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INTER 2015, 121
Ensthaler 

„Technische“ Normen für medizinische Behandlungen?

Das europäische Normungsinstitut CEN ist dabei Normen für medizinische Behandlungen einzuführen.* Gemeint sind nicht etwa technische Normen für Medizinprodukte; ärztliche Dienstleistungen sollen normativ eingegrenzt werden. Damit wird ein unauflösbar erscheinender Widerspruch aufgebaut. Medizinische Behandlung ist individuell ausgerichtet und demzufolge sind die Behandlungsmethoden nicht objektivierbar.

Der Patient ist nach wohl unbestreitbarer Ansicht der Bundesärztekammer kein „standardisierbares Handlungsobjekt, sondern in der Regel Mitakteur der Gesundheitsdienstleistung“.

Abbildung 1

Das wohl gefälligste Argument für eine Normung, auch für den Bereich der medizinischen Behandlungen, ist, dass die Befolgung von Normen freiwillig sei, Normen würden lediglich eine Hilfe bieten, es sei selbstverständlich jedem Arzt überlassen, die Normen anzuwenden oder eben nicht.

Diese Aussage ist schlichtweg falsch. Normen sind gerade dafür prädestiniert, Verantwortungsbereiche festzulegen bzw. als Grundlage für Schadensersatzansprüche zu dienen. Womit lässt sich das begründen?

Das Recht kennt auf keinem seiner Gebiete einen Fehler oder ein fehlerhaftes Verhalten „an sich“. Bevor etwas als fehlerhaft erscheint bzw. einer rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden darf, muss es darum gehen, die sog.

Sollbeschaffenheit festzulegen. Erst die negative Abweichung einer festgestellten Verhaltensweise zu dem, wie ein bestimmtes Verhalten, z. B. eine Behandlung, durchgeführt werden sollte, verpflichtet zum Schadensersatz. Es geht im Recht also darum, diese Sollbeschaffenheit festzulegen.

Normen sind geradezu prädestiniert, die Sollbeschaffenheit zu bestimmen. So heißt es dann auch in wohl jedem Lehrbuch zum Haftungsrecht, dass Normen, zumeist technische Normen, stets zu beachten sind. Sie stellen zumindest die unterste Ebene einer Produktbeschaffenheit oder eben, im Dienstleistungsbereich, einer Verhaltensweise dar; wer nicht einmal diese Mindestanforderungen beachtet würde sich unweigerlich der Gefahr aussetzen, haften zu müssen.

Normen stellen im Haftungsrecht somit eine Richtschnur, einen Überprüfungsmaßstab für die über die Haftungsfrage zu urteilenden Gerichte dar. Die Befolgung von Normen ist keinesfalls in das Belieben der Normadressaten gestellt.

Damit steht dann die Frage an, wer für den Dienstleistungsbereich Verhaltensanforderungen derart verbindlich definieren darf.

Normen haben deshalb eine große Bedeutung, weil die Normungsinstitute Sachautorität haben. Dies trifft auf die nationalen und auch auf die europäischen Normungsinstitute wie insbesondere CEN sicher für den technischen bzw. den administrativen-technischen Bereich zu. Es braucht nur daran erinnert zu werden, dass die europäischen Normungsinstitute für diesen technischen Bereich gegründet wurden. Die europäischen Normungsinstitute wurden gegründet, um für die Sicherheit gewährleistende Produkte, die innerhalb des Binnenmarktes über die Grenzen hinweg angeboten werden, Normen zu schaffen. Die europäischen Normungsinstitute, wie auch CEN, haben die Aufgabe, die von den europäischen Richtlinien nicht bis in alle Einzelheiten erfassten Anforderungen an technische Sicherheit in ihren Normen festzulegen. Eine technische Ware darf in heutiger Zeit regelmäßig auf dem Binnenmarkt nur dann angeboten werden, wenn nicht nur die europäischen Richtlinien, sondern auch die sie ergänzenden Normen beachtet wurden.

Das CE-Zeichen ist Ausdruck für die Einhaltung dieser Normen und wird in der Umgangssprache deshalb auch als Reisepass für Produkte innerhalb des Binnenmarktes bezeichnet.

Anders verhält es sich im Dienstleistungsbereich der freien Berufe, insbesondere im Zusammenhang mit den medizinischen Behandlungen bzw. Behandlungsmethoden. Die europäischen Normungsinstitute besitzen keine Sach¬InTeR 2015 S. 121 (122)autorität, die es legitimieren würde, hier normativ tätig zu sein. Die Fachkompetenz liegt anderswo Auf diesem Gebiet gibt es die Behandlung unterstützende Facharztausbildung nach dem Sozialgesetzbuch; weiterhin ist in dem Sozialgesetzbuch und auch in den Fortbildungsordnungen der Ärztekammern die Fortbildungspflicht aufgeführt. Auf der Grundlage des Sozialgesetzbuches gibt es ein Risiko- und Fehlermanagement, ein Qualitätsmanagement für die vertragsärztliche Versorgung; gesetzlich geregelt sind Informationspflichten, Beratungspflichten. Es gibt Richtlinien der Selbstverwaltungskörperschaften und zahlreiche Leitlinien wissenschaftlicher Fachgesellschaften. Wohl mit Recht haben u. a. die Standesvertretungen der Ärzte, das Gesundheitsministerium, der Bundesrat diesen Normungsaktivitäten widersprochen. Widersprochen wurde auch mit dem Hinweis, dass auf diesem Gebiet nach wie vor die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten besteht und den Normungsaktivitäten von CEN somit keine politische Legitimation zur Seite steht, sondern allenfalls eine sachlich begründbare und die ist nicht erkennbar.

Prof. Dr. Dr. Jürgen Ensthaler

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Vergleiche zum Thema auch den Bericht auf S. 177.

 
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