass Regeln ausnahmslos eines gut kommunizierten (sic!) Unterbaus bedürfen, um zu wirken. Sie müssen nicht jedem gefallen. Aber sie müssen klar und deutlich erklärbar sein. Dazu müssen wir einander zuhören und dazu Gelegenheit, einen angemessenen Rahmen schaffen. Die Idee „Compliance meets Business“, um eine solche Gelegenheit zu nutzen, hatten wir bereits miteinander diskutiert. Und es gibt noch viele weitere, sinnvolle Ansätze. Wie ein befreundeter Kollege (der auch auf der diesjährigen Deutschen Compliance Konferenz vortragen wird) mir kürzlich beim Abendessen sagte: „Es ist doch toll, wenn Du als Compliance Officer so viel Gemecker in Deinem Hinweisgebersystem findest. Da redet immerhin einer mit Dir. Nutze das!“ Recht hat er, kann ich sagen. Und möchte ergänzen: Nichts wirkt für einen „Regelsetzer“ als Korrektiv besser als die persönliche Erfahrung, selbst von Compliance-Pflichten „betroffen“ zu sein.

In zehn Jahren sehen wir weiter. Bis dahin an all die Kriminologen in der Compliance-Community: Abolitionismus Vierpunktnull? No way! Compliance funktioniert. Man muss sich nur richtig darauf einlassen und nicht versuchen, das Problem zu ändern, wenn die Lösung nicht passt.

Jörg Bielefeld

Abbildung 6

Jörg Bielefeld ist Rechtsanwalt und Partner im Frankfurter Büro der Kanzlei Addleshaw Goddard (Germany) LLP und leitet das deutsche Team Wirtschaftsstrafrecht & Compliance als Teil der internationalen Global Investigations-Gruppe. Er ist Herausgeber des Compliance-Beraters.

 
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