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SRNL 2024, 16
Mönning 

Serieninsolvenzen: Ein Gespenst geht um!

Von Prof. Dr. Rolf-Dieter Mönning, Aachen

Abbildung 16

Karstadt: War die dritte die letzte Insolvenz?

Zum fünften Mal seit 2007 hat die BBS Autotechnik GmbH, ein bekannter Felgenhersteller, Insolvenz angemeldet. Der Modekette Sinn gelang dies nach 2008 zum vierten Mal. Und Karstadt/Kaufhof kam auf immerhin drei Insolvenzverfahren in nicht einmal vier Jahren. Das sind nur die Spitzen des Eisbergs, weil es sich um in der Öffentlichkeit mit großer Aufmerksamkeit verfolgte und von einem beachtlichen Medienecho begleitete Verfahren handelt.

Das Phänomen Serieninsolvenzen trifft aber die gesamte Restrukturierungsbranche und wie Insider wissen viele auch namenlose Verfahren unterhalb des öffentlichen Radars. Unter Serieninsolvenzen versteht man die erneute Insolvenz eines vermeintlich sanierten Unternehmens innerhalb eines Zeitraums von höchstens fünf Jahren nach dem vorangegangenen Insolvenzverfahren. Kommt es innerhalb dieses Zeitraums zu einem neuerlichen Insolvenzverfahren ist davon auszugehen, dass die vorangegangene Sanierung nicht nachhaltig war, und zwar unabhängig davon, ob es sich dabei um einen Verkauf des Unternehmens im Rahmen einer übertragenden Sanierung oder eine Reorganisation durch Beseitigung der Insolvenzgründe beim bestehenden Unternehmensträger handelt.

Der durch Serieninsolvenzen manifestierte unzureichende Sanierungserfolg korrespondiert mit einer weiteren Feststellung, die für Ernüchterung in der Sanierungs- und Restrukturierungsbranche sorgt: Wie das Insolvenzmagazin INDat in seinem September-Heft konstatiert, führt eine Auswertung der bis 2020 beendeten Insolvenzverfahren zu dem unerfreulichen Ergebnis, dass die Sanierungsquote bei Kapitalgesellschaften lediglich 8,4% beträgt. Und wenig spricht dafür, dass sich die Zahlen in den letzten drei Jahren signifikant verbessert hätten.

Was sind die Gründe? Liegt es an den Akteuren? Tatsächlich ist kaum eine Branche so gut geschult wie die der Insolvenzverwalter und Sanierungsberater. Kein Rechtsgebiet verfügt über mehr Fachzeitschriften, die teils wöchentlich über die aktuelle Rechtsprechung informieren, deren Auswirkung auf die Praxis kommentieren und relevante Probleme thematisieren. Und wer es schön mag, kann zur Weiterbildung auf Hochglanzmagazine mit Fachbeiträgen zurückgreifen. Handbücher rund um alle Themen der Krisenbewältigung, über die Anforderungen an eine Betriebsfortführung, die Planung und Durchführung von Unternehmenssanierungen und eine fast unüberschaubare Menge an Kommentarliteratur füllen ganze Bücherwände. Wer will kann wöchentlich an Tagungen, Schulungen, Seminaren und Symposien zum Insolvenz- und Restrukturierungsrecht teilnehmen. Nicht nur Universitätsstädte schmücken sich inzwischen mit „Insolvenztagen“, die so dicht getaktet sind, dass sie sich teilweise SRNL 2024 S. 16 (17)terminlich überschneiden. Aus- und Fortbildung also allenthalben und an jeder Ecke. Wenn man dabei unterstellt, dass die Tagungsteilnehmer nicht nur kommen, um abends an der Bar Netzwerke zu knüpfen, kann der mangelnde Sanierungserfolg nicht auf fehlendes Fachwissen zurückgeführt werden.

Im Verdacht steht viel mehr die Eigenverwaltung. Bezogen auf die Gesamtzahl aller Insolvenzverfahren führt diese auch heute noch ein Schattendasein. Gewichtet man aber die Verfahren, stellt man fest, dass die Eigenverwaltung durchaus eine bedeutende Rolle spielt. Immerhin fast jedes zweite größere Insolvenzverfahren mit mehr als 100 Beschäftigten beginnt in Eigenverwaltung. Bleiben dabei die falschen, soeben krachend gescheiterten Leute auf dem Fahrersitz? Wird der Bock zum Gärtner gemacht? Und werden trotz der mit dem SanInsFoG verschärften Anforderungen immer noch auch dafür ungeeignete Verfahren mit einem Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung eingeleitet, weil sich die Sanierungsberater auch dann dem Willen von Inhabern und Geschäftsleitern unterordnen müssen, wenn diese erkennbar nicht dazu geeignet sind, ein Verfahren in Eigenverwaltung durchzuführen?

Oder liegt es am komplizierten Regelwerk? Beim Nebeneinander von klassischen Insolvenzverfahren unter Führung eines Insolvenzverwalters und der Sonderform mit einem sich selbst verwaltenden Schuldner steht als weitere Alternative noch das ausschließlich auf eine Sanierung im Zeitraffer ausgerichtete Schutzschirmverfahrens zur Verfügung, das wiederum seit 2021 mit dem neu eingeführten Restrukturierungsverfahren nach dem StuRUG konkurriert. Inhaber- und Geschäftsleiter, die nicht über das zweite juristische Staatsexamen verfügen, steigen angesichts dieser Angebotsvielfalt in den Beratungsgesprächen frühzeitig aus und können zu der Frage, welches der detailperfektionistisch ausgestalteten Verfahren am besten geeignet ist, die Krise des eigenen Unternehmens zu bewältigen, wenig bis nichts beitragen und müssen sich vollständig auf die Qualität und die Seriösität ihrer Berater verlassen. Und dass nachhaltige Krisenbewältigung in erster Linie Flexibilität und nicht unbedingt bis in die letzten Verästelungen ausgearbeitete Regelwerke verlangt, ist eine Binsenweisheit.

Noch entscheidender dürfte aber ein anderer Aspekt sein. Was als Sanierung bezeichnet wird, ist meist nur die halbe Wahrheit, denn sie besteht entweder in einer schnellen Veräußerung als Auffanglösung oder aus einer finanzwirtschaftlichen Sanierung des Unternehmensträgers, indem man beteiligte Gläubiger über Insolvenzpläne zu Forderungsverzichten veranlasst, ohne dass die Krisenursachen zuvor durch notwendige und geeignete leistungswirtschaftliche Maßnahmen beseitigt werden. Dies ist auch schon rein zeitlich meist nicht möglich. Denn die insolventen Betriebe von Kapitalgesellschaften werden im Durchschnitt lediglich 35 Wochen fortgeführt, bis es zu einer der vorgenannten Sanierungslösungen kommt. Dieser Zeitraum reicht für die Umsetzung notwendiger Korrekturen und Anpassungen nicht aus. Auch ein sofort eingeleiteter Personalabbau muss häufig noch von einem Erwerber im Anschluss an eine übertragende Sanierung oder vom reorganisierten Unternehmen nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens abgeschlossen werden. Langjährige Betriebsfortführungen, wie sie noch im Geltungsbereich der Gesamtvollstreckungsordnung oder in den Anfangsjahren der Insolvenzordnung an der Tagesordnung waren und den Akteuren die Zeit einräumten, ein Unternehmen völlig neu aufzustellen, sind heute auf seltene Ausnahmefälle beschränkt. Dafür gibt es gute Gründe, die aber im Endeffekt dazu führen, dass bestenfalls ansatzweise sanierte Unternehmen wieder in die freie Wildbahn gelangen und sich mit fortbestehenden leistungswirtschaftlichen Defiziten erneut dem Wettbewerb stellen müssen. Bei näherer Betrachtung erlangt das vermeintliche Gespenst reale Züge, die es zu beachten gilt, wenn sich die Sanierungsquoten bessern sollen.

Abbildung 17

Professor Dr. Rolf-Dieter Mönning (Mönning Feser Partner) gründete 1980 die Kanzlei Mönning & Georg und zählt zu den führenden Verwaltern und Restrukturierungsberatern (erneut: „Beste Anwälte im Bereich Restrukturierung und Insolvenz“ Handelsblatt 2020). Er wird seit 1979 mit der Abwicklung von Konkurs-, Vergleichs-, Gesamtvollstreckungs- und Insolvenzverfahren und der Beratung von Krisenunternehmen beauftragt und hat bis heute über 3.500 Verfahren aller Größenordnungen mit Schwerpunkt Fortführung und Sanierung bearbeitet. Er veröffentlicht und referiert regelmäßig im In- und Ausland zu insolvenzrechtlichen Themen und ist u.a. Herausgeber und Autor des Handbuchs „Betriebsfortführung in Restrukturierung und Insolvenz“. Bis zur Emeritierung war er Professor für Unternehmensrecht an der Fachhochschule Aachen.

 
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