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RIW 2020, I
Frank-Fahle 

Lokalisierungsprogramme in den GCC-Staaten – Was hat sich geändert, was wird sich, was sollte sich ändern?

Eine Überregulierung der Märkte durch mehr Lokalisierungsprogramme hemmt Investitionen

Abbildung 1

Omans “In-Country Value” (ICV) und Saudi-Arabiens “In-Kingdom Total Value Add Program” (IKTVA) zählten zu den ersten Lokalisierungsprogrammen in den Staaten des Golfkooperationsrates (GCC). In der Folge implementierten auch die staatlichen Ölgesellschaften der Vereinigten Arabischen Emirate und Katars ICV-Programme. Diese Lokalisierungsprogramme beschränkten sich bisweilen auf den Sektor der Öl- und Gasindustrie. Nunmehr ist ein Trend zu erkennen, entsprechende Programme auch auf andere Wirtschaftsbereiche zu erstrecken.

Im Fokus von Lokalisierungsprogrammen steht die Stärkung der lokalen Wertschöpfung. Neben verbesserten Beschäftigungsmöglichkeiten für einheimische Arbeitnehmer soll u. a. die Kooperation mit lokalen Produzenten und Lieferanten im jeweiligen Wirtschaftssektor gesteigert werden. Die Programme finden ihren gedanklichen Ursprung darin, dass ausländische Lieferanten und Dienstleister jahrzehntelang erfolgreich an öffentlichen Ausschreibungen – in der Regel durch Exportgeschäft – teilnahmen, ohne dass hierbei positive Auswirkungen auf die jeweilige Volkswirtschaft, in der der staatliche Öl- und Gaskonzern Aufträge vergibt, zu verzeichnen waren. Voraussetzung für die Teilnahme an Lokalisierungsprogrammen ist grundsätzlich das Bestehen eines lokalen Vehikels (lokale Gesellschaft bzw. Niederlassung [Branch]).

Die Wirkungsweise der verschiedenen Lokalisierungsprogramme ist ähnlich, die konkrete Ausgestaltung unterscheidet sich jedoch von Programm zu Programm mitunter erheblich. Lokalisierungsprogramme wirken sich grundsätzlich im Rahmen der Qualifizierung für das Vergabeverfahren aus. Im Gegensatz zur deutschen Vergabepraxis wird das Verfahren nicht seitens der staatlichen Regierung, sondern von den entsprechenden Gesellschaften (bspw. Ölgesellschaften wie ADNOC in den VAE) durchgeführt. Leistungserbringer müssen zunächst einen sog. Lokalisierungswert ermitteln, der anhand einer Formel im Wege einer Selbsteinschätzung bestimmt wird und zertifiziert werden muss. Der zertifizierte Lokalisierungswert kann als Präqualifikationsvoraussetzung dienen, um überhaupt am Vergabeverfahren teilnehmen zu dürfen (bspw. in Saudi-Arabien). Er kann aber auch im Rahmen des Vergabeverfahrens als Vergleichsmaßstab für die Beurteilung der Angebote herangezogen werden. Neben der Zertifizierung des Lokalisierungswertes (dieser ist in der Regel vergangenheitsbezogen) bedarf es regelmäßig eines Verbesserungsplans für die Zukunft (sog. Improvement Plan). Dieser muss vor bzw. nach dem Zuschlag vorgelegt werden. Darin ist darzulegen, welche Maßnahmen für eine Verbesserung des Lokalisierungswerts über die kommenden Jahre unternommen werden.

Bieter, die die technischen Ausschreibungsanforderungen erfüllen, werden je nach Programm nach dem besten kommerziellen Angebot und dem besten Lokalisierungswert bewertet. Ein hoher Lokalisierungswert allein garantiert allerdings keinen Zuschlag. Vielmehr wird dem Unternehmen mit dem höchsten Lokalisierungswert die Möglichkeit eingeräumt, das eigene Angebot an das beste kommerzielle Angebot anzupassen (bspw. im Rahmen der Vergabeverfahren bei ADNOC). Kommt der entsprechende Bieter dem nicht nach, wird der Bieter mit dem zweithöchsten Lokalisierungswert gebeten, sein Angebot anzupassen, bis es schließlich zum Zuschlag kommt.

In jüngerer Zeit offenbaren sich Bestrebungen, solche Lokalisierungsprogramme auf andere Wirtschaftsbereiche auszuweiten. Das Emirat Abu Dhabi hat bspw. im April 2019 das Programm “Abu Dhabi Value – ADV” als Pilotversion gestartet, das sich auf Waren- und Dienstleistungen erstreckt. Auch gibt es bereits das Programm “NUSANED” seitens des saudi-arabischen Konglomerats SABIC. Kürzlich wurde in Abu Dhabi das “Electricity Tariff Incentive Program – ETIP” verabschiedet, das sich auf den Industriesektor innerhalb Abu Dhabis konzentriert.

Im Hinblick auf diese jüngsten Entwicklungen kann festgestellt werden, dass die Mehrheit der staatlichen Ölgesellschaften in den GCC-Staaten mittlerweile eigenständige Lokalisierungsprogramme verabschiedet hat. Darüber hinaus erstrecken sich neuerdings Lokalisierungsprogramme auf weitere Wirtschaftssektoren. Allerdings tun die Regierungen der GCC-Staaten gut daran, keine “Lokalisierungswettrennen” zu veranstalten. Durch eine Erweiterung der Programme auf weitere Branchen droht eine Überregulierung der Märkte. Die Folge wäre, dass Unternehmen, die in mehreren Wirtschaftsbereichen bzw. Märkten geschäftlich aktiv sind, zahlreiche Programme zu administrieren hätten:

(1) Dies wäre mit einem hohen Verwaltungsaufwand verbunden (u. a. interner Aufwand für die Berechnung der Lokalisierungswerte sowie Zertifizierungskosten).

(2) Unternehmen, insbesondere Kleinere und Mittlere Unternehmen (KMU), können nicht in gleicher Intensität in sämtlichen Jurisdiktionen Lokalisierungsmaßnahmen umsetzen. Folglich würde es zu einer Fragmentierung der Märkte kommen.

(3) Die Lokalisierungsprogramme würden sich dann – zumindest in Bezug auf die kleineren Märkte – in der Summe investitionshemmend auswirken.

Investoren wären gehalten, sich aus kommerziellen Gründen auf die Hauptmärkte, namentlich Saudi-Arabien und die VAE, zu konzentrieren.

Dr. Constantin Frank-Fahle, LL.M., Rechtsanwalt/Managing Partner, Abu Dhabi

 
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