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CNL 2020, 2
 

Verbandssanktionengesetz: Jetzt ist der Entwurf amtlich

Ende April hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft veröffentlicht. Darin enthalten auch das Gesetz zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten (Verbandssanktionengesetz – VerSanG). In diesem Beitrag gibt Jörg Bielefeld einen ersten Überblick zu den Änderungen gegenüber dem bisherigen nicht offiziell veröffentlichten Entwurf des VerSanG vom August 2019.

Abbildung 1

In der Büßerecke: Auf Unternehmen kommen mit dem nun offiziellen Entwurf zum VerSanG einige Änderungen zu.

Gerade in Corona-Zeiten geht unter Anwälten das Bonmot um, dass man ja mit Abstand am besten sei. Die Verknüpfung von Abstandsregeln, Wortspielen und dem Reifegrad von Referentenentwürfen ist zugegebenermaßen etwas bemüht, jedoch: Etwas über acht Monate vergingen vom 15. August 2019 bis zum 20. April 2020. Die beiden Daten beziehen sich auf den jeweiligen Bearbeitungsstand zweier Referentenentwürfe eines Gesetzespakets. Während der erste Entwurf, obschon von Insidern als „Presse-Entwurf“ bezeichnet, niemals offiziell vorgestellt wurde, ist der zweite Entwurf seit dem 22. April 2020 und damit pünktlich nach Redaktionsschluss zum Download verfügbar. Aus einem Entwurf eines Gesetzes „zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität“ ist ein solcher „zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ geworden.

Was beide Entwürfe eint: In deren Artikel 1 findet sich jeweils der bereits auch im Compliance-Berater viel diskutierte Entwurf eines „Gesetzes zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten“, des so genannten Verbandssanktionengesetzes (VerSanG-E).

Was hat sich im VerSanG-E geändert? In erster Linie viele Kleinigkeiten. Manche davon sind klarstellender Natur. Dies beginnt schon mit § 1 S. 1 VerSanG-E zu dessen Regelungsbereich: Nur Verbände, „deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist“, sind nach dem VerSanG-E zu sanktionieren. Dies schärft bewusst den Fokus auf Unternehmen. Während die Definitionen von Verbänden und der für sie tätigen Leitungspersonen unverändert bleiben, mildert § 2 Abs. 1 Nr. 3 VerSanG-E dezent die Bezeichnung des zu sanktionierenden Verhaltens: aus „Verbandsstraftat“ wurde „Verbandstat“. Eine schlaue Korrektur, wollten die Entwurfsverfasser doch von Anfang an gerade nicht von einem Unternehmensstrafrecht sprechen. An der Mechanik ändert sich nichts: Weiterhin sind gerade Straftaten von Mitarbeitern relevanter Anknüpfungspunkt für Verbandssanktionen.

Eine echte Entschärfung ist ebenfalls umgesetzt. Was sich schon Ende 2019 herumsprach, ist nun der einzige Grund dafür, dass der „neue“ VerSanG-E einen Paragraphen weniger zählt als der Erstentwurf: Die „Todesstrafe für Unternehmen“, die der Erstentwurf als sogenannte Verbandsauflösung vorsah und in § 14 näher definierte, ist ersatzlos gestrichen.

Weiterhin bemerkenswert: Es gibt kaum Änderungen bei den besonders zu belohnenden internen Untersuchungen (nun in §§ 16 bis 18 VerSanG-E geregelt). Am bedeutendsten ist, dass die Milderung der Verbandssanktion nun keine „Kann“-, sondern eine „Soll-Vorschrift“ geworden ist (§ 17 Abs. 1 VerSanG-E). Das bringt einen höheren Grad von Verbindlichkeit. Bei kumulativer Erfüllung sämtlicher Vorgaben des § 17 ist ein Gericht in seinem Ermessen gebunden und soll eine Verbandsgeldsanktion um 50 % mildern (Entwurfsbegründung, Seite 98).

Ansonsten wurde Kosmetik betrieben: Die ehemals vorgesehenen sechs Prinzipien und drei Grundsätze (hierzu Bielefeld im Compliance-Berater 11/2019), die zur Erlangung einer Milderung führen konnten, wurden vordergründig um ein Prinzip reduziert. Geblieben sind mit dem Aufklärungsprinzip, Trennungsprinzip, Unterwerfungsprinzip, Herausgabeprinzip und Fairnessprinzip zum Teil vielfach kritisierte und weitreichende Auflagen, die es zu erfüllen gilt. Die drei Grundsätze, wie mit Mitarbeitern bei Interviews im Zuge interner Untersuchungen umzugehen ist, bleiben ebenfalls unverändert. Der Informations- und Beratungsgrundsatz sowie der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit sollen also auch weiterhin ein hohes Schutzniveau für Mitarbeiter garantieren. Stimmen von Praktikern, die auf Nachteile bezüglich der Ergiebigkeit von Interviews hinwiesen, blieben damit bislang ungehört. Selbst das nun entfallene Complianceprinzip (ehem. § 18 Nr. 6) wird hinterrücks beibehalten: Die Entwurfsverfasser führen es nun als „selbstverständlich“ in der Entwurfsbegründung an, da der Staat nur „gesetzestreues Verhalten mit einer Sanktionsmilderung honorieren“ könne (Entwurfsbegründung, Seite 98).

Eine bereits zuvor schon logische Voraussetzung ist nun in § 17 Abs. 3 S. 2 VerSanG-E ausdrücklich hervorgehoben: Gibt ein Unternehmen Ergebnisse zu spät heraus, ist eine Milderung nach § 17 Abs. 1 VerSanG-E ausgeschlossen. Wer erst nach Eröffnung des Hauptverfahrens Unterlagen übergibt, der trägt vielleicht zur gerichtlichen, nicht aber zur vorherigen behördlichen Aufklärung durch die Staatsanwaltschaft bei. Letztere wird vorab ohnehin Ergebnisse abfragen und anfordern. Non-Compliance wäre als Verstoß gegen Unterwerfungs- und Herausgabeprinzip schon ein Ausschlussgrund für eine Sanktionsmilderung nach § 17 Abs. 1 VerSanG-E.

Ungelöst bleibt die rechtspolitisch bereits im Frühjahr 2019 diskutierte Frage (Plenarprotokoll des Deutschen Bundestages, 19. Wahlperiode, Seite 11.476), ob Unternehmen es akzeptieren werden, sich bei internen Untersuchungen auf die im Entwurf vorgesehene Weise Staatsanwaltschaften zu unterwerfen, um einen Sanktionsnachlass von 50 % zu erreichen. Genügende Anreize zur Kooperation bei internen Untersuchungen und für eine bessere, wirksamere, kurz: wirklich gelebte Compliance haben die Entwurfsverfasser zwar geschaffen. Sie haben leider zugleich mit dem unverändert belassenen Herausgabeprinzip ein vom Risikopotential her kaum zu definierendes Gegengewicht gesetzt, dass der Anreiz zur Kooperation gerade bei internen Untersuchungen in komplexeren Fällen operativ äußerst mager ausfallen wird.

Wir können hoffen, dass die eingangs bemühte Corona-Abstandsregel für den weiteren Entstehungsprozess des von der Bundesregierung noch nicht beschlossenen VerSanG-E noch Fortschritte bringt: Das BMJV hat zahlreiche Verbände mit Schreiben vom 21. April 2020 aufgefordert, ihre Stellungnahmen zum Entwurf bis zum 12. Juni 2020 einzureichen. Genug Zeit und Abstand zum Nachdenken und Nachbessern ist also vorhanden.

Abbildung 2

Jörg Bielefeld ist Rechtsanwalt und Partner bei BEITEN BURKHARDT in Frankfurt und München. Er leitet den Bereich Wirtschaftsstrafrecht und Compliance.

 
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