Technik und Recht, zwei Sprachen?
Es wird häufig gesagt, dass im Zusammenhang mit Technik und Recht wohl zwei unterschiedliche Sprachen bestehen; dabei ist aber weniger die Sprache gemeint, angesprochen sind die unterschiedlichen Denkkulturen. Mit einfachen Worten gesagt: Wenn der Techniker und der Jurist einen Gesetzestext lesen, kommen mitunter ganz unterschiedliche Auffassungen heraus. Von juristischer Seite betrachtet ist der Grund für die unterschiedlichen Interpretationen wohl darin zu sehen, dass die meisten unserer Rechtsgebiete, allen voran das Zivilrecht, vom Rechtspositivismus weit entfernt sind. Das geschriebene Recht lebt von Verweisungen auf korrespondierende Normen, wobei die Zusammenhänge nicht immer leicht zu verstehen sind, weiterhin aus der Korrespondenz mit der Rechtsprechung und Literatur, insbesondere, wenn es um die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe geht. Auch rechtssystematische Überlegungen helfen den Juristen bei der Interpretation, wobei dann auch noch vielfach ein Blick auf den Normzweck nötig ist und dem liegen häufig auch rechtspolitische Erwägungen zugrunde. Dies alles zusammenzufügen lernt der Jurist auch erst im Laufe der Zeit durch die Auseinandersetzung mit Rechtsprechung, Literatur, dem ständigen Suchen nach der „gewollten“ oder gerechten Lösung. Diese Welt ist dem Techniker in wohl den meisten Fällen fremd, die für ihn wichtigen Zusammenhänge gehören in andere Wissenschaftsbereiche.
Wie sehr die Interpretationen von Gesetzen und Verordnungen auseinandergehen, und zwar wegen der oben genannten Gründe, kann ein Beispiel aus jüngster Vergangenheit zeigen.
Es geht dabei um die Entwicklung des autonomen Fahrens. Das autonome Fahren ist erheblich reglementiert. In Deutschland wurde das Straßenverkehrsgesetz im Hinblick auf das autonome Fahren erweitert, dazu kam eine Verordnung mit zahlreichen Anlagen.
Die rechtlichen Vorgaben sind erheblich. Geregelt sind die Pflichtenbereiche für Hersteller, Halter und für die neu eingeführte Technische Aufsicht, die bei durch das autonom fahrende Fahrzeug mitgeteilten Gefahren Kontrollpflichten und auch eigene Reaktionsmöglichkeiten zur Risikominimierung hat.
Oben wurden die Gründe für die unterschiedlichen Interpretationen genannt. Beispiel für die Verweisung auf korrespondierende Normen war, dass von technischer Seite die Verantwortung der Technischen Aufsicht für seine Gehilfen geregelt werden müsste. Weder im Straßenverkehrsgesetz noch in der Verordnung gibt es Hinweise. Das Argument dagegen; die werden dort auch nicht gebraucht, das BGB regelt die Verantwortung für Gehilfen.
Das Fahrzeug muss nach der gesetzlichen Regelung autonom in einen risikomindernden Bereich fahren und dort halten. Gerügt wurde, von technischer Seite, dass dieser Bereich doch hätte umschrieben werden müssen. Der Gesetzgeber konnte hier nur mit dem unbestimmten Rechtsbegriff „risikomindernder Bereich“ arbeiten. Eine konkretisierende Beschreibung wäre riesig und zugleich doch immer unvollständig.
Gerügt wurde, dass die Befolgung der Pflichtenbereiche, die der Technischen Aufsicht auferlegt wurden, keiner Kontrolle unterliegen bzw. dass die Vorlage von Organisationsplänen für die Aufgabenerfüllung nicht verlangt ist. Rechtspolitisch ist es nicht nötig, neben der Bestimmung umfangreicher Pflichten, Pflichtenbereiche, die auch noch konkret beschrieben sind und der Bestimmung von Qualitätsanforderungen für die Verantwortlichen, nun auch noch zu verlangen, dass Organisationspläne für die Aufgabenerfüllung
Gerügt wurde von technischer Seite auch, dass es keine Definition für die Unterscheidung zwischen dem autonomen und dem herkömmlichen Fahren im Gesetz gibt, dass nicht bestimmt ist, welche Hilfsmittel für das autonome Fahren verwendet werden dürfen. Das ist von Bedeutung, weil herkömmliches Fahren nur in eng begrenzten Fällen zulässig ist. Der Gesetzgeber bzw. Verordnungsgeber hat gut daran getan dies nicht zu bestimmen, weil die technische Entwicklung nicht abgeschlossen und noch offen ist, welcher technische Einsatz nur ein Hilfsmittel beim autonomen Fahren ist und nicht verbotenes Steuern durch die technische Aufsicht.
Mit dem kleinen Beitrag sollte nicht aufgezeigt werden, dass gegenständlich kaum zu überbückende Hürden für eine Zusammenarbeit bestehen, es sollte vielmehr beschrieben werden, dass eine verständliche Zusammenarbeit zwischen den Disziplinen gar nicht so einfach ist.
Prof. Dr. Dr. Jürgen Ensthaler, Berlin*
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