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RIW 1993, 239
 
LG Kassel
Schiedsgerichtsort Belgrad: Kriegsbedingte Nichteinhaltung einer Schiedsabrede mit slowenischer Partei

LG Kassel, Entscheidung vom 2. April 1992 - 11 O 2778/91

LG Kassel vom 02.04.1992 - 11 O 2778/91
RIW 1993, 239 (Heft 3)
Sachverhalt:Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung restlicher Vergütung in Anspruch. Die Beklagte war zu freiwilliger Erfüllung nicht zu bewegen, weshalb die Klägerin schießlich gerichtliche Hilfe in Anspruch nahm. Dabei sah sie im Hinblick auf das Auseinanderbrechen der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (SFRJ) und die damit einhergehenden Kriegswirren, durch die sämtliche Post- und Fernmeldeverbindungen zwischen Ljubljana - der Hauptstadt des jetzt selbständigen Staates Slowenien - und Belgrad/Serbien unterbrochen sowie direkte Reisen unmöglich gemacht wurden, davon ab, das nach Ziff. XII des Vertrages vom 27. 2. 1985 an sich zur Entscheidung berufene Außenhandels-Schiedsgericht bei der Wirtschaftskammer der SFRJ in Belgrad anzurufen. Zugleich kündigte sie die maßgebende Schiedsvereinbarung vorsorglich aus wichtigem Grund. Die Klägerin behauptet, als Institution der jugoslawischen Zentralregierung werde die Wirtschaftskammer der SFRJ - und damit auch das dort bestellte Schiedsgericht - für ein in Slowenien ansässiges Unternehmen von vornherein nicht mehr tätig (Beweis: Einholung einer Auskunft des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland). Jedenfalls - so macht die Klägerin geltend - sei ihr nicht zuzumuten, ein jetzt (unstreitig) im feindlichen Ausland gelegenes Gericht anzugehen. Die Beklagte meint, im Hinblick auf die in Ziff. XII des Vertrages getroffene Schiedsabrede sei die Klage unzulässig. Mit Rücksicht auf die laufenden Verhandlungen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Regierung in Belgrad seien in absehbarer Zeit friedensähnliche Verhältnisse zu erwarten, aufgrund deren das Schiedsgericht tätig werden könne. Die Klage führte zur Verurteilung der Beklagten.Aus den Gründen:»Die Klage ist zulässig und - soweit bisher entscheidungsreif - begründet.(1) § 1027 a ZPO steht einer sachlichen Entscheidung der angerufenen Kammer nicht entgegen; denn die nach dieser Vorschrift mögliche Abrede des Schiedsvertrages versperrt den Weg zu den staatlichen Gerichten nur, soweit einer Partei hierdurch nicht jeder zumutbare Rechtsschutz genommen wird.Ein Schiedsvertrag soll nach seinem Inhalt, Sinn und Zweck die rechtliche Schlichtung bestimmter Streitigkeiten nur von staatlichen auf private (Schieds-)Gerichte verlagern, nicht jedoch nachhaltig erschweren oder gänzlich ausschließen. Erweist sich deshalb ein derartiger Vertrag - gleichviel aus welchem Grunde - als praktisch undurchführbar, muß es jeder Partei unbenommen bleiben, sich aus konkretem Anlaß von ihm zu lösen. Nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB), die im Hinblick auf die wirksame Wahl des deutschen Rechts (vgl. Palandt, BGB, 50. Aufl. Art. 27 EGBGB Anm. 2 e) zwischen den Parteien zur Anwendung kommen, ist demgemäß eine Kündigung aus wichtigem Grund bei Schiedsverträgen grundsätzlich ebenso zulässig, wie bei anderen Dauerschuldverhältnissen (BGH NJW 1964, 1129; BGH NJW 1969, 2771BB 1969 S. 69.; vgl. auch Raeschke-Kessler NJW 1988, 3040 (3044 m. w. N.)). Wegen der Bedeutung des Rechtsschutzes hängt der Bestand eines solchen Kündigungsrechts dabei regelmäßig nicht davon ab, ob ein Schiedsgerichtsverfahren bereits eingeleitet worden ist oder nicht und ob der Kündigende es zu vertreten hat, daß das Verfahren nicht durchgeführt werden kann. Mit dem Abschluß eines Schiedsvertrages verzichtet eine Partei zwar weitgehend auf den gesetzlichen Richter und damit auf das wichtige Grundrecht aus Art. 101 I 2 GG, dieser Wille geht aber in der Regel nicht dahin, Rechtsschutz vor staatlichen Gerichten auch bei Undurchführbarkeit eines Schiedsvertrages nicht in Anspruch zu nehmen. Vielmehr rechtfertigt sich bei einer solchen Sachlage ein außerordentliches Kündigungsrecht aus § 242 BGB als einer ausfüllungsbedürftigen Generalklausel nach dem rechtsstaatlichen Grundsatz, daß der soziale Rechtsstaat es nicht hinnehmen kann, seine Bürger in einen rechtsfreien, von ihm überhaupt nicht kontrollierten Raum zu verstoßen (BGH NJW 1980, 2136/21372BB 1980 S. 1181.).Aus dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes ist auch für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten die Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes abzuleiten, der grundsätzlich die umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes und eine verbindliche Entscheidung durch einen Richter ermöglichen muß. Zu einem wirkungsvollen Rechtsschutz gehört notwendig, daß er in angemessener Zeit erlangt werden kann; denn sonst hätten die von der Rechtsordnung anerkannten Rechte des einzelnen nur geringes praktisches Gewicht. Wegen seiner für den Bestand der Rechtsordnung wesentlichen Bedeutung kann dieser Rechtsschutz daher selbst durch Parteivereinbarung allenfalls in einzelnen konkreten Ausgestaltungen, nicht jedoch von vornherein in seiner Substanz abbedungen werden (BGH NJW 1989, 14773BB 1989 S. 944.). Da jedes Schiedsgerichtsverfahren darauf ausgerichtet ist, durch einen Schiedsspruch zwischen den Parteien alsbald Rechtsfrieden zu schaffen, muß eine Lösung vom Schiedsvertrag zumindest dann statthaft sein, wenn Umstände eintreten, auf Grund deren in diesem Verfahren nicht mehr mit einem effektiven Rechtsschutz gerechnet werden kann (BGH NJW 1986, 2765 (2766); vgl. auch BGH NJW 1988, 1215).Von einer solchen Gestaltung ist nach dem Vorbringen der Parteien hier auszugehen; denn danach haben sich seit Abschluß des Vertrages vom 27. Februar 1985 so tiefgreifende Umwälzungen ergeben, daß die Klägerin zur Durchsetzung ihrer Ansprüche nicht mehr auf den dort vorgesehenen Weg der Streitschlichtung verwiesen werden darf. Dabei kann eingangs dahinstehen, ob das an sich zur Entscheidung berufene Außenhandels-Schiedsgericht bei der Wirtschaftskammer der SFRJ in Belgrad als solches überhaupt noch funktionsfähig ist; denn sollte dies grundsätzlich der Fall sein, wäre es zumindest der Klägerin nicht in angemessener Weise zugänglich. Insoweit ist zwischen den Parteien vielmehr unstreitig, daß derzeit sämtliche Post- und Fernmeldeverbindungen zwischen Ljubljana und dem Sitz des Schiedsgerichts unterbrochen und daß auch Reisen von Slowenien nach Serbien allenfalls auf dem Umweg über Ungarn möglich sind. Unstreitig ist zwischen ihnen weiterhin, daß sich die separierten Teilstaaten der ehemaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien praktisch im Kriegszustand befinden, wobei ernsthafte Anhaltspunkte für die von der Beklagten 'in absehbarer Zeit' erwartete Rückkehr 'friedensähnliche(r) Verhältnisse' von ihr weder dargetan noch sonst ersichtlich sind. Berücksichtigt man demgemäß, daß das ursprünglich vorgesehene Schiedsgericht entgegen den Verhältnissen bei Vertragsschluß aus Sicht der Klägerin nunmehr einer feindlichen auswärtigenMacht zugeordnet und in dem für eine sachgerechte Prozeßführung erforderlichem Maß auch tatsächlich nicht zu erreichen ist, würde man die dem Grundsatz der Vertragstreue gezogenen Grenzen (vgl. Palandt a. a. O. § 242 Anm. 6 B c) nachhaltig überschreiten, wollte man sie gleichwohl auf Dauer an der unter gänzlich anderen Umständen getroffenen Schiedsgerichtsvereinbarung festhalten.«

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