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K&R 2023, I
Terhaag 

Das Internet, wie wir es kannten

Abbildung 1

RA Michael Terhaag, LL.M.

Man könnte meinen, dass die Zeiten, in denen InfluencerInnen die Grenzen zwischen privaten Urlaubsschnappschüssen und gekaufter Kosmetikempfehlung verschwimmen ließen, nach den ersten BGH-Entscheidungen (13. 1. 2022 – I ZR 35/21, K&R 2022, 360 u. 9. 9. 2021 – I ZR 90/20, K&R 2021, 797, jew. m. Anm. Terhaag/Schwarz) und der erfolgten Gesetzesänderung des § 5a Abs. 4 UWG der Vergangenheit angehören würden.

Die Praxis beweist jedoch häufig noch das Gegenteil und auch die rechtliche Diskussion zum Influencer-Marketing ist somit wohl keineswegs abgeschlossen.

Erst im vergangenen November – und damit mehr als ein Jahr nach den ersten BGH-Urteilen – verurteilte das AG Stuttgart (1 OWi 170 Js 124570/21) eine Influencerin nach § 115 MStV wegen einer wiederholten und vorsätzlich unterlassenen Werbekennzeichnung erstmalig zu einem Bußgeld von je 500 € in 19 Fällen, mithin zu einer Gesamtsumme von 9500 €. Auch das BVerfG (1 BvR 1223/22) wird sich wohl noch mit der Thematik um die (richtige) Werbekennzeichnung von Influencer-Postings zu beschäftigen haben. Gegen das BGH-Urteil vom 13. 1. 2022 (I ZR 9/21) hat die unterlegene Influencerin Verfassungsbeschwerde eingereicht.

Aber auch andere Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. So wird die europäische Digitalstrategie durch weitere Gesetze fortgeführt, die eine neuartige, teilweise revolutionäre Regulierung von maßgeblich, aber nicht ausschließlich, besonders mächtigen Digitalplattformen mit sich bringen.

Das „Gesetz über digitale Märkte“, kurz DMA für „Digital Markets Act“, gilt hierbei bereits ab dem 2. 5. 2023. Es trifft wettbewerbliche Verhaltensregeln für große Plattformen mit sog. „Torwächter“-Funktion, um die Marktmacht der großen Digitalkonzerne zu begrenzen und für mehr Fairness übermächtiger Plattformbetreiber zu ihren gewerblichen und privaten Nutzern zu sorgen. Hiervon betroffen sind bedeutende zentrale Plattformdienste, die für gewerbliche Nutzer einen essenziellen Zugang zu Endnutzern darstellen, wie Online-Suchmaschinen (z. B. Google, Bing), Betriebssysteme (z. B. Microsoft), Webbrowser (z. B. Firefox, Chrome), virtuelle Assistenten (z. B. Alexa) und soziale Netzwerke (z. B. Facebook, Twitter). Torwächtern ab definierten Schwellenwerten werden mehr als 20 Verhaltenspflichten und Compliance-, Monitoring- sowie Berichtspflichten auferlegt.

Der Europäischen Kommission (EK) stehen Untersuchungs-, Inspektions- und Entscheidungsbefugnisse zu und es können Geldbußen von bis zu 20 Prozent des weltweiten Jahresumsatzes des Torwächters verhängt und Abhilfemaßnahmen angeordnet werden. Der DMA räumt auch Dritten Mitwirkungsrechte und Beschwerdemöglichkeiten ein, die bei der EK, den nationalen Wettbewerbsbehörden und den nationalen Gerichten geltend gemacht werden können.

Das „Gesetz über digitale Dienste“, der Digital Service Act (DSA), ist ab Februar 2024 umzusetzen. Er regelt europaweit einheitliche Verantwortlichkeiten und Verpflichtungen für Anbieter von digitalen Vermittlungsdiensten, wie Serviceprovidern, aber auch sozialen Netzwerken, Online-Marktplätzen (z. B. eBay, Amazon) und Suchmaschinen.

Besonders spannend dürften hierbei die Modifizierungen der alteingesessenen und teilweise doch auch umstrittenen Grundsätze der Haftung von Plattformanbietern werden. Zwar bleibt es grundsätzlich beim bekannten Haftungsprivileg, wonach Anbieter nicht aktiv nach Rechtsverstößen Dritter suchen und erst ab Kenntniserlangung tätig werden müssen. Der DSA schreibt jedoch erstmalig für Hosting-Anbieter und Online-Plattformen einen europaweit einheitlichen Mechanismus vor, um Dritten das Melden illegaler Inhalte zu ermöglichen. Dieser Mechanismus kann und wird in Zukunft sozusagen ein Einfalltor für die Haftung von Anbietern sein, die nach einer Meldung den Inhalt nicht zügig (genug) sperren bzw. entfernen.

Die neuen Bestimmungen sind dazu geeignet und bestimmt, den mächtigsten und finanzstärksten Unternehmen des Internets Grenzen zu setzen. Man darf gespannt sein, was nicht nur die EK, sondern auch die nationale Rechtsprechung aus den neuen Rechten und Pflichten der EU-Regulierungsprojekte für den digitalen Binnenmarkt macht. Nicht nur die allgemeinen Haftungsregelungen, auch von kleineren Portalen, sondern auch die Marktmacht der großen Digitalkonzerne könnten großen Änderungen entgegensehen.

RA Michael Terhaag, LL.M.*

*

ist Rechtsanwalt und Gründer der Düsseldorfer Medienrechtskanzlei Kanzlei Terhaag & Partner Rechtsanwälte – aufrecht.de. Er ist Fachanwalt für IT-Recht und Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz. Zulassung 1999 und seither spezialisiert auf Internet-, Marken- und Wettbewerbsrecht sowie Datenschutz. Er ist Mitautor des Rechtshandbuchs „Influencer-Marketing“.

 
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