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RIW 2022, I
Ottenwälder 

Die weltweite Mindestbesteuerung nach “Pillar 2”: Aktuelle Entwicklungen und Umsetzung

Abbildung 1

Die Befolgung von Pillar 2 durch Unternehmen wird sehr komplex sein.

Im letzten Oktober hatte der Autor die Gelegenheit, in dieser Rubrik einige Eckdaten einer neuen Weltsteuerordnung vorzustellen. Es ging dabei um neue Verteilungsregeln des globalen Steuerkuchens (Pillar 1) sowie um die Implementierung einer globalen effektiven Mindeststeuer von 15 % (Pillar 2). Seitdem hat sich viel verändert – die Welt ist nicht mehr, wie sie war, und geriet aus ihren Fugen! Die völkerrechtswidrigen Aggressionen in der Ukraine, die nichts als Leid und Zerstörung bringen, zeigen deutliche Auswirkungen nicht nur auf Unternehmen, die in Europa ansässig sind, oder auf die Bürgerinnen und Bürger Eurasiens. Die hierdurch ausgelöste Krise ist eine globale, die unmittelbar oder mittelbar auch die meis_ten Staaten (und deren Haushalte) bereits betrifft oder noch betreffen wird. Die mittel- bis langfristigen Folgen sind bislang noch nicht abzusehen – wohl nicht einmal die kurzfristigen, wie sich u. a. am Streit zwischen Wissenschaft, Unternehmen, Gesellschaft und Politik über die Folgen etwaiger Embargos von russischem Energieressourcen, z. B. Gas, zeigt.

Ebenso von globaler Wirkung, wenn auch nicht im gleichen Atemzug zu nennen, wird die von der OECD entworfene und seitens 137 der 141 Mitgliedstaaten des Inclusive Framework (letzter Stand: November 2021) zur Implementierung in das jeweilige nationale Recht geplante Mindeststeuer sein. Dass die bislang hierzu angestellten Berechnungen zu deren Auswirkungen insbesondere auf die Konzerne und die einzelnen Staatshaushalte der künftig teilnehmenden Staaten vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen nochmals angepasst werden sollte, ist offenkundig. Wesentlich dabei ist aber, dass der “Pillar 2-Zug” schon lange die Station verlassen hat, sprich “abgefahren” ist, und mit Volldampf auf dessen Umsetzung zurast – wenngleich die Geschwindigkeit kürzlich zumindest mit Blick auf die Umsetzung in der EU etwas gedrosselt wurde. Work-in-Progress eben!

Wo stehen wir derzeit global? Am 20. 12. 2021 veröffentlichte die OECD die sog. “Pillar Two modell rules”, ein für die OECD ungewöhnlich komplex verfasster Entwurf eines auch inhaltlich sehr anspruchsvollen Regelwerks von 70 Seiten. Im (sehr groben) Überblick bedeutet dies:

a) Anwendungsbereich: Multinationale Konzerne mit einem jährlichen globalen Umsatz (in zwei von vier vorangehenden Jahren) von mind. EUR 750 Mio. Ausnahmen stellen staatliche Rechtsträger (einschließlich Staatsfonds), Pensionsfonds, bestimmte Investmentfonds und Immobilien-Investmentvehikel dar.

b) Methoden: Primär soll die Ermittlung der globalen effektiven Mindestbesteuerung durch die sog. Income Inclusion Rule (IIR) umgesetzt werden. Im Ergebnis würde effektiv minderbesteuertes Einkommen (> 15 %) von allen im selben Staat ansässigen Tochtergesellschaften (bzw. Betriebsstätten) bei der in einem anderen Staat ansässigen obersten Konzern(-mutter-)gesellschaft (bzw. dem Stammhaus) der effektiven Mindestbesteuerung durch Hinzurechnung des Einkommens unterworfen werden. Zur Vermeidung von Umgehungen durch verbundene Unternehmen in Staaten, die nicht den Ansatz der Mindestbesteuerung unterstützen, fingiert die Undertaxed Payment Rule eine Versagung des Betriebsausgabenabzugs für Zahlungen an solche verbundene Unternehmen (“Back stop”).

c) Zur Ermittlung der (globalen) Steuerbemessungsgrundlage sind Anpassungen des Finanzergebnisses der jeweiligen Tochtergesellschaft erforderlich, um sicherzustellen, dass die Steuerbemessungsgrundlage mit den politischen Absichten hinter der Idee der Mindestbesteuerung übereinstimmt.

d) Zur Berechnung der effektiven Steuerquote der relevanten Tochtergesellschaften eines Staates wird im Wesentlichen auf die jeweils gebuchte Gesamtsteuerbelastung abgestellt. Zeitdifferenzen sollen im Rahmen der latenten Steuern erfasst werden.

Klingt einfach, ist es aber nicht; der Teufel steckt im Detail. Die derzeit hohe Komplexität zeigt sich auch darin, dass die OECD am 14. 3. 2022 eine Kommentierung (228 Seiten) sowie illustrative Beispiele (49 Seiten) zu Pillar 2 veröffentlichte. Dabei werden Schwachstellen offenbar, der die OECD mit einer Public Consultation Herr zu werden versucht. Es geht um die Schaffung von (technischen) Mechanismen, die sicherstellen, dass Steuerverwaltungen und multinationale Unternehmen die Regeln einheitlich und koordiniert umsetzen und anwenden können – bei gleichzeitiger Minimierung der Befolgungskosten. Die Ergebnisse werden Ende April 2022 im Wege einer virtuellen, öffentlichen Anhörung diskutiert. Welche Änderungen hiermit einhergehen werden, bleibt abzuwarten. Offen ist auch, wie viele Staaten des Inclusive Frameworks die Regeln dann tatsächlich in nationales Recht umsetzen werden.

Und was macht die EU? Dem OECD-Entwurf folgte zwei Tage später ein 72-seitiger EU-Richtlinienentwurf zur Vereinheitlichung der Regeln innerhalb der EU. Im Kern wurde der OECD-Entwurf wiedergegeben, allerdings – wie soll es auch anders sein – etwas ausufernder und mit deutlichen Sanktionen bei Missachtung versehen. Mangels bisheriger Einigkeit der Mitgliedstaaten wurde kurze Zeit später davon wieder abgewichen (u. a. beim Zeitpunkt der Umsetzung: nun wohl Ende 2023 oder in Ausnahmefällen ggf. noch später). Beim letzten ECOFIN-Treffen am 5. 4. 2022 blockierte nur noch (und weiterhin) Polen. Der Druck steigt also und so auch die Spannung darüber, ob Polen bis zum nächsten ECOFIN-Treffen im Mai 2022 noch überzeugt werden kann.

Die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf die weltweiten Staatshaushalte sind nicht zu unterschätzen. Nicht nur aus diesem Grund wird der Pillar 2-Zug nicht anhalten, da einzelne Staaten das zusätzliche Steueraufkommen gerne annehmen dürften. So stellt sich die Frage, welche Staaten die Regeln tatsächlich umsetzen werden, denn “Zwang” besteht nicht, wohl aber Druck!

Dr. Marco Ottenwälder, Steuerberater, Frankfurt a. M.

 
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