R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
Logo ruw-online
Logo ruw-online
Suchmodus: genau  
 
 
K&R 2011, 1
Erdemir, Murad 

Jugendmedienschutz 2012: Wir brauchen pragmatische Lösungsansätze für das Internet

Das medieninhaltsbezogene und deutlich repressiv ausgerichtete Schutzkonzept des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (JMStV) wird den Realitäten im Netz immer weniger gerecht. Soziale Netzwerke im Internet unterliegen bereits per Definition nicht der klassischen Regulierung. Aber auch der nicht wegzudiskutierende, einfache und jederzeit mögliche Zugang Minderjähriger zu einschlägigem Material im weltweiten Netz erfordert einen Paradigmenwechsel des deutschen Jugendmedienschutzes weg von einem bewahrpädagogischen Ansatz in der analogen Welt hin zu einem risikoorientierten, mithin deutlich pragmatischer ausgerichteten Ansatz in der digitalen Welt.

Zeitgemäßer Jugendschutz im Netz verharrt nicht am Leitbild der repressiven Gefahrenabwehr. Neben der Gewährleistung von Strafrecht und Opferschutz gilt es, zunehmend präventive Module, welche den Minderjährigen zum Selbstschutz befähigen und seine ungewollte Konfrontation mit verstörenden Inhalten verhindern, unmittelbar in den JMStV zu implementieren und mit einem Anreiz- bzw. Belohnungssystem für die Anbieter zu verbinden (sog. Anreizregulierung). Es fehlen derzeit zudem gesetzliche Konzepte, um den Datenschutz in sozialen Netzwerken wirksam zu stärken oder aber massiven Persönlichkeitsverletzungen in Bewertungsportalen effizient zu begegnen.

Zeitgemäßer Jugendschutz im Netz setzt voraus, dass der Gesetzgeber endlich erkennt, dass sich das Internet nicht mit den Maßstäben des Rundfunks regulieren lässt. Der Lebenswirklichkeit nicht gerecht wurde deshalb der Ansatz der JMStV-Novelle, die Alterskohorten 0, 6, 12, 16 und 18 Jahre eins zu eins auf alle Erscheinungsformen des Internets zu übertragen. Dagegen dürfte die Reduzierung der Altersstufen auf 16er- und 18er-Angebote die wirksame Durchsetzung eines Mindeststandards für (lediglich) entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte im Netz deutlich erleichtern. Übrigens: Bereits die gescheiterte JMStV-Novelle sah als Alternative zu Filterprogrammen erstmals Altersverifikationssysteme (AVS) auch für entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte vor. An diesem Ansatz ist im Zuge zukünftiger Novellierungsbestrebungen unbedingt festzuhalten. Denn AVS regulieren im Unterschied zu Filtersystemen allein die Endpunkte des Netzes. Sie lassen seine technische Infrastruktur und damit die Netzkultur unberührt.

Zeitgemäßer Jugendschutz im Netz hält ohne Wenn und Aber am Modell der regulierten Selbstregulierung in Gestalt der Stärkung der Eigenverantwortung der Anbieter fest. Allerdings sind Voraussetzungen zu schaffen, damit zukünftig auch die Mehrheit der nichtkommerziellen Anbieter die Vorteile der Selbstkontrolle wird nutzen können. Zudem ist es am Gesetzgeber, den Anbieterbegriff zu konkretisieren und so für die notwendige Rechts- und Planungssicherheit der Netzakteure zu sorgen. Ein ebenso zeitgemäßes wie wirksames Schutzsystem setzt weiterhin die mittelfristige Überwindung der Aufspaltung des Jugendschutzes in überholte Mediensparten voraus. Der konvergierenden Medienrealität Rechnung getragen hat insofern die jüngst erfolgte Zertifizierung von FSK und USK als Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle (auch) für Telemedien nach dem JMStV.

Zeitgemäßer Jugendschutz im Netz adressiert immer auch die Eltern und erfordert in besonderem Maße deren Akzeptanz. Dem entspricht der in der JMStV-Novelle gewählte Ansatz, nunmehr allein auf nutzerautonome Filtertechnologien zu setzen. In diesem Zusammenhang ist der Gesetzgeber daran zu erinnern, dass nur einfache und klare Regelungen dem Jugendschutz dienen. Dagegen war die JMStV-Novelle gerade auch im Hinblick auf die Einführung einer freiwilligen Alterskennzeichnung wenig transparent und nachvollziehbar.

Zeitgemäßer Jugendschutz im Netz gelingt nur unter enger Berücksichtigung des sozialen Wandlungsprozesses. Schließlich steckt hinter dem Internet nicht nur eine technische, sondern auch eine enorme soziale Innovation. Kritische und wachsame Medien, vor allem aber eine kritische und wachsame Öffentlichkeit erweisen sich hierbei als unverzichtbare Faktoren eines effektiven Jugendschutzes. Die Einbeziehung der Nutzer und der sog. Community als Kontrollressource in der regulierten Selbstregulierung sollte daher verstärkt gefördert werden. Voraussetzung für den demokratischen Diskurs über Tabuverletzungen im Netz ist allerdings der Grundgedanke eines ungehinderten Zugangs zur Information.

Über eines muss man sich bei alledem allerdings im Klaren sein: Die vorstehend grob umrissene Neukonzeption des Jugendschutzes kann nur in einer gemeinsamen Anstrengung gelingen. Sie setzt voraus, dass Netzregulierer und Netzaktivisten ideologisch abrüsten. Das noch junge Grundrecht auf "Gewährleistung der Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme" lässt sich zwar nicht eins zu eins auf öffentlich-rechtliche Sachverhalte des Jugendmedienschutzes übertragen. Der dahinter stehende Grundgedanke, dass ungestörte Kommunikation im Netz einen Wert für sich darstellt, aber schon. Dies macht die Freiheit des Internets jedoch nicht "unantastbar". Und ein zeitgemäßer Jugendschutz macht das Internet ganz gewiss nicht "konservativ".

Dr. Murad Erdemir, Kassel/Göttingen
 
stats