Editorial
Rolf-Dieter Mönning
Das einzigartige Symposion für Insolvenzrecht und Arbeitsrecht, dass seit 20 Jahren in Ingolstadt die lange als feindliche Brüder bezeichneten Rechtsgebiete zusammenbringt, hat auch in diesem Jahr gehalten, was es jährlich aufs Neue verspricht: Wissenschaftlichen Tiefgang, Aktuelles aus der Rechtsprechung von BAG und BGH, Neues aus der Praxis und im Streitgespräch ausgetragene Kontroversen renommierter Experten aus Theorie und Praxis über die Praxistauglichkeit des deutschen Insolvenzrechts, den Grund für nur beschränkte Sanierungserfolge, notwendige Nachbesserungen beim StaRuG, Serieninsolvenzen und am Ende noch einen Blick in die Zukunft. Glücklicherweise sah sich kein Teilnehmer der lebhaften Debatte veranlasst, zu den Hellebarden, Lanzen und Schwertern zu greifen, die im großen Veranstaltungssaal des Ingolstädter Schlosses, in dem das Bayrische Armeemuseum beherbergt ist, griffbereit zur Verfügung gestanden hätten.
Passend zum Ort des Geschehens, wurde der Schauplatz des Symposions schon in der Vergangenheit für Insolvenzverwalter und Sanierungsberater häufig zur Folterkammer, in der die Richter des 2. oder 6. Senat des BAG die Grundzüge ihrer häufig als sanierungsfeindlich qualifizierten Rechtsprechung erläuterten. Das galt auch für den Paukenschlag, mit dem die Vorsitzende des 6. Senat des BAG vor Jahren darlegte, weshalb Fehler im Konsultationsverfahren und im Anzeigeverfahren bei Massenentlassungen (§ 17 Abs. 2, 3 KSchG) bislang zur Nichtigkeit oder Unwirksamkeit ausgesprochener Kündigungen führen. Und auch in diesem Jahr hatte Frau Spelge die große Pauke im Gepäck. Diesmal unter dem Titel „Massenentlassung – Ende des Schreckens?“ – folgte der nächste Schlag, der aber jetzt den Weg in die andere Richtung weisen soll. Nunmehr sollen Fehler im Anzeigeverfahren nicht mehr automatisch zur Unwirksamkeit einer Kündigung führen. So sieht es jedenfalls ein Vorlagebeschluss des 6. Senats des BAG an den Europäischen Gerichtshof vor. Der Haken an der Sache ist, dass es gleich zwei Vorlagebeschlüsse zu diesem Thema gibt, da sich der 2. und der 6. Senat des BAG nicht auf ein einheitliches Vorgehen verständigen konnten. Und anders als die Vorlage des 6. Senats, birgt die Vorlage des 2. Senats das Risiko, dass es bei der Nichtigkeitsfolge bleibt. Tatsächlich hat offenbar nur der 6. Senat des BAG erkannt, dass die Anzeige der Massenentlassung völlig sinnlos ist: Sie hat keinerlei Wirkung, führt zu nichts und bewirkt nichts. Im besten Fall wird sie bei der Bundesagentur mit einem Eingangsstempel versehen, geknickt, gelocht und abgeheftet. Dass unter diesen Voraussetzungen fehlerhafte oder unvollständige Angaben in der Anzeige oder deren Versendung an eine örtlich nicht zuständige Filiale der Bundesagentur nicht zur Unwirksamkeit daraufhin ausgesprochener Kündigungen führen sollten, leuchtet jedem Beteiligten ein. Nicht gestellt blieb in Ingolstadt die Frage, weshalb diese Erkenntnis nicht bereits früher reifen konnte. Denn dann wären einige katastrophale Folgen für bundesweit bekannte Großverfahren vermieden worden. Bei einer nicht ganz unbedeutenden Fluglinie hatte die örtliche Fehleinschätzung – Berlin statt Düsseldorf – massenhafte Nachkündigungen mit entsprechender Belastung der Insolvenzmasse zur Folge. So, als wäre der Postweg zwischen Berlin und Düsseldorf versperrt gewesen, sämtliche Faxgeräte ausgefallen und die Mailfunktion zur Weiterleitung eingegangener Sendungen bei der Bundesagentur noch unbekannt.
Das Drama um die Massenentlassung befeuerte die Podiumsdiskussion. Sind komplexe Insolvenzverfahren noch beherrschbar? Ist die Überregulierung des Insolvenzrechts ursächlich für den bescheidenen Sanierungserfolg, der im aktuellen Heft des InDAT-Reports unter Verweis auf das statistische Bundesamt mit gerade einmal 6 % aller Unternehmensinsolvenzen ausgewiesen wird? Und ist das neue Phänomen der Serieninsolvenzen, allen voran das prominente Beispiel von Karstadt-Kaufhof, ebenfalls Folge einer systembedingten Konflikt- und Fehleranfälligkeit und dadurch ausgelöster Fehlschläge? Oder bleiben in der Eigenverwaltung zu oft inkompetente Geschäftsführungen oder Inhaber auf dem Fahrersitz, die dann, kaum dass die Fahrlehrer von Bord sind, den Wagen wieder in den Graben steuern. Schon im Zuge der Beratungen um die neue Insolvenzordnung in den 90iger Jahren des vorherigen Jahrhunderts haben die Sanierungsprofis des Gravenbrucher Kreis vor Detailperfektionismus gewarnt. Die Krisenbewältigung braucht Beinfreiheit und Flexibilität, keine Überregulierung, war die Botschaft – die der Gesetzgeber überhört hat.
Mit dem aktuellen Heft wollen wir diese Diskussion aufgreifen und fortsetzen, damit es im bevorstehenden Urlaub nicht langweilig wird. Ich wünsche Ihnen einen krisenfreien Urlaub und eine anregende Lektüre.
Ihr Rolf-Dieter Mönning