Würde den Wegfall des LkSG niemand bemerken?
Die Zukunft des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) ist ungewiss. Die Bundesregierung kündigte im Juli 2024 in der „Wachstumsinitiative“ an, den Anwendungsbereich des Gesetzes im Hinblick auf die Umsetzung der CSDDD einzuschränken. Im Oktober zitierten zahlreiche Medien Robert Habeck mit der Äußerung, man solle die „Kettensäge anwerfen und das ganze Ding wegbolzen“; Bundeskanzler Olaf Scholz sagte am 22. Oktober 2024 beim Arbeitgebertag in Berlin, das Gesetz „komme weg“ – ließ aber später klarstellen, es gehe nicht um eine Abschaffung, sondern lediglich eine Lockerung. Aber was ist nun der richtige Weg? Hierzu stellt Holger Hembach Argumente gegen eine Extremposition, die auch die CDU im Bundestag im Oktober 2024 durchsetzen wollte und beantwortet die Frage: „Weg mit dem LkSG?“
Kinderarbeit: Sie ist keine „andere Wertvorstellung“, sondern verstößt gegen international anerkannte Menschenrechte.
„Den Wegfall des LkSG wird niemand bemerken“, bezog auch Malte Passarge jüngst im CB und in dieser Online-Zeitschrift Stellung zur Diskussion. Es sei begrüßenswert, dass die Regierung zu einer Abschaffung des Gesetzes tendiere und er merkte an: Das Gesetz zeuge von „moralischem Imperialismus und Paternalismus“, mit dem „saturierte westliche Gesellschaften“ in die „Gesetzgebung und Umwelt- und Arbeitsstandards anderer Länder eingreifen“ wollten. Hier würde ignoriert, dass andere Länder „möglicherweise andere Interessen und Wertvorstellungen“ hätten.
Doch in Wirklichkeit geht es beim LkSG weder um Moral noch um Wertvorstellungen. Das Gesetz schützt internationale anerkannte Menschenrechte. Welche das genau sind, spezifiziert es in einem Anhang. Dort sind die ILO-Kernarbeitsnormen genannt. Das sind internationale Übereinkommen, die sich mit dem Verbot der Kinderarbeit, dem Verbot der Zwangsarbeit, dem Diskriminierungsverbot und der Gewerkschaftsfreiheit befassen. Sie sind unter dem Dach der Internationalen Arbeitsorganisation ILO geschlossen worden und von ihren 187 Mitgliedsstaaten weitgehend ratifiziert, beispielsweise das ILO-Übereinkommen 29 zum Verbot der Zwangsarbeit 181 Staaten, das ILO-Übereinkommen 182 zum Verbot der schlimmsten Formen der Kinderarbeit 187. Im Jahr 1998 gab die ILO die „Erklärung über Grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit“ ab. Nach dieser sind die Prinzipien, die in den ILO-Kernarbeitsnormen verankert sind, so wichtig, dass alle ILO-Mitgliedsstaaten sie anerkennen müssen – unabhängig davon, ob sie die entsprechenden Übereinkommen ratifiziert haben.
Außerdem schützt das LkSG die Rechte, die im „Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte“ und im „Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte“ verankert sind. Auch diese sind weltweit weitgehend ratifiziert.
Das LkSG hat also nichts mit den Standards „saturierter westlicher Staaten“ zu tun. Und wenn in Ländern des Globalen Südens die Verletzung von Menschenrechten häufiger vorkommt als hierzulande, liegt das auch nicht an „anderen Interessen und Wertvorstellungen“. Weder ist die Regierung Indiens eine engagierte Verfechterin der Schuldknechtschaft, noch befürwortet man es im Kongo allgemein, dass Achtjährige mit Spitzhacken Kobalt aus der Erde kratzen.
Es fällt nur den Regierungen bestimmter Länder schwerer, Rechte auch durchzusetzen, zu denen sie sich bekennen. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Einer ist die Schwäche staatlicher Strukturen (siehe beispielsweise den Bericht über die Korruption bei den Verhandlungen des „Deals of the Century“ über chinesischen Zugang zu Rohstoffen in der Demokratischen Republik Congo). Natürlich gibt es auch Länder, in denen Zwangsarbeit bewusst von der Regierung eingesetzt wird, beispielsweise China, Nordkorea oder Turkmenistan – aber kann das Argument wirklich sein, wir müssten diese „anderen Wertvorstellungen“ akzeptieren?
Ein anderer Grund ist die ungleiche Verteilung der Kräfte in globalen Lieferketten. Der Preisdruck westlicher Unternehmen führt oft dazu, dass Erzeuger faire Arbeitsstandards nicht einhalten können. Deshalb sind westliche Unternehmen in der Verantwortung. Wie die Evaluierung gezeigt hat, die der Verabschiedung des LkSG voranging, sind sie dieser Verantwortung lange nicht gerecht geworden. Das ist allerdings nicht allein die Schuld der Unternehmen. Sie stehen im Wettbewerb und sind ihrerseits Druck ausgesetzt. Das LkSG sorgt für gleiche Bedingungen, indem es Unternehmen auf den Schutz anerkannter Menschenrechte verpflichtet, und trägt so zu höheren Standards weltweit bei. Die Antwort auf die Frage, ob niemand den Wegfall des LkSG bemerken würde und es daher „weg kann“, ist daher ein klares Nein.
Holger Hembach
Holger Hembach ist Rechtsanwalt. Er berät zur EMRK und zum Thema Wirtschaft und Menschenrechte und ist Autor eines Buches zum LkSG.