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SRNL 2023, 3
Zimmermann/König 

Stationäre Pflegeeinrichtungen in der Krise

Dr. Franc Zimmermann, Michelle König, Gifhorn

Abbildung 3

System Error.

Die Anzahl der Insolvenzen stationärer Pflegeeinrichtungen stieg in der jüngeren Vergangenheit kontinuierlich an; ein Szenario, welches vor 30 Jahren kaum denkbar war. Bis dahin wurden stationäre Pflegeeinrichtungen regelmäßig durch karitative Einrichtungen betrieben. Die Zunahme der Pflegebedürftigen führte zu einer Öffnung des Marktes für private Betreiber, um den Auf- und Ausbau der benötigten Pflegeeinrichtungen zu betreiben.

Zur Vermeidung, dass private Pflegeeinrichtungen zu Lasten der Pflegebedürftigen profitgetrieben betrieben werden, ist die Finanzierung durch die Pflegekassen im Wesentlichen darauf ausgerichtet, dass Pflegeheime nur bei einer Auslastung von ca. 92-95 % eine „schwarze Null“ schreiben. Somit sind für die Liquidität eines jeden Pflegeheims insbesondere die sog. Pflegesatzverhandlungen maßgeblich. Jedes Pflegeheim ermittelt den Pflegesatz als Bestandteil der Heimkosten anhand individueller Parameter. Diese bestehen beispielsweise aus der Anpassung der gestiegenen Kosten (etwa durch Inflation, gestiegene Gehälter etc.), sowie auch dem Pflegegrad des Pflegebedürftigen, denn dieser legt die Höhe der stationären Kosten fest. So haben Pflegebedürftige mit einem höheren Pflegegrad einen größeren Pflegeaufwand, der sich in der Folge auf die Kosten des Pflegeheims auswirkt. Ein Großteil des Pflegesatzes wird von den Pflegekassen übernommen. Ein sogenannter einrichtungseinheitlicher Eigenanteil muss darüber hinaus turnusmäßig von jedem Bewohner entrichtet werden. Dies ist notwendig, da die Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung in der Regel nicht ausreichen, um alle entstehenden Kosten im Pflegeheim auszugleichen. Die Pflegesatzverhandlungen werden in der Regel jährlich geführt bzw. die Pflegesätze neu verhandelt. Es ist offensichtlich, dass bereits dieser Turnus zu wirtschaftlichen Schwierigkeiten bei kurzfristigen Veränderungen am Markt oder der Kostenstrukturen im Betrieb führt, da die geringen Margen, die selbst bei einer 100 % Auslastung erwirtschaftet werden können, schnell aufgezehrt sind. Entsprechend verschärften sich die Probleme bereits in der Corona-Pandemie und zuletzt nochmals infolge der Ukraine-Krise und dem damit einhergehenden Anstieg der Lebensmittel-, Lohn- und Energiekosten. Die allgemeine Inflation hat zusätzliche Auswirkungen.

Die Problemlagen werden sich – bereits jetzt absehbar – aufgrund der Einführung der Heimmindestbauverordnung (HeimMindBauV) noch dramatisch verschärfen. Hiernach ist spätestens ab dem Jahr 2032 – auch in alteingesessenen Pflegeeinrichtungen – eine bestimmter Raumgröße und -ausstattung zwingend erforderlich, wobei diese Anforderungen in den meisten Fällen baulich noch umgesetzt werden müssen. In Anbetracht der vorstehend genannten, geringen Margen, welche auch nur im Idealfall erwirtschaftet werden können, erscheint eine Umsetzung der Anforderungen kaum möglich. Nachdem Fachkräfte am SRNL 2023 S. 3 (4)Markt fehlen, stellt sich dies als nahezu unmöglich heraus. Denn die Auslastungsquote in stationären Pflegebetrieben hängt maßgeblich von der im Betrieb vorhandenen Fachkraftquote ab. Wird die erforderliche Fachkraftquote nicht erreicht, kann nur eine entsprechend geringere Belegung der Einrichtung erfolgen, mit der Folge, dass die Rentabilität sinkt. Hieran ändert sich auch nichts dadurch, dass in Deutschland für Heime ein mehrsäuliges Finanzierungsmodell gilt, sodass sich die Pflegeheime nicht nur über a) die vorgenannten Pflegesätze, sondern auch über die b) Investitionskosten sowie c) Kosten für Unterkunft und Verpflegung finanzieren. Sowohl die Investitionskosten als auch die Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung müssen von den Pflegebedürftigen als Eigenanteil selbst getragen werden. In vielen Fällen führt das aufgrund zu geringen Rentenbezugs zu einer finanziellen Überforderung der Pflegebedürftigen. Zwar unterstützen in diesen Fällen die Sozialkassen die Betroffenen (§ 65 SGB XII), wenn zwischen dem Träger der Sozialhilfe und dem Heim eine entsprechende Vereinbarung getroffen wurde, jedoch erfolgt die Prüfung auf die Notwendigkeit in diesen Fällen restriktiv.

Mit dieser Ausgangssituation sieht sich derzeit jeder (vorläufige) Insolvenzverwalter konfrontiert. Dabei werden nicht selten desolate bis katastrophale Verhältnisse angetroffen, da es eben nicht nur an Fachkräften fehlt, sondern auch an finanziellen Ressourcen, um die alltäglichen Bedürfnisse und notwendigsten Anforderungen gewährleisten zu können. Darunter leiden auch und insbesondere die Pflegebedürftigen, was an sich durch den Gesetzgeber gerade ausgeschlossen werden sollte, indem er sich dafür entschieden hatte, möglichst keinen profitorientieren Markt für private Pflegeeinrichtungen zu schaffen.

Unter den Bedingungen eines vorläufigen Insolvenzverfahrens kann eine Insolvenzgeldvorfinanzierung nutzbar gemacht werden. Das Insolvenzgeld – auch vorfinanziert – ist zu gewähren, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass hierdurch der überwiegende Anteil der Arbeitsplätze erhalten bleibt. Da zwingend für eine weitere Fortführung die pflegerischen und hygienischen Rahmenbedingungen erfüllt sein müssen, da anderenfalls mit Beschränkungsmaßnahmen (z.B. behördlich angeordneter Belegungsstopp) bis hin zu Schließungsanordnungen gerechnet werden muss, erlaubt die Insolvenzgeldvorfinanzierung die hierdurch freiwerdende Gelder anderweitig einzusetzen: Da in der Regel pflegerische und hygienische Missstände bei Insolvenzantragstellung zu erwarten sein werden, ist es dringend geboten, neben der Einleitung der Insolvenzgeldvorfinanzierung unverzüglich eine Bestandsaufnahme der im Betrieb vorherrschenden Mängel durchzuführen und parallel dazu Gespräche mit der Heimaufsicht, welcher die Überwachung des Betriebes obliegt, zu führen. Hieran orientiert sind sodann auch der Einsatz der Einnahmen, zur Beseitigung der dringlichsten Missstände. Denn die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes erfolgt nicht nur aus dem Selbstzweck der ordnungsgemäßen Versorgung der Pflegebedürftigen, sondern auch, um Sanierungsoptionen zu erhalten. Wer einen Betrieb sanieren will, muss diesen (vorläufig) fortführen.

Der Gesetzgeber stellt grundsätzlich das Wohl der Pflegebedürftigen in den Mittelpunkt und fordert daher als Überwachungsinstrument ein umfassendes Dokumentationswesen, indem nahezu alle in der Pflegeeinrichtung erbrachten Pflegeleistungen zu dokumentieren sind, wie beispielsweise Nahrungsmittel- und Medikamentenvergabe, Lagerung und Versorgung des Betroffenen etc. Werden diese (zeitintensiven) Dokumentationen nicht ordnungsgemäß geführt, muss mit einer Rüge und bei Nichtbehebung des Mangels mit einem Belegungsstopp gerechnet werden, was unmittelbar auf die Belegungsquote und damit einhergehend direkt auf die Rentabilität durchschlägt. Daher muss der (vorläufige) Insolvenzverwalter darauf hinwirken, dass ein Überwachungssystem implementiert wird, durch welches gewährleistet wird, dass trotz hoher Belastung (Überlastung) der Pflegekräfte diese Dokumentationen ordnungsgemäß geführt werden. Zielführend ist daher, zur Arbeitserleichterung des Personals entsprechende EDV-Strukturen vorzuhalten bzw. zu installieren. Typisch ist auch, dass sich durch die Volatilität am Fachkräftemarkt die ursprünglich tragfähige Personalstruktur SRNL 2023 S. 3 (5)für den Betrieb nachteilig verändert hat, sodass ein Ungleichgewicht von Pflegefachkräften, qualifizierten Pflegehelfern, Pflegehelfern, Betreuungskräften sowie sonstigen Mitarbeitern entstanden ist und fortbesteht. Da Personalkosten regelmäßig zu den größten Ausgaben eines Pflegeheims zählen, ist es erforderlich, unverzüglich den Arbeitnehmerbereich zu überprüfen und nach Möglichkeit Personalmaßnahmen zu ergreifen (z.B. Teilbetriebsstilllegung, wo möglich, Kündigung von nicht sinnvoll einsetzbaren Mitarbeitern in der Probezeit, Zuweisung anderer Aufgaben zur Entlastung des Fachpersonals etc.).

Parallel zu diesen ersten stabilisierenden und erhaltenden Maßnahmen, muss damit begonnen werden, die Pflegebedürftigen selbst sowie deren Angehörige und/oder Sozialämter über die (vorläufige) Insolvenzverwaltung zu informieren. In einem zweiten Schritt sind sodann die entsprechenden Beträge, welche im Rahmen der Zuzahlung (sog. Eigenanteil) grundsätzlich die Pflegebedürftigen bzw. deren Angehörige und/oder Sozialämter zu leisten haben, und die sich aus den Kosten der Unterkunft und Verpflegung, als auch aus den Investitionskosten und der Ausbildungsumlage zusammensetzen, abzufordern. Auch hier ist typischerweise mit Hindernissen zu rechnen, da auch bei den Sozialämtern Personalengpässe bestehen, die dazu führen, dass über Anträge auf Sozialhilfe erheblich verspätet entschieden wird. Somit sind in der Praxis Auszahlungsverzögerungen von mehreren Monaten keine Seltenheit. Da die Pflegekassen – gestaffelt nach Pflegegrad – (nicht unerhebliche) Zuschüsse leisten, sind diese von den dortigen Stellen abzufordern. Hierbei gilt es zu beachten, dass nicht die einzelnen Sozialversicherungsträger informiert werden müssen. Vielmehr haben die beteiligten Träger der Sozialversicherung zur Vereinfachung des Zahlungsverkehrs zwischen Leistungserbringern und Sozialversicherungsträgern die ARGE-IK gebildet, bei welcher der Pflegebetrieb mit einer eindeutigen Nummer (Institutionskennzeichen) geführt und bei der die entsprechende Kontoverbindung der Pflegeeinrichtung bzw. des (vorläufigen) Insolvenzverwalters hinterlegt wird. Eine Besonderheit stellen Taschengelder und vergleichbare Zuwendungen Angehöriger dar. Diese (zweckgebundenen) Gelder müssen auf ein gesondertes Aussonderungsrechtskonto eingezogen werden, um die zweckgemäße Verwendung gewährleisten zu können.

Da die Betriebsfortführung unter Insolvenzbedingungen kein Selbstzweck ist, sondern der bestmöglichen, gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung dient, ist – idealerweise durch Umsetzung einer Sanierungslösung – rechtzeitig mit den entsprechenden Vorbereitungen zu beginnen. In erster Linie wird die Möglichkeit einer Insolvenzplanlösung in Betracht zu ziehen sein, wenn die oben genannten Maßnahmen schnell und umfassend umgesetzt werden können. Nachdem durch den am 01.01.2021 in Kraft getretenen § 220 Abs. 2 InsO für die Ermittlung der voraussichtlichen Befriedigung ohne Plan in der Regel zu unterstellen ist, dass das Unternehmen fortgeführt wird, wenn der Plan eine Fortführung des Unternehmens vorsieht, ist die Durchführung eines sogenannten Dual-Track unerlässlich, also die parallele Betrachtung der Sanierung innerhalb eines Planverfahrens mit dem Verkauf an einen Investor im Rahmen eines M&A-Prozesses. Um möglichst zeiteffizient vorzugehen, sollte sogleich mit den Vorbereitungen eines Investorenprozesses begonnen werden, nicht nur, um die erfolgreiche Umsetzung einer Insolvenzplanlösung zu gewährleisten, sondern auch unter dem Gesichtspunkt der Vorsorge und Sicherheit, falls es nicht gelingt, die Planvoraussetzungen zu schaffen.

Stellen schon viele (vorläufige) Insolvenzverfahren derzeit aufgrund der Veränderungen am Markt den Verwalter vor komplizierte bis schwierige Aufgaben, sind in Verfahren von stationären Pflegeeinrichtungen diese nochmals verschärft. Nicht nur, da es hierbei um Wohl und Wehe, Leib und Leben der Pflegebedürftigen geht, sondern auch, weil die durch den Gesetzgeber geschaffenen Rahmenbedingungen das Überleben von Pflegeeinrichtungen am Markt nahezu unmöglich machen. Gemäß § 3 SGB XI gilt der Vorrang der häuslichen Pflege: „Die Pflegeversicherung soll mit ihren Leistungen vorrangig die häusliche Pflege und die Pflegebereitschaft der Angehörigen und Nachbarn unterstützen, damit die Pflegebedürftigen möglichst lange in ihrer häuslichen Umgebung bleiben können. Leistungen der teilstationären Pflege und der Kurzzeitpflege gehen den Leistungen der vollstationären Pflege vor.“ Gemäß § 43 SGB XI besteht bereits ab Pflegestufe 2 ein Anspruch auf vollstationäre Pflegeleistungen für Pflegebedürftige, sofern die häusliche oder auch teilstationäre Pflege nicht möglich ist. Zwar ist eine solche Regelung im Interesse der Betroffenen sicher gut gemeint, lässt aber die Frage offen, in welchen stationären Pflegeeinrichtungen die Pflegebedürftigen als ultima-ratio-Lösung untergebracht werden sollen, wenn diese aufgrund der Marktgegebenheiten aber auch durch gesetzgeberische Vorgaben nicht mehr am Markt bestehen können.

Abbildung 4

Dr. Franc Zimmermann ist Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht und Partner der Kanzlei Mönning Feser Partner. Er ist spezialisiert auf die Sanierung und Restrukturierung von Unternehmen und wird seit 2008 überregional mit Schwerpunkten in Niedersachsen und Berlin als Insolvenzverwalter und Sachwalter bestellt. Seitdem hat Zimmermann mehr als 2.000 Insolvenz- und Restrukturierungsverfahren betreut.

Abbildung 5

Frau Michelle König ist seit 2021 Rechtsanwältin im Bereich der Insolvenzverwaltung bei Mönning Feser Partner. Sie bearbeitet im Wesentlichen Unternehmensinsolvenzen im Dezernat Dr. Zimmermann an den Kanzleiniederlassungen Braunschweig, Gifhorn und Hildesheim.

 
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