Verbandssanktionengesetz – ein Fall für den Reißwolf?
Aus dem politischen Berlin kommen immer mehr Signale, dass das Vorhaben eines Verbandssanktionengesetzes (VerSanG) für diese Legislaturperiode wohl „gescheitert“ ist. Dabei ist es müßig darüber zu spekulieren, was – sollten sich die Hinweise bestätigen – dem VerSanG letztendlich den Reißwolf beschert hat.
Wie geht es weiter mit dem Verbandssanktionengesetz: Aktuell deutet vieles darauf hin, dass die Regelungen in dieser Legislaturperiode nicht mehr beschlossen werden.
Tatsache ist, dass ein Gesetz mit dem Schwerpunkt einer verstärkten Unternehmenssanktionierung in Zeiten von Corona mit seinen einhergehenden Belastungen für die Wirtschaft für viele Politiker nur noch schwer vermittelbar war. Auch das Gesetzgebungsmanagement wies von Anfang an Schwachstellen auf. Viel zu früh (August 2019) wurden „inoffiziell“ die Medien informiert und Entwürfe verbreitet, die Spekulationen befördert haben. Gleichzeitig wurde die Diskussion seitens der staatlichen Stellen nicht immer angemessen begleitet und moderiert. Als es dann im April 2020 zur offiziellen Veröffentlichung des Referentenentwurfes kam, wurde den Verbänden und Interessenvertretern zwar eine Stellungnahmefrist bis Juni eingeräumt. Nach deren Ablauf wurde der Regierungsentwurf allerdings nach nur vier Tagen vom Kabinett beschlossen, ohne dass substanzielle Änderungen vorgenommen und Empfehlungen der größtenteils sehr differenzierten Verbandsstellungnahmen aufgegriffen wurden. Eine Vorgehensweise, die viele Verbandsvertreter nicht nur vor den Kopf gestoßen, sondern bei ihnen auch ein Gefühl der Ohnmacht hinterlassen hat. Vorschläge und Empfehlungen der Praktiker wurden schlicht nicht beachtet, geschweige denn berücksichtigt. Spätestens als der Bundesrat im Herbst 2020 sowie zahlreiche Wirtschaftsvertreter aus den Ländern teilweise Fundamentalkritik an dem Gesetzesvorhaben äußerten, hätte man seitens des BMJV umsteuern müssen. Geschehen ist nichts. Das Gesetz liegt seit Oktober 2020 unverändert im Bundestag. Dabei wurde viel Vertrauen verspielt, welches es gilt, in der kommenden Legislaturperiode wieder zurück zu gewinnen.
Alles in allem sah der Gesetzentwurf aber durchaus auch verheißungsvolle Ansätze vor. Dass die Unternehmens-Compliance fortan als elementarer Bestandteil an vielen Stellen (Sanktionszumessung, Sanktionsvorbehalt und Einstellungen) Berücksichtigung finden sollte, war ein erfreuliches und deutliches Signal an die Wirtschaft, dass sich Investitionen in Integrität und werteorientiertes Handeln lohnen. Auch wurde durch die Wirtschaft positiv gewertet, dass die internen Untersuchungen auf eine solide rechtliche Grundlage gestellt werden und durch die Schaffung eines gestuften Anreizsystems die Kooperation zwischen Strafverfolgern und Unternehmen gefördert werden sollte. Den Unternehmen war aber auf der anderen Seite von vornherein klar, dass die planlose Etablierung des Legalitätsprinzips im VerSanG bei gleichbleibend dünner Personaldecke in den Justizverwaltungen für die Wirtschaft eine unkalkulierbare Gefahr darstellen würde. Lange und aufreibende Sanktionsverfahren mit den einhergehenden Reputationsrisiken sind für Unternehmen ein Schreckensszenario.
Klar ist, dass – sollte das VerSanG tatsächlich der Diskontinuität zum Opfer fallen – ein ähnliches Vorhaben auch in der kommenden Legislaturperiode wieder auf der Tagesordnung stehen wird. Zu stark ist der Druck von europäischer Seite, das Unternehmenssanktionssystem hierzulande den europäischen Standards anzupassen. Auch bleibt es wichtig, die Strafverfolgungsgleichheit in Deutschland im Bereich der Wirtschaftskriminalität herzustellen. Denn es kann nicht vom Sitz des Unternehmens abhängen, ob es zu einem Verfahren kommt oder nicht. Einer künftigen Regierung sei geraten, die Entwürfe von Anfang an besser mit den Verbänden, den Unternehmen, mit der Justiz und den Praktikern abzustimmen, um damit mehr Gleichklang – auch mit der Wirtschaft – herzustellen. Unternehmen sollten nicht unter Generalverdacht gestellt werden. Die gesetzgeberische Grundhaltung muss von Vertrauen in eine weitgehend effektive Selbstregulierung der Wirtschaft getragen sein. Sanktionen müssen – dort wo wichtig – verhängt und ggf. verschärft werden. Es muss den Unternehmen aber auch die nötige Beinfreiheit zugestanden werden, die Missstände intern zu bewältigen. Dabei wird es in einem (künftigen) Gesetzgebungsvorhaben vor allem wichtig werden, nicht jede Verfehlung eines leitenden Mitarbeiters automatisch in ein staatliches Verfahren gegen das Unternehmen münden zu lassen. Das Vorhandensein eines effektiven Compliance-Programms sollte den Unternehmen auch die Möglichkeit eröffnen, bereits frühzeitig die Einleitung eines solchen Verfahrens gegen sie zu vermeiden. Man darf gespannt sein, wie sich eine neue Bundesregierung dazu positionieren wird.
Rechtsanwalt Dr. Martin Petrasch
Dr. Martin Petrasch, ehemaliger Staatsanwalt/Richter am Landgericht, seit 2011 Syndikusrechtsanwalt und seit 2020 Leiter Internal Investigations Europa in einem Großkonzern.