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DIVRUW 2023, 40
Anders 

Malte Anders

Ich hab' meine Sexualität am Arbeitsplatz verloren!

Abbildung 27

Zugegeben: Dass man im Jahr 2023 noch immer über die Rechte von queeren Menschen reden muss, wirkt ein wenig aus der Zeit gefallen. Da hat man es sich gerade entspannt bei einem Latte macchiato mit Hafermilch in seiner liberal-woke-veganen Bubble so richtig gemütlich gemacht – und nun kommt wieder dieses leidige Thema LGBTIQ+. Was wollen sie denn noch, die Schwulen? Jetzt dürfen sie doch schon heiraten und Kinder adoptieren, demnächst vermutlich sogar Blut spenden! Das muss doch mal reichen!

Seit mittlerweile sieben Jahren bin ich als Comedycoach nun mit verschiedenen Programmen unterwegs und beantworte die Fragen meines Publikums zum Thema LGBTIQ. Mittlerweile habe ich auf die meisten Fragen eine Antwort, selbst wenn für manche der Zugang zum Thema noch sehr schwer erscheint.

“Kommt homogenisierte Milch von schwulen Kühen?” – hat mich neulich der Schüler einer städtischen Realschule gefragt. Klar, Stadtkind. Wenn du vom Land kommst, kennst du sie natürlich: die schwule Milchkuh! Aber diese Frage macht ziemlich deutlich, dass Redebedarf besteht. Bevor alle beim Thema “LGBTI-Kuh” aussteigen.

Dass es Homosexualität nicht erst seit gestern gibt und man nicht von einer “Modeerscheinung” reden kann, ist unbestritten. Eine Frage, auf die ich bis heute allerdings keine Antwort habe: Woher kommt Homophobie? Wieso gibt es überhaupt Menschen, die mit der Sexualität oder dem Geschlecht einer anderen Person ein Problem – oder gar Angst haben? Nun gibt es viele unsinnige Phobien, wie beispielsweise die Arachibutyrophobie, der Angst, dass dir Erdnussbutter am Gaumen festklebt. Das kann ich noch halbwegs nachempfinden, denn wer will schon an Erdnussbutter ersticken?

Homophobie hingegen macht schlicht keinen Sinn. Aber es gibt ja auch Menschen in Deutschland, die vor Spinnen Angst haben. Wie die meisten Spinnenarten sind die wenigsten Homosexuellen giftig, in der Statistik der häufigsten Todesursachen in Deutschland tauchen homosexuelle Menschen ebenfalls nicht auf – und letztendlich sollte doch mittlerweile jede:r einen Homosexuellen in seinem Umfeld kennen.

Und doch steigt die Zahl der Hass- und Gewalttaten gegenüber der queeren Community in den letzten Jahren deutlich und die Selbstmordrate bei queeren Jugendlichen in Deutschland liegt 4–6mal so hoch wie bei Heterosexuellen. Laut einer Studie verheimlichen etwa 45 % aller schwul-lesbischen Arbeitnehmer:innen ihre Sexualität am Arbeitsplatz. Und damit meine ich jetzt nicht schlüpfrige Bettgeschichten und Sexvorlieben: Verheimlicht wird die Tatsache, dass man mit einem Menschen desselben Geschlechts in einer Beziehung ist.

Sprich: Ich erzähle meinen Kolleg:innen nichts vom letzten Urlaub, bringe keine Begleitung mit zur Weihnachtsfeier mit und wenn ich heiraten sollte, nehme ich mir dafür zwei Wochen frei. Bevor es auffällt. Dies sind übrigens reale Beispiele.

Was tun also gegen Homophobie am Arbeitsplatz? Ich empfehle an dieser Stelle Konfrontationstherapie. Sprich: Stell dich deiner Angst. Denn die muss ja irgendwo herkommen: Schlechte Erfahrungen gemacht? Traumatische Kindheitserlebnisse? Oder einfach: Pech beim Denken? Bei der Konfrontationstherapie werden üblicherweise die ersten Situationen mit dem Therapeuten aufgesucht, danach übt der Patient alleine weiter.

In meiner Funktion als Coach könnte ich beispielsweise also anbieten, den nächsten Betriebsausflug in die Schwulensauna zu organisieren. Für einige homophobe Patient:innen sicher eine Überwindung. Aber Fakt ist: Nach dem dritten Aufguss sind wir dann alle warm!

Meine Sexualität ist keine verpflichtende Angabe im Lebenslauf oder Vorstellungsgespräch, sie taucht nicht im Personalausweis auf und ich stelle mich auch nicht mit den Worten vor: “Hallo! Malte Anders, ich bin schwul!” Was also tun, wenn die Atmosphäre am Arbeitsplatz es nicht zulässt, diesen Teil meiner Identität offen anzusprechen? Muss man sich denn eigentlich outen? Heterosexuelle Menschen outen sich ja auch nicht.

Es ist vielleicht die Masse an schlechten Erfahrungen, die queere Menschen noch immer davon abhält, offen über ihre Beziehungen, ihr Leben und ihre Gefühle mit Menschen außerhalb der eigenen Familie und dem engsten Freundeskreis zu sprechen. Denn auch wenn die “Ehe für alle” es uns mittlerweile ermöglicht, zu heiraten und Kinder zu adoptieren, Homosexualität dankenswerterweise nicht mehr auf der Liste der Krankheiten der WHO auftaucht und Transpersonen seit 2018 nicht mehr als “mental gestört” gelten, so ist dies in den Köpfen vieler Menschen bis heute noch nicht angekommen.

Bleibt die Frage: Steigt oder sinkt mein Wert nur weil ich eine andere Sexualität habe?

Oder anders: Ist die Sexualität und das Geschlecht der Milchkuh nicht schlicht egal, solange sie Milch gibt? Auch wenn sich in den vergangenen 50 Jahren vieles zum Besseren verändert hat, bleibt im Kampf um die Rechte und Anerkennung von queeren Menschen in unserer Gesellschaft noch viel zu tun!

Darauf ein kühles Glas homogenisierte Milch!

Hinter “Malte Anders” steckt der Frankfurter Kabarettist und Theaterpädagoge Timo Schweitzer. Mit seiner Comedy-Aufklärungs-Show HOMOLOGIE tourt er seit 2016 durch die Schulen der Republik und bringt das Thema “Sexuelle Vielfalt” in seiner Diversity-Show GAYVERSITY nun auch in Unternehmen und Teams.

 
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