Insolvenzflut mit künstlichem Wellenbrecher
von Michael Ehling, Greven
Prophezeiungen sind tückisch: Ein zu früh platzierter Hinweis verfehlt die Wirkung ebenso wie der sprichwörtliche Prophet im eigenen Land. Aber bei wirtschaftlichen Prognosen ist doch kaum ein Irrtum möglich, oder war alles am Ende gar nicht so schlimm, weil die bundesdeutschen Unternehmen stabil gebaut und sturmfest sind? Oder kam die Sturmflutwarnung nur viel zu früh?
Halten die Wellenbrecher?
Deutsche Kreditversicherer erwarten für das nächste Jahr einen deutlichen Anstieg der Unternehmensinsolvenzen und sind überzeugt, dass die aktuellen Zahlen die wirtschaftliche Lage nicht widerspiegeln. Noch profitieren viele Unternehmer von den staatlichen Hilfen, so der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft (GDV), aber eine Trendwende zeichnet sich bereits ab. Die Einschätzung der Europäischen Zentralbank (EZB) ist eine ähnliche: Zwar sank die Quote der notleidenden Kredite (NPL) im letzten Jahr spürbar, dennoch weisen die Frühindikatoren des Institutes auf einen baldigen Anstieg hin. Sie warnt daher eindringlich vor vermehrten Ausfällen und hält die Banken dazu an, Rückstellungen nicht verfrüht aufzulösen und Kreditqualitäten permanent zu überprüfen. Die Wirtschaftsforschung Creditreform beurteilt die aktuelle Situation derzeit noch etwas positiver, ist aber dennoch überzeugt, dass mittelfristig besonders bei den kleinen Unternehmen, in Gastronomie und Handel, ein Anstieg der Insolvenzen zu befürchten ist.
Sollte im Frühjahr noch das neu eingeführte COVInsAG, beziehungsweise das StaRUG als Grund für die ausbleibende Welle angeführt worden sein, wissen wir jetzt, ein paar Monate später: bundesweit sind es gerade mal ein Dutzend in der Verwalterbranche bekannte Verfahren! Das StaRUG hatte also bislang nicht den gewünschten Effekt auf die Krisensituation. Also war es doch der großzügige Geldsegen des Finanzministers?
Die staatliche Hilfe war notwendig und im zeitlichen sowie monetären Umfang sinnvoll. Statt auf Barschecks mit dem Konterfei der Regierung zu warten, hatten viele deutsche Unternehmer unbürokratische Hilfen bereits nach ein paar Tagen auf dem Konto. Und hierin liegt die erste Falle: Viel, sehr viel Liquidität wurde in extrem kurzer Zeit bereitgestellt. Bedarfsprüfungen, Plausibilitätsabgleiche oder der Ausschluss der sogenannten Zombieunternehmen erfolgte spät, oder noch gar nicht. 25 Milliarden Euro flossen nach Angaben des BMWI als Überbrückungshilfen des Bundes in notleidende Unternehmen.
Liquidität, die nicht jedem Unternehmen langfristig zuträglich ist. Der Druck, strukturelle Probleme anzugehen, war plötzlich genommen. Damit sind genau die Aufgaben liegengeblieben, denen sich ein Unternehmen schonungslos stellen muss. Eine großzügige Finanzspritze verfehlt die langfristige Wirkung und verschleiert die eigentlichen Herausforderungen. Es ist davon auszugehen, dass zahlreiche Geschäftsleiter die Chance nicht genutzt haben, um tatsächliche (pandemieunabängige) Themen anzugehen. Geschäftsmodelle wurden vielerorts nicht überdacht geschweige denn angepasst, dringend notwendige Sanierungsmaßnahmen nicht eingeleitet oder wenigstens geplant. Die Pandemie wird bei diesen Unternehmen eher als Verstärker wirken. Und wenn eben diese finanziellen Mittel aufgebraucht sind, ist eine Insolvenzantragsstellung unumgänglich. Schon jetzt wirkte die Ausnahmesituation in vielen Unter¬
Hinzu kommt, dass die gestiegenen Rohstoff- und Energiepreise in dem Ausmaß nicht kalkulierbar waren und jede Budgetplanung zunichtemachen. Besonders Gießereien und andere Industrieunternehmen, die stark energielastig arbeiten, wurden kalt erwischt. Eine Weitergabe an den (End)kunden ist nur bedingt durchsetzbar oder sorgt für weitere vertriebliche Rückschläge. Auftragsstornierungen aufgrund nicht eingehaltener Lieferzusagen sind bereits heute an der Tagesordnung. Zudem sind die Coronahilfen bereits aufgebraucht. Fraglich, wie lange insbesondere KMU dieser Entwicklung standhalten können.
Für viele Unternehmer war nicht eindeutig ersichtlich, in welchem Zeitraum, für wen unter welchen Voraussetzungen die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt war. Es ist zu befürchten, das bei vielen die Insolvenzreife schon längst gegeben ist. Und das, wo die ersten Rückzahlungsaufforderungen der Hilfen die Betriebe erreichen. Entweder, weil die Fälligkeit zur Tilgung gegeben ist oder, dass nach eingehender Prüfung der eingesandten Unterlagen doch kein Anspruch in gewährter Höhe besteht.
Die Regierung hat angekündigt, dass die Finanzhilfen im nächsten Quartal auslaufen sollen. Es wäre also sicherlich ratsam, den Prognosezeitraum, den die Insolvenzordnung gewährt, zu nutzen und zu prüfen, ob die Liquidität so lange trägt. Ein Stresstest, eine Prüfung durch einen Sanierungsberater oder allein die schlichte und schonungslose Planung des nächsten Geschäftsjahres mit allen zu erwartenden und bereits bekannten Unwägbarkeiten ist jedem Geschäftsführer dringend angeraten.
Denn oben beschriebene und weitere Effekte lassen einen Anstieg der Insolvenzen in nächster Zeit erwarten. Jedoch eben keine Flutwelle oder plötzliche Springflut, vielmehr ist ein Hochwasser zu befürchten, dass leider nicht nur die Zombieunternehmen von Markt spülen wird.
Michael Ehling ist Vorstand der BURK AG und Geschäftsführer der BURK EHLING Finance GmbH. Als Sparkassenbetriebswirt und zertifizierter Sanierungsexperte ist er in allen Fragestellungen rund um die Themen Fördermittelberatung, Restrukturierung, Interimsmanagement und Finanzierungen erfahren. Dabei stehen die Beratung bei Existenzgründungen genauso in seinem Fokus, wie die Unterstützung von Unternehmen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten.