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CNL 2020, 7
Ritzenhoff/Schwarz 

Mehr als Compliance nach Gesetz

Integrität als maßgebliches Element der Unternehmenskultur: Doch was ist Integrität? Und was bedeutet es für Unternehmen, Führungskräfte und Mitarbeiter zu integrem Verhalten anzuhalten?

Abbildung 9

„Integrity Map“: Sie stellt die wichtigsten Erfolgsfaktoren für gelebte Integrität im Unternehmen zusammen und systematisiert sie.

Seit wenigen Wochen liegt der nunmehr offizielle Entwurf für das neue Verbandssanktionengesetz des Bundesjustizministeriums vor. Ein Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung hält es für ein „semantisches Manöver“, dass die 68 Paragraphen nicht mehr den Namen „Gesetz zur Bekämpfung von Unternehmenskriminalität“ tragen. Die neue Überschrift „Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ sei ein Kompromiss mit Wirtschaftsunternehmen und dem Wirtschaftsministerium.

Doch das BMJ formuliert mit dem neuen Gesetzestitel – nimmt man ihn wörtlich – einen Anspruch an Unternehmen, der sogar noch viel weiter reicht, als die Umsetzung von Compliance: Unternehmen sollen integer sein. Doch was ist Integrität? Und was bedeutet es für Unternehmen, Führungskräfte und Mitarbeiter zu integrem Verhalten anzuhalten?

Es gibt keine einheitliche Definition von Integrität in der Wirtschaft. Fachwelt und auch Unternehmen, die sich den Begriff als Wert in ihre DNA schreiben, tun sich mit einer eindeutigen Begriffsklärung schwer. Fest steht: Integrität in Unternehmen ist weit mehr, als die Einhaltung von Gesetzen. Sie beschreibt die Konsistenz zwischen der Haltung und der Handlung unter Einbezug ihrer Auswirkungen auf andere. In Abgrenzung dazu bedeutet Compliance die Beachtung und Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der internen Richtlinien.

Wie Integrität in Unternehmen gelingen kann, ist schon vielfach in der Fachliteratur beschrieben worden. Die „Integrity Map“ (siehe Abbildung) stellt die wichtigsten Erfolgsfaktoren für gelebte Integrität im Unternehmen zusammen und systematisiert sie. Es ist aus der Praxis heraus entstanden und dient als Landkarte zur Orientierung, wenn konkrete Ansatzpunkte gefunden werden sollen, um entweder Integrität im Unternehmen zu stärken oder die Wurzeln von systemisch bedingtem, wiederkehrendem Fehlverhalten zu finden. Der Maßstab ist bewusst groß gewählt, weil es darum geht, einen Überblick zu haben und weniger darum, individuelle Details zu analysieren.

Das Modell ordnet die Erfolgsfaktoren für Integrität in zwei Dimensionen ein. Zum einen differenziert es zwischen Person und Organisation: Geht es zum Beispiel darum, Personen mit den richtigen Fähigkeiten in der passenden Rolle zu haben oder um die Gestaltung von Prozessen und Strukturen zugunsten einer gelebten Integrität?

Zum anderen unterscheidet das Modell zwischen Haltung und Handlung. Gilt es an grundlegenden Fragestellungen im Unternehmen zu arbeiten, wie der eigenen Haltung oder der Strategie, oder werden Hilfestellungen für die Umsetzung, also für konkrete Arbeitssituationen benötigt?

Alle Aspekte, egal wo in der Vier-Feld-Matrix sie sich einordnen lassen, sind immer Teile eines dynamischen, lernenden Systems, die sich gegenseitig beeinflussen.

Unternehmen stehen zudem einer Vielzahl von Stakeholder-Erwartungen, anspruchsvollen Veränderungen im Umfeld sowie dem Wertewandel der Gesellschaft gegenüber. Und obwohl dies zweifellos große Herausforderungen sind, sollten Unternehmen als erstes das anpacken, was sie direkt und unmittelbar beeinflussen können – ihre eigene Integritätskultur.

Wichtige Erfolgsfaktoren für gelebte Integrität im Unternehmen sind:

1. Personen und ihre Haltung: Vorbilder leben als Kulturträger Integrität vor. Hier geht es zum Beispiel um das Einstellen und Befördern von Mitarbeitenden, die andere inspirieren, das Richtige zu tun, auch wenn keiner hinsieht.

2. Personen und ihr Handeln: Verantwortungsvolle Führung heißt wertebasiert entscheiden und die Basis für angstfreie Kommunikation schaffen.

In der Umsetzung bedeutet das unter anderem, einen geschützten Raum für offenen Diskurs oder das Ansprechen und Auflösen von Dilemmata zu etablieren und zu erhalten.

3. „Haltung“ – also die Ausrichtung der Organisation: Konsistenz und Glaubwürdigkeit durch eine wertebasierte Unternehmensstrategie. Integrität kann sich entfalten, wenn Werte, Strategie und Initiativen sich nicht widersprechen – die Analyse dieser Konsistenz ist ein erster wichtiger Schritt, um die Wurzel von vielen Dilemmata zu beseitigen.

4. Die Schnittmenge von Integrität und Compliance – Handeln im Unternehmen: Good Corporate Governance umsetzen durch klare Verhaltensgrundsätze und angemessene Konsequenzen. Es geht darum, einen Rahmen zu setzen, der durch Klarheit Sicherheit im Handeln gibt und gleichzeitig Verantwortungsspielraum lässt – umsetzbar etwa durch transparente Kommunikation nicht nur der Regeln, sondern auch der möglichen Konsequenzen.

In der Messung dieser Erfolgsfaktoren liegt eine große Chance, sie schafft Verbindlichkeit und Sicherheit im Umgang mit dem schwer zugänglichen Thema Integrität.

Deutlich wird, Integrität ist mehr als Compliance. Sie liegt in der Verantwortung aller Mitarbeitenden, ganz besonders der Führungskräfte und sollte im Schulterschluss von Unternehmensleitung, Compliance und Integritätsmanagement, HR und Kommunikation gefördert und gefordert werden. Das Gesetz wird helfen, Integrität und Compliance-Aktivitäten in Unternehmen zu stärken, jedoch werden Unternehmen weit über Recht und Compliance hinausdenken müssen, um Integrität zur gelebten Unternehmenswirklichkeit zu machen.

Christina Ritzenhoff und Carolin Schwarz

Lesen Sie auch den ausführlichen Beitrag in Ausgabe 9 des Compliance-Beraters, die am 26. August 2020 erscheint.

Abbildung 10

Carolin Schwarz ist Expertin für wertebasierte Unternehmensführung und strategische Organisationsentwicklung. Sie hat das Integritätsmanagement eines DAX30-Konzerns in direkter Berichtslinie an den Vorstand aufgebaut und viele Jahre geleitet. Kontakt: orientation@integrity-map.de

Abbildung 11

Christina Ritzenhoff ist selbständige Beraterin für strategische Kommunikation. Sie war Mitglied der Geschäftsleitung von Scholz & Friends Agenda in Berlin. Dort beriet sie zwölf Jahre Institutionen, Stiftungen, Verbände und Unternehmen bei gesellschaftspolitischen Kampagnen. Kontakt: orientation@integrity-map.de

 
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