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SRNL 2023, 8
Mönning 

Do it yourself! Das verwalterlose Verfahren

von Prof. Dr. R.-D. Mönning, Aachen

Abbildung 10

Verwalterloses Verfahren: Wird der Bock zum Gärtner?

Ein Schreckgespenst geistert durch die Sanierungsbranche: Das verwalterlose Insolvenzverfahren. Der Schuldner soll sein Verfahren zukünftig selbst betreiben. Nicht einmal ein Sachwalter ist als Aufsichtsorgan vorgesehen.

Das sorgt für Unruhe und Aufregung. Die Verwalterzunft fürchtet um ihre Stellung, viele Beteiligte unken, der Bock werde zum Gärtner gemacht, wenn der Schuldner den von ihm selbst vor die Wand gefahrenen Laden ohne Kontrolle abwickeln darf.

Um was geht es?

Die am 07.12.2022 unter der Überschrift „Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Insolvenzrechts“ vorgelegte Richtlinienvorschlag soll anknüpfend an den präventiven Restrukturierungsrahmen in einem weiteren Schritt zentrale Aspekte des materiellen Insolvenzrechts in Europa vereinheitlichen. Das vereinheitlichte Insolvenzrecht soll zum reibungslosen Funktionieren des Europäischen Binnenmarkts beitragen. Dazu ist vorgesehen, ein vereinfachtes Liquidationsverfahren für Kleinstunternehmen zu etablieren. Was dies zum reibungslosen Funktionieren des Binnenmarktes und hier insbesondere des freien Kapitalverkehrs beitragen soll, bleibt vermutlich das Geheimnis der Europäischen Kommission, die den Richtlinienvorschlag unterbreitet hat.

Aber es betrifft ja nur Kleinstunternehmen, könnte man zur Beruhigung einwenden. Aber schon beim zweiten Blick wird klar, dass die EU etwas eigenwillige Vorstellungen von einem Kleinstunternehmen hat. Denn dies sollen Unternehmen sein, die im Vorjahresdurchschnitt weniger als zehn Mitarbeiter beschäftigten und einen Jahresumsatz oder eine Bilanzsumme von maximal 2.000.000,00 € ausweisen. Zieht man die deutsche Insolvenzstatistik zu Rate, wird schnell deutlich: diese Unternehmensgröße bildet mit über 80 % die absolute Mehrzahl aller in Deutschland von Insolvenz betroffenen Unternehmen. Es geht also nicht nur um Betriebe mit einem vernachlässigbaren Geschäftsvolumen, sondern auch um Unternehmen mit durchaus komplexen Strukturen und nicht mehr auf den ersten Blick überschaubaren Vermögensverhältnissen.

Zum Zwecke der Kostenschonung sollen Insolvenzverfahren dieser sog. „Kleinstunternehmen“ zukünftig ausschließlich in Eigenverwaltung des Schuldners durchgeführt werden. Die Bestellung eines Insolvenzverwalters ist nur dann vorgesehen, wenn der Schuldner selbst oder ein oder mehrere Gläubiger dies beantragen und eine hinreichende Masse vorhanden ist, um die Kosten des Verfahrens zu decken. Beantragt ein Gläubiger die Bestellung eines Insolvenzverwalters auch dann, wenn das vorhandene Vermögen die Kosten nicht deckt, hat der antragstellende Gläubiger die Kosten zu tragen.

Das Verfahren soll zügig abgewickelt werden. Bereits zwei Wochen nach Eingang des Insolvenzantrages hat das zuständige Insolvenzgericht das Verfahren zu eröffnen. Die Verwertung des Vermögens soll über elektronische Auktionssysteme erfolgen, die Erlösverteilung obliegt dem Gericht.

Auf die langwierige Verfolgung von Anfechtungsansprüchen wird verzichtet, sofern nicht ein Gläubiger dies ausdrücklich verlangt. Standardformulare unterstützen die Abwicklung zwecks Beschleunigung des Verfahrens. Sie müssen aber noch gefertigt werden.

SRNL 2023 S. 8 (9)

Da reden Blinde von der Farbe, könnte man meinen. Schuldner sind schon heute nicht in der Lage oder nicht willens, ordnungsgemäße Insolvenzanträge einzureichen. Verzeichnisse über Gläubiger und deren Rechte sind fast nie vollständig und selten zutreffend. Die Angabe der Vermögensgegenstände ist lückenhaft, mancher Gegenstand wird bewusst verschwiegen oder vorher in Sicherheit gebracht. Das alles muss durch Ermittlungen eines unabhängigen Verwalters aufgeklärt werden, um zu verhindern, dass den Gläubigern wichtige und wesentliche Vermögensgegenstände entzogen werden. Die Ordnungsfunktion des Insolvenzrechts ist gefährdet. Das Gläubigerinteresse wird nicht gewahrt, wenn an den Grundfesten des Insolvenzrechts gerüttelt und die Aufsicht abgeschafft wird.

Die Anforderungen an eine Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren eines sogenannten Kleinstunternehmens hat der Richtlinienentwurf erst gar nicht auf dem Schirm. Wer prüft, ob überhaupt die Voraussetzungen für eine Fortsetzung der betrieblichen Tätigkeit vorliegen? Wer verhindert, dass letzte Ressourcen noch durch eine sinnlose Betriebsfortführung verwirtschaftet werden? Aber auch eine andere Variante ist denkbar. Dass nämlich sinnvolle und darstellbare Betriebsfortführungen nicht erfolgen, weil dem sich selbst überlassenen Schuldner der Blick dafür fehlt, zwischen angezeigter Betriebsfortführung und notwendiger Stilllegung zu differenzieren.

Die Definition von Kleinstunternehmen an Unternehmenskennzahlen wie Umsatz, Bilanzsumme oder Anzahl der Arbeitnehmer festzumachen, ist ein Irrweg. Das hat schon die Bundesrechtsanwaltskammer in ihrer Stellungnahme zu dem Entwurf zutreffend erklärt. Tatsächlich sind Kleinstunternehmen nur solche, deren Vermögensverhältnisse überschaubar sind und die nur über wenige Gläubiger verfügen. Die Richtlinienverfasser wären deshalb gut beraten, wenn sie sich für die Bestimmung eines Kleinstunternehmens am deutschen Insolvenzrecht orientieren. Denn schon bisher – seit immerhin fast einem Vierteljahrhundert – orientiert sich hierzulande die Zuordnung zur Verfahrensart und zur Abgrenzung zwischen Unternehmern und Verbrauchern an der Frage, ob Vermögensverhältnisse überschaubar sind und die Zahl der Gläubiger gering ist. Nur dann könnte man tatsächlich darüber nachdenken, die Abwicklung dem Schuldner zu überlassen, weil es kaum etwas gibt, was noch verdorben werden kann. Denn sind die Vermögensverhältnisse überschaubar, könnte das auch für die maximal anzurichtenden Schäden gelten. Aber auch das ist nicht zutreffend: Denn nicht selten können auch in Kleinstverfahren in diesem Sinne Anfechtungsansprüche zu Gunsten der Gläubigerbefriedigung durchgesetzt werden, etwa weil vor 3 Jahren noch der Miteigentumsanteil am Eigenheim übertragen wurde. Nicht ohne Grund hatte der deutsche Gesetzgeber sich zuletzt entschieden, auch dem Insolvenzverwalter in Verbraucherinsolvenzverfahren die Anfechtungsmöglichkeiten originär zuzubilligen, wie bei Regelinsolvenzverfahren.

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Professor Dr. Rolf-Dieter Mönning (Mönning Feser Partner) gründete 1980 die Kanzlei Mönning & Georg und zählt zu den führenden Verwaltern und Restrukturierungsberatern (erneut: „Beste Anwälte im Bereich Restrukturierung und Insolvenz“ Handelsblatt 2020). Er wird seit 1979 mit der Abwicklung von Konkurs-, Vergleichs-, Gesamtvollstreckungs- und Insolvenzverfahren und der Beratung von Krisenunternehmen beauftragt und hat bis heute über 3.500 Verfahren aller Größenordnungen mit Schwerpunkt Fortführung und Sanierung bearbeitet. Er veröffentlicht und referiert regelmäßig im In- und Ausland zu insolvenzrechtlichen Themen und ist u.a. Herausgeber und Autor des Handbuchs „Betriebsfortführung in Restrukturierung und Insolvenz“. Bis zur Emeritierung war er Professor für Unternehmensrecht an der Fachhochschule Aachen.

 
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