Wettbewerbs- und Regulierungsrecht: gleiches Ziel, unterschiedliche Instrumente
von Dr. Bernhard Heitzer*
Wettbewerbs- und Regulierungsrecht haben in den Netzwirtschaften dasselbe Ziel: Wettbewerb zu sichern bzw. zu schaffen. Beide bedienen sich dabei unterschiedlicher Instrumente. Diese Instrumente ergänzen sich – und es ist entscheidend, dass sie jeweils dort eingesetzt werden, wo sie am effektivsten wirken.
Eine sektorspezifische Regulierung ist aus ökonomischer Perspektive dann sinnvoll und erforderlich, wenn ein Unternehmen ein natürliches Monopol besitzt und ein Markt zunächst geschaffen werden muss. Das Regulierungsrecht besitzt hier die geeigneten Instrumente – z.B. flächendeckende Ex-ante-Kontrolle –, um Markteintritte überhaupt zu ermöglichen und wettbewerbliche Strukturen zu schaffen. Das allgemeine Wettbewerbsrecht hingegen sanktioniert wettbewerbswidriges Verhalten von Marktteilnehmern im Einzelfall. Zudem verhindert die Fusionskontrolle, dass marktbeherrschende Stellungen entstehen bzw. bestehende Marktbeherrschung verstärkt wird. Auch wenn das allgemeine Wettbewerbsrecht auf eine Einzelfallkontrolle ausgerichtet ist, schließt dies Entscheidungen mit branchenweiten Wirkungen nicht aus, wenn ein Pilotverfahren die übrige Branche zu einer Folgereaktion veranlasst.
Regulierung stellt im Gegensatz zum Wettbewerbsrecht einen erheblichen Eingriff in den Marktmechanismus dar. Das „richtige“ Regulierungsmaß zu finden ist aufgrund des damit verbundenen Prognoseerfordernisses schwierig. Es besteht die Gefahr, dass ein Markt über- bzw. unterreguliert wird. Die Gesamtwohlfahrt wird reduziert, wenn die Risiken der Regulierung die Wettbewerbsvorteile auf den nachgelagerten Vertriebsmärkten – z. B. in der leitungsgebundenen Energieversorgung, wo die Netzregulierung eine wesentliche Voraussetzung für die Schaffung wettbewerblicher Strukturen ist – übersteigen.
Um gerade dynamischen Märkten genug Raum für eine freie Entwicklung zu lassen, muss zunächst feststehen, dass das allgemeine Wettbewerbsrecht mit seiner Ex-post-Missbrauchskontrolle nicht ausreicht, um Wettbewerbshemmnisse zu beseitigen.
Auch in zeitlicher Hinsicht muss Regulierung regelmäßig auf ihre Notwendigkeit hin überprüft werden – denn Marktstrukturen ändern sich. Hat sich auf regulierten Märkten wirksamer Wettbewerb entwickelt, müssen sie in das Wettbewerbsrecht überführt werden. Beispiel Telekommunikationsmärkte: Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften plant hier, einige Endkundenmärkte aus der Regulierung zu entlassen und allein dem allgemeinen Wettbewerbsrecht zu unterstellen.
Um den Übergang von der sektorspezifischen Regulierung in das Wettbewerbsrecht zu erleichtern und kohärente Entscheidungen zu treffen, sind die in allen sektorspezifischen Regulierungsrechten in Deutschland vorgesehenen Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte der Behörden bei Verfahren der anderen Behörde essentiell.
Wie Regulierung und Wettbewerbsrecht in Netzsektoren ineinandergreifen, um für mehr Wettbewerb zu sorgen, zeigt sich im Energiesektor besonders gut: Auf der einen Seite geht das Bundeskartellamt gegen die Praxis der Ferngasunternehmen vor, die Stadtwerke durch langfristige Gaslieferverträge mit einem hohen Anteil des Bedarfs an sie zu binden. Diese Verträge wirken in hohem Maße marktabschottend – denn sie verhindern, dass neue Wettbewerber in den Markt eintreten. Auf der anderen Seite stellt die Bundesnetzagentur sicher, dass die Wettbewerber Gas diskriminierungsfrei zu angemessenen Entgelten durch die Netze der etablierten Unternehmen leiten können.
Wettbewerbs- und Regulierungsrecht wirken also komplementär. Und sie müssen dies auch, um das gemeinsame Ziel – mehr Wettbewerb – zu erreichen.
* | Präsident des Bundeskartellamtes. |