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DIVRUW 2023, 80
Klindt 

Prof. Dr. Thomas Klindt

Diversität im Recht. Mit Recht.

Abbildung 35

Als ich angefragt wurde, diese Seite zu verfassen, schloss sich eine provokante Folgefrage an: was bitte hatte mich als weißer, heterosexueller, rechtshändiger, ex-katholischer, verheirateter Ü50-cisMann und Vater von fünf Kindern (mit derselben Frau!) eigentlich dafür qualifiziert? Hinter einer solchen Frage steckte indes ein Missverständnis: Diversity ist kein Betroffenheits-Aspekt, und Diversity-Recht ist kein Betroffenenrecht. DEI (engl. für Diversity, Equity, Inclusion) ist vielmehr eine zentrale charakterliche, politische, wirtschaftliche, soziale und rechtliche Haltungsfrage im 21. Jahrhundert, die – das allerdings leider ohne Zweifel – in der globalisierten Welt unterschiedlich in die jeweilige gesellschaftliche DNA implementiert ist.

Das größte Missverständnis über Diversität ist die verbreitete Wahrnehmung, es sei ein Anbiedern an Minderheiten. Es sei ein Gefallen, den die Vielen den Wenigen tun. Oder umgekehrt: Es sei eine Herrschaft von Minderheiten über Mehrheiten (wobei Minderheitenschutz übrigens a priori disproportional sein muss). Mehrheiten müssen oft erst behutsam erklärt bekommen, wie sie mit Minderheiten umgehen können. Und jeder von uns ist nicht nur divers, sondern erlebt sich oft als Teil einer Mehrheit. Gerne dann auch: Diversity sei ein medial gehyptes Chi-Chi & Bling-Bling urbaner Hipster mit missionarischem Eifer. Vom gedanklich feigen Vorwurf der angeblichen Wokeness ganz zu schweigen. Doch im Gegenteil: Diversität ist die selbstverständliche Anerkennung von Nicht-Gleichheit, von menschlicher Verschiedenheit. Jeder ist divers – bei manchen dauert es nur länger, bis sie ihren Diversitätsfleck entdecken. Sich zu dieser Vielfältigkeit zu bekennen, bedeutet zu wissen, dass Vielfalt sodann Fortschritt und nachhaltige Entwicklung evoziert. Ohne Vielfalt haben wir Monokulturen; die sind nicht nur in der Natur sehr anfällig. Und doch müssen wir behutsam aufpassen: Es geht um Integration, nicht um Segregation; es geht um Toleranz, nicht Dominanz. Der gute Wunsch, allen gesellschaftlichen Gruppen Relevanz zu geben, kann zu wechselseitigen Abstoßungsreaktionen führen. Es entstehen dann guarded areas, intellektuell.

Um all die mit Diversity verbundenen, vorrangig rechtlichen und wirtschaftlichen Erfolge, Ziele, aber auch Misserfolge und Rückschritte soll es der Diversity in Recht & Wirtschaft vorrangig gehen, das zeigt schon der Titel. Das schließt indes nicht aus, eher private Auswirkungen sich verändernder Diversität ebengleich zu behandeln. Ich denke da an die überfällige Änderung des deutschen Transfusionsgesetzes. Das neue Selbstbestimmungsgesetz (ex-Transsexuellengesetz) dagegen hat erkennbar eine sofortige Wirkung auf Recht und Wirtschaft: David Scholz hat dazu ein schönes Buch über kluges Arbeitgeber-Verhalten geschrieben. Und wir reden juristisch über eine breite Ausstrahlung des Themas Diversität auf alle Rechtsbereiche: vom Barrierefreiheitsstärkungsgesetz bis zum Arbeitsrecht, vom soldatischen Disziplinarrecht bis zur Bildungsfinanzierung, vom kommunalen Wahlrecht bis zum internationalen Völkerrecht, vom Verfassungsrecht bis zur Europäischen Menschenrechtskonvention. Und überhaupt: vom Recht bis zur Gerechtigkeit.

Wir sprechen schließlich von der Theorie bis zur Praxis: in der Arbeitswelt ist bei der Nachbesetzung offener Stellen in einem gewachsenen (und meist eben nicht sehr diversen) Team vor allem die Innenwirkung auf das bestehende Team nicht hoch genug einzuschätzen: Teams tendieren – deutlich mehr als Führungskräfte – dazu, ihresgleichen als Ergänzung ihres Teams auszuwählen. Das “Aushaltenmüssen” einer auf den ersten Blick eher unpassenden Besetzung und die spätere Adaption an das neue, etwas andere Teammitglied ist in Wahrheit ein sehr wertvoller Prozess und führt mittelfristig zu einer offeneren, agileren Teamkultur. Exakt das spricht übrigens für eine auch “von oben verordnete” Diversity. Leistungsstarke Teams entstehen nur in einem herausfordernden Umfeld. Diversity ist eine Herausforderung für jedes Team. Deren Überwindung sorgt für qualitatives Wachstum.

Ein weiteres großes Missverständnis: es gehe bei Diversity um Frauen und vielleicht noch um LGBTQ+. Mitnichten. Diversity ist ein Eisberg: sehr vieles ruht unsichtbar unter der kulturell sichtbaren Wasserlinie. Alter, soziale Herkunft, Ausbildung, sozialer Aufstieg, Religion, Kultur, Intellekt, körperliche Versehrtheiten, ethnische Zugehörigkeit, persönliche Arbeitsweisen – das und noch vieles mehr gehört zu Diversity.

Gutes Diversity-Management passiert sowohl von oben nach unten als auch von unten nach oben. Viele Unternehmen haben das bereits verstanden. Eine Gefahr für selbstverständliche Diversity liegt im – nicht nur in Teilen der USA zu beobachtenden – politischen Rollback. “Man wird doch noch sagen dürfen” ist nur dann akzeptabel, wenn es zuvor ohnehin niemand in Frage gestellt hatte. Ansonsten versteckt sich darin zu schnell die bequeme Trägheit, irgendwann bitte auch mal mit der Weiterentwicklung aufhören zu dürfen. Mit sprachlicher Präzision und Fairness beginnt eine moralische Akzeptanz wahrer Vielfalt, die sich sodann auch in Handeln, in Beförderung, in gelassener Akzeptanz wiederfinden soll. Representation matters. Und mein ceterum censeo: wir brauchen dringend mehr Lehrstühle zur Anti-Bias-Forschung.

von RA und FAfVerwR Prof. Dr. Thomas Klindt, Partner bei Noerr (Twitter: @TomKlindt)

Prof. Dr. Thomas Klindt ist Rechtsanwalt und Partner bei Noerr. Die Kanzlei berät pro bono u. a. die Charta der Vielfalt e. V., die PrOut@Work-Stiftung, die Initiative Women into Leadership e. V. sowie die Uhlala GmbH.

 
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