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WRP 2023, I
Meller-Hannich 

Die Umsetzung der Verbandsklagen-Richtlinie

Abbildung 1

Prof. Dr. Caroline Meller-Hannich

Deutschland hat sich schwer getan mit der Umsetzung der Verbandsklagen-Richtlinie. Erst am 07.07.2023, gut sechs Monate nach Ablauf der Umsetzungsfrist, hat der Bundestag endlich ein Umsetzungsgesetz beschlossen. Dessen wesentlicher Bestandteil ist das neue Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz (VDuG).

Das heißt: In Zukunft wird es in Deutschland möglich sein, dass Verbände zu Gunsten individueller Ansprüche von Verbrauchern und kleinen Unternehmen sogenannte Abhilfeklagen erheben – Klagen gerichtet auf Schadensersatz, Reparatur, Preisminderung oder Erstattung des gezahlten Preises. Dafür müssen keine individuellen Ansprüche benannt werden, sondern es kann genügen, nur eine nach gleichartigen Merkmalen bestimmte Gruppe zu bestimmen; etwa „alle Reisenden des verspäteten Flugzeugs XY“; erst in einem nachfolgenden Umsetzungsverfahren wird die individuelle Leistungsberechtigung geprüft.

Über die wesentlichen Eckpunkte der neuen Klage wurde intensiv gestritten, und zwar nicht etwa zwischen Opposition und Regierung, sondern innerhalb der Regierungskoalition, vornehmlich zwischen dem liberal geführten Justizministerium und dem grünen Verbraucherschutzministerium.

Aber worüber eigentlich genau?

1. Zum einen ging die Diskussion um die Frage, wer klagen kann: Nur institutionalisierte Verbände oder auch private Gruppen. Schon die Richtlinie gab vor, dass das europaweit als Mindeststandard festgelegte Modell der Verbandsklage verfolgt wird. Das schließt einen nationalen Rahmen für private Gruppenklagen allerdings nicht per se aus. Die Koalition hat sich letztendlich aber dagegen entschieden. Eine echte Gruppenklage, bei der einzelne Betroffene einen frei gewählten Vertreter für die Durchsetzung ihrer Rechte auswählen und damit Möglichkeiten der Selbstermächtigung nutzen, hat Deutschland nicht eingeführt.

2. Nach einigem Hin und Her in Parlament und Rechtsausschuss hat man sich nun aber zumindest auf nicht allzu hohe Hürden für die Verbände, etwa betreffend Mitgliederzahl und Gründungsdatum geeinigt. Zu Gunsten von Verbraucherzentralen wird die Klagebefugnis sogar unwiderleglich vermutet.

3. Des Weiteren war umstritten, wie hoch das Quorum sein muss. Die Verbände müssen nun Ansprüche von mindestens 50 Betroffenen belegen – das ist nicht wenig und das Sammeln ist ein hoher administrativer Aufwand.

4. Der wohl strittigste Gegenstand im parlamentarischen Verfahren war aber, ob – über die Definition der Gruppe im Quorum hinaus – die betroffenen Verbraucher sich zusätzlich zu einem Klageregister anmelden müssen, und bis wann die Anmeldefrist laufen soll. Wenn man eine frühe bindende Anmeldung befürwortet, müssen die Betroffenen letztlich „die Katze im Sack“ kaufen und sind an die Prozessführung des Verbandes dauerhaft gebunden. Zudem hat die Musterfeststellungsklage gezeigt, dass das Register wegen Fehlanmeldungen ohnehin nicht sehr aussagekräftig ist. Eine erst späte Anmeldung, eine mandatsfreie Verbandsklage oder gar ein Opt-out-System wurden hingegen als Gefahr für die Unternehmen bewertet. Wobei diese letztlich – so hat es der Diesel-Abgas-Skandal gelehrt – ziemlich genau wissen, welche und wie viele Kunden von einer rechtswidrigen Geschäftspraxis betroffen sind und entsprechende Vorbereitungen treffen und Rücklagen bilden. Geeinigt hat man sich nun auf ein Opt-in spätestens drei Wochen nach Schluss der mündlichen Verhandlung. Die Betroffenen können also bis dahin abwarten, wie sich das Verfahren entwickelt hat. Das kann zu einer Entlastung der Gerichte von Individualklagen und unechten Legal-Tech-Sammelklagen à la myright führen.

5. Da die Verjährungshemmung zeitlich bei der Verbandsklageerhebung und nicht bei der Anmeldung ansetzt, können auch bereits verjährte Ansprüche noch in das Verbandsklageverfahren eingebracht werden. Anmelden muss man sich aber trotzdem – eine umfassende Verjährungshemmung wird es nur für Unterlassungsklagen geben. Voraussichtlich werden diese deswegen nun häufig in Kombination mit Abhilfeklagen erhoben werden.

Kein Thema im gesamten parlamentarischen Diskussionsprozess war fast bis zum Ende die Finanzierung der Klagen; insbesondere ob eine professionelle externe Prozessfinanzierung möglich sein soll. Der EU-Gesetzgeber hatte dies den Mitgliedstaaten überlassen. In Deutschland wurde das genutzt, um in letzter Minute eine massive Beschränkung jeder Drittfinanzierung in das Gesetz einzuschleichen. Dem Finanzierer darf nicht mehr als ein Anteil von zehn Prozent an der vom Prozessverlierer zu erbringenden Leistung versprochen werden, branchenüblich sind derzeit 25–30 Prozent. Damit findet eine Preisregulierung statt, wie wir sie ansonsten rechtlich nicht zulassen. Innovativ, wettbewerbsfreundlich und wirtschaftsliberal ist das nicht. Besser wäre eine auf den Markt und die gerichtliche Kontrolle auf Angemessenheit im Einzelfall setzende Lösung gewesen. So bleibt das System unbeweglich und die Klagen bleiben ineffektiv. Ein vor dem Hintergrund der eigenen freiheitlichen Ideale seltsames Ergebnis, das die FDP hier ihren Koalitionspartnern abgerungen hat.

Prof. Dr. Caroline Meller-Hannich, Halle

 
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