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RIW 2007, 1
Fedtke 

Handels- und Gesellschaftsrecht im virtuellen Raum: Kleine Länder ganz groß!

Abbildung 1

Seit dem 1. 1. 2007 sind sie Wirklichkeit, und zwar virtuell wirklich. Das elektronische Handelsregister und das internetbasierte Unternehmensregister sind da. Geschäftsführer zahlreicher GmbHs, die seit Jahr und Tag darauf vertrauten, dass die verspätete Offenlegung des Jahresabschlusses keine Folgen nach sich ziehen würde, müssen sich nun in Acht nehmen. Europa will solche Nachlässigkeiten nicht mehr. Der Deutsche Gesetzgeber auch nicht. Rechtspfleger, Notare, Rechtsanwälte, Geschäftsführer und Gesellschafter baden die Umsetzung der neuen virtuellen Wirklichkeit aus. Anmeldungen zur Eintragung in das Handelsregister einschließlich der einzureichenden Dokumente erfolgen von nun an ausschließlich elektronisch. Alles verständlich?

Dann los: Die Kommunikationssoftware kann man kostenfrei im Internet unter www.egvp.de herunterladen. Die Anwenderdokumentation umfasst zwar 28 DIN-A4-Seiten; dafür soll die Kommunikation mit den Gerichten und Behörden damit sicher sein. Das wird sich noch zeigen. Als Dateiformate sind jedenfalls grundsätzlich erlaubt: RTF, Adobe PDF, Microsoft Word, XML und TIFF. Soweit, so schön. Es wäre jedoch gelacht, wenn nicht wenigstens ein Bundesland eine Ausnahme von der Elektronikpflicht schaffen sollte. Auch hier gilt: was Berlin kann, kann Sachsen-Anhalt allemal. Weil es so schön ist, machten auch gleich zwei weitere Bundesländer mit. Berlin (bis 31. 1. 2007), Sachsen-Anhalt (bis 31. 3. 2007), Rheinland-Pfalz (bis 30. 6. 2007) und Niedersachsen (bis 31. 12. 2007) erließen Ausnahmeregelungen. Dort konnten bzw. können Anmeldungen und Dokumente noch wie bisher in Papierform auf dem Postweg dem Registergericht zugesandt werden. Übrigens: Baden-Württemberg (ohne Übergangsfrist) erlaubt als Datei-Formate auch zusätzlich ASCII und Unicode. Gleiches gilt für Brandenburg. In Mecklenburg-Vorpommern (ohne Übergangsfrist) kann man zwar mit Unicode, aber nicht mit ASCII arbeiten. In Bremen (keine Übergangsfrist) geht es weder mit ASCII noch mit Unicode. Die Sachsen können es nicht nur mit Unicode und ASCII, sondern auch gerne mit den Dokumenten-Formaten von Open Office 1. 1.

Hinsichtlich des Jahresabschlusses für Geschäftsjahre, die vor dem 1. 1. 2006 begannen, kommt es sogar zuweilen maßgeblich darauf an, auf welchen Rechtspfleger man beim Handelsregister trifft. In der 10. Kalenderwoche dieses Jahres, bei einem insoweit zuständigen Amtsgericht in Nordhein-Westfalen beispielsweise, wollte ein Rechtspfleger den Jahresabschluss nur in elektronischer Form haben; seinem Kollegen ein Zimmer weiter reichte die Papierform. “Hauptsache, der Abschluss ist irgendwie da”, hieß es, wobei die Offenlegungsbekanntmachung trotzdem elektronisch beim Betreiber des elektronischen Handelsregisters einzureichen ist. Klang in der Auskunft Ratlosigkeit oder innovativer Pragmatismus durch? Die Nachfrage nach Datei-Formaten brachte bei anderer Gelegenheit sofort Klarheit: “Word, RTF, Excel und XML, aber bitte kein PDF, da können wir keine Veränderungen vornehmen”, heißt es von einer Mitarbeiterin des Betreibers des elektronischen Handelregisters. Der ist zuständig für alle Jahresabschlüsse für die Geschäftsjahre, die ab dem 1. 1. 2006 beginnen. Wenn man es nicht schon längst überall gehört hätte, man käme spätestens jetzt darauf: Deutschland ist ein Land der Innovationen! Europa gelingt gemeinsam!

Und was sagen andere Europäer dazu? Von einem portugiesischen Unternehmer etwa erntet man mit solchen Nachrichten höflichen Zuspruch und Ansporn. Entdeckungsreisen, auch solche in neue virtuelle Welten, treffen bei Portugiesen ohnehin auf historisch gewachsenes Verständnis. Dass die Neugründung und Eintragung einer neuen deutschen Gesellschaft trotz aller Elektronik immer noch mehrere Wochen dauern kann, verstimmt den portugiesischen Unternehmer aber dann doch – und das zu Recht, wenn man auf die Standards seines Heimatlandes abstellt. Wer heute in Portugal eine Gesellschaft gründen will, kann dies binnen weniger Stunden tun, und zwar schon seit Juli 2005 (Decreto-Lei Nr. 111/2005 v. 8. 7. 2005, www.empresa nahora.mj.pt). Nach einer Erhebung des portugiesischen Justizministeriums, am 6. 3. 2007 im Internet veröffentlicht, soll eine Gesellschaft im Durchschnitt bereits binnen 52 Minuten eintragbar sein – mit allem Drum und Dran. Seit Juli 2005 erfolgten bereits über 22 000 Schnellgründungen. (www.mj. gov.pt). Und wer keine Lust hat, sich besonders zu beeilen, kann seine Gesellschaft vollständig virtuell und internetgestützt von der heimischen Couch aus gründen. Antragsformulare, standardisierte Gesellschaftsverträge, Genehmigung der Firma, Meldung an die Sozialversicherungs- und Finanzbehörden, Kooperationsbörse und Starthilfen für Neugründungen – alles elektronisch verfügbar, leicht verständlich und verlinkt unter www.por taldaempresa.pt. Der Laie freut sich, der Fachmann reibt sich verwundert die Augen. Decreto-Lei Nr. 125/2006 vom 29. 6. 2006 macht es möglich.

Dass neben der Gründung einer Gesellschaft binnen Stunden nunmehr auch die Löschung derselben binnen ebenso kurzer Zeit in Portugal möglich ist – mit allen damit verbundenen Gefahren für Gläubiger und ihre Vermögensrechte –, steht auf einem anderen Blatt und darf zugestandenermaßen bei aller Innovationsfreude nicht unbeachtet bleiben. Klar ist indes: Nicht nur Unternehmer aus dem “kleinen” Portugal wollen hier soweit wie möglich bürokratieschlank wirtschaften. Helfen wir Ihnen dabei! Dann gelingt Europa wirklich gemeinsam.

Rechtsanwalt Dr. Jorg Fedtke, LL.M., Essen

 
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