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SRNL 2023, 19
Voitzsch 

Halteprämien in der Sanierungspraxis

von Sebastian Voitzsch, Münster

Abbildung 22

Nur wer es richtig macht, erkauft sich wahre Treue!

„Nichts ist so beständig wie die Veränderung“ – diese alte Binsenweisheit war selten so aktuell wie derzeit in der arbeitsrechtlichen Sanierung. Noch vor wenigen Jahren bestand in Insolvenz- und Sanierungsmaßnahmen die Aufgabe darin, möglichst viele Mitarbeiter mit überschaubarem Risiko aus dem Unternehmen herauszubekommen und damit die Personalstärke so weit zu reduzieren, dass der potentielle Erwerber sein Interesse behält. Gleichzeitig musste natürlich darauf geachtet werden, dass gerade die „Olympiamannschaft“ den Auswahlprozess übersteht – die allerdings bisweilen so gar nicht mit den arbeitsrechtlichen Vorgaben aus der Trias „Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten“ zusammenpasste.

Der Fachkräftemangel hat diese Situation grundlegend verändert. Denn dieser betrifft selbstverständlich auch Unternehmen, die sich einer Sanierungsmaßnahme unterziehen (müssen). Gerade die qualifizierten Kräfte, auf die ein Unternehmen dringend angewiesen ist, wenn es eine ernsthafte Chance zur Sanierung haben soll, werden von Wettbewerbern umworben. Die Aufgabe in der Sanierung besteht darin, diese an das Unternehmen zu binden und zum Bleiben zu bewegen – damit das Unternehmen mit möglichst vielen guten Leuten erhalten bzw. übertragen werden kann.

Nicht selten kommt in dieser Situation die Idee auf, die Mitarbeiter mit „Bleibeprämien“ oder „Halteprämien“ – neudeutsch auch „retention bonus“ – zum Verbleib im Unternehmen zu bewegen. Selbst (vorläufige) Insolvenzverwalter stimmen trotz knapper Kassen entsprechenden Zahlung(sversprechen) an die Mitarbeiter zu, denn die Nachteile, die dem Unternehmen bei Weggang wichtiger Mitarbeiter entstehen, sind noch gravierender als die zusätzlich zu stemmende wirtschaftliche Belastung. Indes gibt es einige Stolpersteine zu beachten. Der erste folgt daraus, dass die Prämien im Regelfall in der Krise zugesagt werden, die Bezahlung aber erst nach deren Überwindung (und im Zweifel mit dem Geld des Investors) bezahlt werden soll. Sofern zwischen Beginn der Krise und erfolgreicher Sanierung die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens liegt, dann ist der Grund für die Prämie vor Eröffnung gelegt worden, die Zahlung soll dann nach Eröffnung erfolgen. Damit stellt sich die Frage, ob die Prämien als Insolvenzforderung (da vor Eröffnung vereinbart) gelten, oder aber ob sie als Masseverbindlichkeit (da Fälligkeit nach Eröffnung) anzusehen sind.

Die reine Fixierung auf die Stichtage Vereinbarung bzw. Fälligkeit verstellt den Blick darauf, was eine Masseverbindlichkeit ist. Maßgeblich für diese Qualifikation ist nicht, wann Beträge zur Zahlung anstehen, sondern vielmehr, ob die „Gegenleistung“ der Masse zugutegekommen ist. Eine „Leistung für die Masse“ wird angenommen, wenn der Stichtag, bis zu dem das Anstellungsverhältnis ungekündigt bestehen soll, nach der Insolvenzeröffnung liegt. Dann lässt sich argumentieren, dass die Leistung – Fortbestand des Anstellungsverhältnisses bis zum Tag X, der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens liegt – eben der Masse zu Gute gekommen ist. In einer solchen Konstellation hat das BAG (Urteil vom 12.09.2013 – 6 AZR 953/11) denn auch angenommen, dass die zugesagte Halteprämie eine Massever¬SRNL 2023 S. 19 (20)bindlichkeit sei. Ausschlaggebend dafür war, dass der Anspruch am „Tag X“, also am vereinbarten Stichtag, entsteht und dieser Tag eben nach der Eröffnung des Verfahrens liegt.

Hier gilt es, bei der Vereinbarung der Halteprämie den zu erwartenden Verlauf und insbesondere auch mögliche Verzögerungen einzukalkulieren. Nicht selten passiert es, dass die Eröffnung später erfolgt als ursprünglich geplant – was dann unter Umständen gravierende Folgen für die Halteprämie haben kann und deren Zweck ins Gegenteil verkehrt – ein Mitarbeiter, der seine erwarte Prämie nicht erhält bzw. auf die Anmeldung zur Insolvenztabelle verwiesen werden muss, wird sich gut überlegen, ob der Arbeitgeber die gezeigte Treue wert war.

Weiter gilt es, genau zu formulieren, wofür die Prämie geschuldet ist. Nach der Rechtsprechung des BAG hat eine „echte“ Halteprämie keinen Vergütungscharakter, d.h., sie wird gerade nicht als Vergütung für geleistete Arbeit, sondern allein dafür gezahlt, dass der Mitarbeiter dem Unternehmen die Treue hält und das Anstellungsverhältnis nicht durch Kündigung beendet.

Man sollte der Versuchung widerstehen, eine „Mischprämie“ zu vereinbaren – jedenfalls nicht, ohne sich der Konsequenzen bewusst zu sein. Denn wenn die Prämie für Betriebstreue einerseits und für gute Leistungen andererseits gewährt wird, dann hat sie Vergütungscharakter. Damit ist sie aber auch – jedenfalls teilweise – zu zahlen, auch wenn das Anstellungsverhältnis vom Mitarbeiter gelöst wird, womit die Halteprämie ihren Zweck verfehlt. Zwar wird man in diesem Fall eine zeitanteilige Berechnung vornehmen müssen und die Gesamtprämie kürzen können. Daran, dass ein „Bonus“ gezahlt werden muss, obwohl der Mitarbeiter bzw. die Mitarbeiterin das Unternehmen verlassen hat, führt in diesem Fall aber kein Weg vorbei. Für solche Fälle wäre es demnach der geeignete Weg, die Vergütung für die gute Leistung und die Halteprämie separat zu vereinbaren, um Probleme zu vermeiden.

Auch in der Formulierung gibt es Fallen. Wird nur auf den reinen Bestand des Arbeitsverhältnisses abgestellt, spielt es keine Rolle, ob zum Stichtag bereits eine Kündigung ausgesprochen ist. Gerade bei längeren Kündigungsfristen können hier mehrere Monate Frist einzuhalten sein und damit mag das Arbeitsverhältnis zwar noch bestehen, aber die Kündigung ist bereits ausgesprochen und das Ende daher festgelegt.

Dass eine Halteprämie im Verhältnis zum Gehalt des Mitarbeiters stehen sollte, versteht sich einerseits von selbst, andererseits ist in Sanierungsfällen das Geld üblicherweise so knapp, dass die Gefahr überzogener Prämien sich nicht stellt. Dennoch sei der Punkt der Vollständigkeit halber erwähnt. Die Not der Verzweiflung bringt bisweilen die überraschendsten Ergebnisse hervor, von denen nicht alle einer näheren – und schon gar nicht einer insolvenzrechtlichen – Prüfung standhalten.

Abbildung 23

Sebastian Voitzsch ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht. Nach zweijähriger Tätigkeit in einer ehemaligen OLG-Kanzlei, die seine vorhandene Vorliebe für alle Bereiche der Prozessführung weiter verstärkt hat, gehört er seit 2009 zum Team der MÖNIG Wirtschaftskanzlei. Hier vertritt er die Bereiche (Insolvenz-)Arbeits- und Prozessrecht. Da der beste Prozess, der ist, der nicht geführt werden muss, berät und vertritt er Mandanten auch ohne bzw. zur Vermeidung gerichtlicher Auseinandersetzungen.

 
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