Die Geburtswehen der neuen Domainendungen
Die neuen Top-Level-Domains (TLDs) kommen. In Kürze wird es möglich sein, Domains unter Endungen wie .berlin, .shop, .book oder .sport zu registrieren. Die Domains werden durch die Inhaber der neuen TLDs verwaltet. Der Zuteilung der TLDs liegt ein Bewerbungs- und Vergabeverfahren zugrunde, an dem die ICANN (die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers) lange gefeilt hat. Bereits 2008 wurde aufgrund drohender Knappheit von Internetadressen beschlossen, den Domainnamensraum zu erweitern und für beliebige Endungen freizugeben. Die Beschränkungen auf Länder-TLDs wie .de oder generische TLDs wie .com oder .info gehören damit der Vergangenheit an. Anfang 2012 nahm die ICANN die ersten Bewerbungen für neue TLDs entgegen, Mitte 2012 gab sie die ersten beantragten Domainendungen bekannt. Ein Jahr danach hatten rund 1000 Bezeichnungen die erste Phase des Bewerbungsverfahrens erfolgreich durchlaufen.
Insbesondere für Unternehmen bietet die "eigene" TLD die Chance, neue Marketingwege zu erschließen. So kann sich ein Onlinehändler für eine Domainendung bestehend aus seiner eigenen "Marke" aber auch für eine generische Domainendung (z. B. .webshop) bewerben. Es erstaunt nicht, dass für die neuen TLDs bis heute nahezu 2000 Bewerbungen bei der ICANN eingegangen sind.
Wie schon bei den Second-Level-Domains läuft die Vergabe der TLDs nicht konfliktlos ab und erreicht vor allem internationale Dimensionen. Während die hierzulande bekannten Domainstreitigkeiten in der Regel zwischen deutschen Domaininhabern ausgetragen werden, berühren die neuen Domainendungen weltweit unterschiedliche Interessen. Bei der Vergabe der Second-Level-Domains, die künftig unter den neuen TLDs registriert werden können, schützt das sog. Trademark Clearinghouse Verfahren die Interessen der Markeninhaber.
Im Vergabeprozess um die neuen TLDs gibt es so ein Verfahren nicht. Vielmehr kommt dem Government Advisory Committee (GAC), das innerhalb der ICANN die Regierungen von Staaten und Staatenverbünden vertritt, eine tragende Rolle zu. GAC-Mitglieder können Bedenken gegen Bewerbungen für TLDs öffentlich durch sog. "early warnings" aussprechen, die GAC kann gegen die Vergabe einzelner TLDs förmliche Beschwerden (Formal Objections) einlegen und der ICANN empfehlen, bestimmte Endungen nicht zuzuteilen.
So bestehen die Vertreter der EU-Kommission darauf, das Zuteilungsverfahren für die TLDs .wine und .vin auszusetzen, solange es keine Regelungen gibt, wann unter diesen Endungen Begriffe wie Bordeaux, Chianti oder Rioja als Domains registriert werden dürfen. Hinter der Kommission stehen Interessen europäischer Winzer. Die Kommission fordert, der Schutz solcher geografischen Herkunftsbezeichnungen müsse schon bei der Vergabe der TLDs Berücksichtigung finden. Es müsse sichergestellt sein, dass Domains wie bordeaux.vin nicht von Personen oder Organisationen registriert werden, die dazu nicht berechtigt sind, z. B. weil sie keine Weine aus der Region anbieten. Diese Auffassung stößt innerhalb des GAC nicht auf Zustimmung. Länder wie die USA oder Australien halten entgegen, das Verlangen der Europäer sei weder durch internationales Markenrecht noch durch multinationale Abkommen über den Schutz geografischer Herkunftsangaben gestützt. Die GAC tendiert dazu, die Vergabe der TLDs entgegen der europäischen Interessen nicht zu beanstanden.
Weniger kompliziert lief es im Falle der Domainendung .swiss, allerdings nur weil die Fluggesellschaft Swiss ihre Bewerbung für diese TLD nach einem "early warning" der Schweizer Regierung freiwillig zurückzog.
Im Falle der TLD .amazon hat die GAC hingegen formal Widerspruch gegen die Zuteilung an den Versandhändler Amazon eingelegt. Die im GAC vertretenen lateinamerikanischen Staaten berufen sich auf die überragende kulturelle Bedeutung der Domain für die Amazonasregion und lehnen die Registrierung und Verwaltung der Endung durch ein privates Unternehmen ab.
Die Fälle .wine, .vin, .amazon und .swiss stehen exemplarisch für die Schwachstellen der Vergabe neuer, vor allem generischer TLDs (gTLDs). So existieren mit dem Applicant Guidebook zwar Richtlinien, unter welchen Bedingungen gTLDs registriert werden können, insbesondere fehlen aber klare und umfassende Leitlinien zur Feststellung, wann Verbraucherinteressen oder bestimmte regionale Interessen Rechte von Unternehmen überwiegen. Im Fall .amazon kann sich der Versandhändler auf Markenrechte berufen. Das Formal Objection Verfahren setzt hingegen eigene (bessere) Rechte des Widersprechenden voraus, die aber hinsichtlich der Begriffe amazon, wine und swiss kaum zu begründen sind.
Die Begriffe wine/vin sind erkennbar keine geografischen Herkunftsangaben. Die Bedenken der Kommission müssten daher bei der Vergabe der Second Level Domains (z. B. bordeaux.vin) Berücksichtigung finden, nicht aber bei der Zuteilung der TLDs. Dennoch überzeugen auch die Gegenargumente nicht. Denn selbst wenn geografische Herkunftsbezeichnungen keine Individualmarkenrechte begründen, sind sie dennoch - auch international (siehe Verordnung (EG) Nr. 510/2006) - einer Marke ähnlich geschützt.
Nicht ganz zu Unrecht vermissen daher Bewerber um TLDs Regeln, die die Entscheidung solcher Interessenkollisionen innerhalb der ICANN transparent und vorhersehbar machen. Es ist ein schier aussichtsloses Unterfangen, bei der Vergabe der neuen TLDs allen Interessen gerecht zu werden. Aufgabe der ICANN ist es nun, den Eindruck zu vermeiden, sie entscheide weniger nach rechtlichen Gesichtspunkten als nach Interessenlage und auf Druck von Lobbies. Hierzu muss sie streng nach Wortlaut der bestehenden Vergabegrundsätze entscheiden und Beanstandungen zurückweisen, für die nach diesen Regelungen keine Grundlage besteht.