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K&R 2013, 1
Seitz, Walter 

Richterliche Spezialisierung auch im Presserecht erforderlich

16-mal "rechtsradikal", 9-mal "rechtsextrem", 24-mal "rechtsradikal" oder "rechtsextrem" und dreimal beides mit "und". Das ist das Ergebnis einer Recherche in meiner eigenen Datenbank zum Äußerungsrecht, Teil Rechtsprechung. Dabei sind frühe, prominente Entscheidungen des BVerfG, wie der Beschl. v. 29. 10. 1975 - Verfassungsschutzbericht und vom 11. 5. 1976 - Rechtsradikales Hetzblatt (BVerfGE 40, 287 und BVerfGE 42, 143). Auch fünf veröffentlichte Entscheidungen von Oberlandesgerichten befassen sich mit der Frage, ob es zulässig ist, einen anderen als "rechtsradikal" oder als "rechtsextrem" zu bezeichnen - je in verschiedenen Schattierungen. Die jüngste Entscheidung des BVerfG zu diesem Bereich zeigt aber leider, dass die Veröffentlichung von beispielgebenden Entscheidungen nicht immer Früchte trägt. Oder wie kann es sein, dass zwei Gerichte nur sehr ungenügend in der Lage waren, die hierzu zu entscheidenden Rechtsfragen überzeugend zu diskutieren. Es war deshalb wohl kaum zu vermeiden, dass das BVerfG beide Entscheidungen aufhob und die Sache an das LG zurückverwies (Beschl. v. 17. 9. 2012, K&R 2013, 35). Natürlich wird auch diese Entscheidung kritisiert: Erhält Rufmord im Internet dadurch grünes Licht? wird da im Internet böse nachgefragt.

Aber: Soweit es sich von hier aus beurteilen lässt, trifft die Entscheidung des BVerfG den Kern des Problems. Das LG bemüht sich, schlägt sich prima vista wacker, liegt aber doch leider schrecklich daneben. Das OLG macht vieles besser. Das erwartet man ja natürlich auch. Es handelt sich nicht um (unwahre) Tatsachenbehauptungen. Die Kette der Entscheidungen zu solchen Bezeichnungen (siehe am Anfang) stellt manches klar. Das Ergebnis einer Abwägung ist immer ein Streitpunkt. Die Entscheidung des OLG ist leider nicht veröffentlicht oder zugänglich. Deshalb kann hier nicht mehr dazu gesagt werden. Das Urteil des LG enthält kein einziges Zitat. Es mag sein, dass der Kammer Spezialliteratur nicht zur Verfügung stand (die Bibliothek sollte allerdings schon einiges an Zeitschriften und Literatur zum Äußerungsrecht eingestellt haben!). Aber auch in Standardkommentaren findet man sehr schnell die rechtlichen Ansatzpunkte für die Entscheidung der Klage. Zur Abgrenzung Tatsachenbehauptung/Meinungsäußerung genügt ein Blick auf die wunderbare, wenn auch knappe, Darstellung von Sprau im Palandt (zu § 824 BGB). Was will ich damit sagen: Pressesachen (dazu gehören die äußerungsrechtlichen Streitigkeiten, wenn sie öffentliche Äußerungen betreffen) müssen konzentriert werden. Ohne besondere Erfahrungen fehlt hier das so genannte "Judiz". Dazu gehört der Bauch. Und Kopf gegen Bauch ist der Konflikt, der den Richter bewegt. Aber weder das Eine noch das Andere kann ein Richter haben, der alle paar Jahre eine äußerungsrechtliche Streitigkeit auf den Tisch bekommt. Natürlich veröffentlicht kein Gericht alle seine Entscheidungen. Es gibt aber doch zu denken, dass jetzt in meiner (privat erstellten, aber doch hoffentlich einigermaßen umfassenden) Datenbank das LG nicht einmal vorkommt vor der gegenständlichen Entscheidung) und dass das OLG mit 9 Entscheidungen vertreten ist - aber mit keiner, welche sich mit der rechtlichen Einordnung des Vorwurfs "rechtsradikal" o. ä. befasst. Bitte, bitte, liebe Präsidien der Gerichte, schafft Spezialzuständigkeiten auch für Pressesachen und gebt Richtern die Möglichkeit, sich in dieses Gebiet einzuarbeiten. Es gibt Veranstaltungen der Richterakademien in Trier und Wustrau. Und es ist ganz klar: Ohne Spezialisierung ist es nicht möglich, "richtige" Entscheidungen in Pressesachen zu fällen, was immer hier "richtig" sein kann. Solche Spezialisten können es sich auch leisten, Spezialzeitschriften laufend zu studieren - etwa Kommunikation & Recht (K&R), oder Konkurrenzprodukte. Auch sollte sie/er Spezialliteratur auf dem Tisch stehen haben, nicht in die Bibliothek laufen müssen. Vielleicht kann ich ihr/ihm hier ein klein wenig die Erkenntnis dafür wecken, dass auch ein erster Blick in Standardkommentare die Rechtskenntnis zu Spezialproblemen öffnen kann. Sprau im Palandt habe ich schon erwähnt. Zum Trost: Das BVerfG entscheidet zwar auf der Grundlage der von ihm selbst kreierten "Beziehungstheorie", es bezieht auch die Beweiszugänglichkeitstheorie mit ein. Aber es greift auch - zur Bestimmung des Begriffs der Meinung - auf seine Meinenstheorie zurück - nicht gerade ein Highlight. Und noch etwas zum Schluss: Die Justizverwaltungen könnten das BVerfG in diesem Bereich nachhaltig entlasten, wenn sie die Besetzungen der Fachgerichte hierzu deutlich verbessern würden. Die jüngst vom Bayerischen Richterverein veröffentlichten Zahlen zur Personalbedarfsberechnung (schönes Wort) zeigen deprimierende Zahlen auf. So kann man kein optimales Gerichtssystem schaffen. Und die Justiz ist doch - so das richtige Selbstverständnis der Ministerien - ein Dienstleistungsunternehmen.

Prof. Dr. Walter Seitz, Vors. Richter am OLG München a. D.
 
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