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SRNL 2021, 17
Voitzsch 

Lästiger Arbeitsschutz?

von Sebastian Voitzsch, Münster

Abbildung 19

Sicherheit oder übertriebene Vorsorge?

In vielen Betrieben – und in besonderem Maße in den Zweigen mit einem hohen Anteil an Bürotätigkeiten – fristet Arbeitsschutz häufig ein Schattendasein. Man denkt beim Arbeitsschutz an den Helm und die Sicherheitsschuhe auf der Baustelle, Schutzkleidung und Schutzausrüstung beim Umgang mit Motorsense und -säge und ähnlichen gefährlichen Werkzeugen und Tätigkeiten. Im Büro kommen einem zu diesem Thema vielleicht noch die Arbeitsplatzbrille und die Bildschirmarbeitsplatzverordnung oder ein ergonomischer Schreibtischstuhl in den Sinn – mehr aber auch nicht.

Viele Betriebsinhaber und Personalverantwortliche hören den Begriff „Gefährdungsbeurteilung“ erstmals, wenn sie von der Schwangerschaft einer Mitarbeiterin erfahren. Das Mutterschutzgesetz schreibt zwingend vor, dass im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung nach dem Arbeitsschutzgesetz zu prüfen ist, inwiefern für Schwangere besondere Risiken bestehen (§ 10 MuSchG iVm § 5 ArbSchG). Dabei ist eine Gefährdungsbeurteilung grundsätzlich für jeden Arbeitsplatz durchzuführen. Dabei soll geprüft werden, ob für die Beschäftigten auf diesem Arbeitsplatz gesundheitliche Risiken bestehen und wie diese Risiken nach Möglichkeit minimiert werden können.

Diese Regelung ist auch zentraler Ausgangspunkt der zum Anfang des Jahres in Kraft getretenen Corona-Arbeitsschutzverordnung (SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung vom 21. Januar 2021). Damit sind die Arbeitgeber für jeden bestehenden Arbeitsplatz verpflichtet, zu prüfen, ob für die Beschäftigten Risiken in Bezug auf eine Infektion mit dem Corona-Virus bestehen.

Verglichen mit den eingangs genannten Gefahren, die häufig von den ausgeübten Tätigkeiten selbst ausgehen, sind es hinsichtlich des Corona-Virus eher die Arbeitsplätze selbst, von denen die Gefährdungen ausgehen: mehrfach besetzte, enge Büros, Sitzanordnungen mit gegenüber angeordneten Arbeitsplätzen, ungenügende oder fehlende Lüftungsmöglichkeiten aber auch eine zentrale Klimaanlage, welche die Luft aus allen Räumen überall verteilt, sind Aspekte, die zu einer möglichen Gefährdung der Mitarbeiter führen können.

Maßstab für die Bewertung von Gefährdungen und Maßnahmen sind dabei stets der aktuelle Stand der Technik und der Hygiene sowie der arbeitsmedizinische Erkenntnisstand. Orientierung geben beispielsweise die Verlautbarungen des Robert-Koch-Instituts. Grundsätzlich sind damit auch am Arbeitsplatz im Büro die Vorgaben einzuhalten, die derzeit überall im öffentlichen Raum gelten: ein Abstand von mindestens 1,5m (sitzend) bzw. 2m (stehend), regelmäßiges Lüften, Einhalten eines Grenzwertes von 1000ppm CO2. Dazu gehört auch, dass ein Arbeiten in wechselnden Teams vermieden wird und dass besonders in gemeinschaftlich genutzten Räumen (Aufenthaltsräume, Eingangsbereiche, Sanitärräume) auf die Einhaltung des Abstands geachtet wird. Hier sollte zudem durch Markierungen SRNL 2021 S. 17 (18)auf dem Boden, Hinweisschilder, Begrenzung der sich gleichzeitig darin aufhaltenden Mitarbeiter, Desinfektionsmittel-Spender etc. auf bestehende Gefahren und Verhaltensmaßregeln hingewiesen werden. Häufig wird dies auch ein Entzerren von Pausenzeiten, Mahlzeiten etc. erfordern. Aber auch ein Verzicht auf Dienstreisen, (persönliche) Meetings und ähnliche Veranstaltungen stellt eine geeignete Maßnahme dar, um Gefährdungen zu minimieren.

Die Verpflichtung, Konzepte zu entwickeln und den Arbeitsschutz einzuhalten, obliegt dem Arbeitgeber. Das Arbeitsschutzgesetz, welches die Grundlage für diese Maßnahmen bildet, verpflichtet ausschließlich die Arbeitgeber, sich um diese Belange zu kümmern: „Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes (…) zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen“, heißt es in § 3 ArbSchG. Das heißt vor allem, dass der Arbeitgeber von sich heraus aktiv werden muss; er darf nicht abwarten, bis Beschäftigte möglicherweise an ihn herantreten und Maßnahmen einfordern – oder noch schlimmer, bis etwas passiert ist. Unabhängig davon, dass für die Nichteinhaltung von Arbeitsschutzmaßnahmen Bußgelder drohen, läuft der Arbeitgeber Gefahr, dass sein Unternehmen von der zuständigen Gesundheitsbehörde im Falle von Infektionen stillgelegt wird, was wirtschaftlich empfindliche Folgen haben kann. Schon Quarantäne für einzelne unentbehrliche Mitarbeiter kann erhebliche Auswirkungen nach sich ziehen.

Eine Neuerung in diesem Bereich ist die viel diskutierte Homeoffice-Pflicht. § 2 der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung sieht ausdrücklich vor, dass den Mitarbeitern im Falle von Büroarbeit zu ermöglichen ist, diese Tätigkeiten in deren Wohnung auszuführen, wenn keine „zwingenden betriebsbedingten Gründe“ entgegenstehen.

Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber den „schwarzen Peter“ in mehrfacher Hinsicht dem Arbeitgeber zugeschoben. Er muss zunächst einschätzen, welchen Gefahren die Mitarbeiter im Unternehmen ausgesetzt sind. Dann muss abgewogen werden, inwiefern die betrieblichen Gründe, die dagegensprechen, den Mitarbeiter ins Homeoffice zu entlassen, wirklich „zwingend“ im Sinne der Vorschrift sind. Rechtfertigt es etwa die Sorge, Quantität und Qualität der Arbeitsleistung könnten leiden, dem Mitarbeiter das Restrisiko der Anwesenheit im Büro aufzubürden? Dabei sollte auch der Arbeitsweg nicht außer Acht gelassen werden: verfügt ein Mitarbeiter nicht über die Möglichkeit, mit dem eigenen Auto, Fahrrad oder zu Fuß in die Firma zu kommen, sondern ist auf Bus und Bahn angewiesen, besteht bei den „zwingenden betriebsbedingten Gründen“ ein erheblicher Argumentationsbedarf, um den Mitarbeiter den Risiken des Arbeitsweges auszusetzen. Steht dagegen ein Einzelbüro zur Verfügung und kann der Mitarbeiter ohne Sammelbeförderung den Arbeitsplatz erreichen, sind auch weniger schwerwiegende Gründe geeignet, eine Verweigerung des Homeoffice zu rechtfertigen.

Hinzu kommt, dass im Homeoffice in Bezug auf Vorgaben zu Vertraulichkeit, Datenschutz etc. dieselben Vorgaben wie im Büro gelten, vom Arbeitgeber aber nur sehr eingeschränkt kontrolliert werden können. Der Mitarbeiter muss sicherstellen, dass zum Beispiel der Inhalt des Bildschirmes nicht vom Partner oder Kind, welche sich ggfls. im selben Raum aufhalten, eingesehen werden kann. Wenn die Lohnbuchhalterin im Homeoffice die Lohnabrechnungen für die Kollegen ausdruckt, muss sie sicherstellen, dass diese Unterlagen nicht von anderen Familienangehörigen eingesehen werden können. Im Büro sind diese Dinge im Regelfall durch (abschließbare) Einzelbüros realisiert und es existieren entsprechende Vorgehensweisen. Für den Heimbereich gilt es hier zunächst, Problempunkte zu identifizieren und Lösungen zu entwickeln. Damit, dem Mitarbeiter einen Laptop (der in vielen Fällen zudem auch der Bildschirm-Arbeitsplatzverordnung keineswegs entsprechen wird …) zur Verfügung zu stellen und ihn mit einem „mach mal!“ nach Hause zu schicken, ist es dabei keineswegs getan.

In der aktuellen und akuten Corona-Situation mag man noch darauf hoffen, im Problemfall auf ein gewisses Verständnis von Aufsichtsbehörden zu treffen. Spätestens aber, wenn vertrauliche Unternehmens- oder Mitarbeiterdaten auf diese Weise an die breitere Öffentlichkeit gelangt sind, wird diese Hoffnung ganz bestimmt enttäuscht werden. Und es ist jetzt schon absehbar, dass an vielen Stellen „der Geist aus der Flasche“ ist und Mitarbeiter wie Unternehmen feststellen, dass im Homeoffice – mit all seinen Vor- und Nachteilen – vieles möglich ist, was noch vor einem Jahr rundheraus abgelehnt worden wäre. Insofern sollte man aus der Not eine Tugend machen, das Thema angehen und kreative Lösungen entwickeln. Eine umfangreiche und ehrliche Gefährdungsbeurteilung, wie sie das Gesetz vorsieht, bietet dabei eine solide Grundlage. Ergänzt um eine ebenso gründliche Bestandsaufnahme im Bereich des Datenschutzes können dann Modelle entwickelt werden, die sich auch außerhalb der aktuellen Pandemiesituation bewähren.

Abbildung 20

Sebastian Voitzsch ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht. Nach zweijähriger Tätigkeit in einer ehemaligen OLG-Kanzlei, die seine vorhandene Vorliebe für alle Bereiche der Prozessführung weiter verstärkt hat, gehört er seit 2009 zum Team der MÖNIG Wirtschaftskanzlei. Hier vertritt er die Bereiche (Insolvenz-)Arbeits- und Prozessrecht. Da der beste Prozess, der ist, der nicht geführt werden muss, berät und vertritt er Mandanten auch ohne bzw. zur Vermeidung gerichtlicher Auseinandersetzungen.

 
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