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WRP 2019, I
Löffel 

Waffengleichheit in Verfügungsverfahren: Kein Stein mehr auf dem anderen – und noch viel Unsicherheit

Abbildung 1

RA Oliver Löffel

Seit den Entscheidungen des BVerfG über Verfassungsbeschwerden gegen Beschlussverfügungen der Gerichte in Köln und Hamburg im Jahr 2018 (BVerfG, 30.09.2018 – 1 BvR 2421/17, WRP 2018, 1443 und BVerfG, 30.09.2018 – 1 BvR 1783/17, WRP 2018, 1448) steht im Verfügungsverfahren „kein Stein mehr auf dem anderen“ (Bornkamm, WRP 2019, 1242). Die Machtworte aus Karlsruhe betreffen nicht nur das Presse- und Äußerungsrecht, sondern Beschlussverfahren im gesamten gewerblichen Rechtsschutz (Bornkamm, WRP 2019, 1242; Büscher, GRUR 2019, 233; Mantz, NJW 2019, 954), im UWG (OLG Düsseldorf, 27.02.2019 – 15 U 45/18, WRP 2019, 773) und in Patentstreitsachen (LG München I, 02.10.2019 – 21 O 9333/19, BeckRS 2019, 25536).

Bereits in ersten Beiträgen zu den Karlsruher Entscheidungen wurde gesagt, dass sich die Rahmenbedingungen in Verfügungsverfahren verändern werden (Mantz, NJW 2019, 959). So wie Mantz dachten wohl auch die Richter des BVerfG, als sie im April 2019 weitere Verfassungsbeschwerden gegen einstweilige Verfügungen nicht zur Entscheidung angenommen haben, weil „nach der Klärung der maßgeblichen Rechtsfragen (…) eine Wiederholungsgefahr nicht ersichtlich“ sei (BVerfG, 15.04.2019 – 1 BvR 1811/17, BeckRS 2019, 7863 Rn. 4).

Zieht man als Prozessanwalt ein Fazit, stellt man fest, dass in der Praxis weiterhin Unsicherheit über die Tragweite der Vorgaben des BVerfG besteht (ebenso Vollkommer, MDR, 2019, 965) und es zu unterschiedlicher Anwendung der Entscheidungen kommt. Etwa bei der Frage, wann im Einzelfall eine Pflicht zur Anhörung des Gegners durch das Gericht besteht und wann er nur im Wege der Mitteilung einzubeziehen ist. Als Antragsgegnervertreter erfährt man leider auch heute noch, dass ein Richter mit dem Antragstellervertreter telefoniert und ihn auf seine Zweifel im Hinblick auf den Erfolg des Verfügungsantrages hingewiesen hat, was dem Antragsgegner aber nicht „zeitnah“ mitgeteilt wurde. Zum Teil wird der Bogen auch überspannt, wenn ein Verfügungsantrag nur deshalb abgelehnt wird, weil nicht abgemahnt wurde (LG München II, 30.08.2019 – 1 O 3260/191, n. v.) oder wenn Richter meinen, sie müssten jetzt immer den Gegner anhören, wie Hoech berichtet (K&R Beilage 1 zu Heft 7/8/2019, S. 37); solche Anforderungen lassen sich freilich weder mit dem Gesetz noch der Rechtsprechung des BVerfG in Einklang bringen.

Man muss natürlich kein Prophet sein, um zu wissen, dass die Beschlussverfügung im UWG und im gewerblichen Rechtsschutz tatsächlich der „Regelfall“ bleiben wird. Es bleibt jedoch nicht alles anders, um an meine Frage in WRP 2019, 8 ff. anzuknüpfen: Das Verfügungsverfahren wird in der Praxis zunehmend ein kontradiktorisches Verfahren mit Gehör des Gegners: Beschlussverfügungen werden auch in Köln und Hamburg regelmäßig nur noch dann ohne weitere Anhörung des Gegners erlassen, wenn der Antragsteller richtig abgemahnt und im Verfügungsantrag deckungsgleich mit der Abmahnung vorgetragen hat. Der dritte Weg neben der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung und dem Verzicht auf sie, nämlich die schriftliche Anhörung des Gegners vor Erlass einer Beschlussverfügung, gewinnt in der Gerichtspraxis zunehmend an Bedeutung. Zudem findet man in Beschlussverfügungen immer häufiger zumindest eine knappe Begründung der besonderen Dringlichkeit im Sinne des § 937 Abs. 2 ZPO. So schreibt das LG Köln in seiner aktuellen Metzelder-Entscheidung, dass die Voraussetzungen für eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 937 Abs. 2 ZPO) angesichts „der im Äußerungsrecht bestehenden Interessenlage“ vorlagen und die Entscheidung ohne Anhörung der Antragsgegner ergehen konnte, weil die Antragsgegner abgemahnt wurden (LG Köln, 18.09.2019 – 28 O 344/19, BeckRS 2019, 23529).

Die vom OLG Köln (18.04.2019 – 15 U 204/18, MDR 2019, 1023) erwähnte einfachrechtliche Rechtsschutzmöglichkeit für Fälle, in denen es Richter mit dem grundrechtsgleichen Recht auf Waffengleichheit in Verfügungsverfahren immer noch nicht so genau nehmen, wurde allerdings noch nicht entwickelt. Geht es „nur“ um die Verletzung rechtlichen Gehörs, wird eine solche Panne ohnehin durch die mündliche Verhandlung geheilt (OLG Düsseldorf, 27.02.2019 – 15 U 45/18, WRP 2019, 773; LG Frankfurt a. M., 29.08.2019 – 2-03 O 454/18, BeckRS 2019, 20774). Wenn ein Gericht eine Schutzschrift übersieht, soll der damit einhergehende Verfahrensverstoß nicht einmal dazu führen, dass die Zwangsvollstreckung aus der in Unkenntnis der Schutzschrift erlassenen Verfügung einzustellen ist (LG Düsseldorf, 23.07.2019 – 14c O 98/19, n. v.). Wird dabei das Recht auf Waffengleichheit verletzt, hilft auch die Anhörungsrüge nicht, weil sie keine Waffengleichheitsrüge ist (Schumann, JZ 2019, 398, 404). Schließlich bringen auch der Widerspruch gegen die Beschlussverfügung bzw. die Berufung insoweit nichts. Denn bei einer Verletzung des Rechts auf Waffengleichheit schlägt dessen Verletzung nicht auf den Bestand einer Beschlussverfügung durch (OLG Köln, 18.04.2019 – 15 U 204/18, MDR 2019, 1023; BVerfG, 06.06.2017 – 1 BvQ 16/17 u. a., WRP 2017, 1073 Rn. 10).

Betroffenen Antragsgegnern bleibt bei einer Verletzung ihres Rechts auf Waffengleichheit die Möglichkeit eines Befangenheitsantrages (erfolgreich im Fall OLG Düsseldorf, 06.03.2019 – 11 W 70/18, WRP 2019, 642). Zudem sollten Antragsgegner immer im Hinterkopf haben: Das BVerfG hat die Lufthoheit auf dem Gebiet des einstweiligen Rechtsschutzes übernommen (Vollkommer, MDR 2019, 965, 967): Bei einer Verletzung der Waffengleichheit ist die unmittelbare Verfassungsbeschwerde gegen die einstweilige Verfügung zulässig. Sofern man in Berlin an dem populistischen Vorhaben festhält, den fliegenden Gerichtsstand – ohne Evidenz und überzeugende Gründe – auch im UWG einzuschränken, wird man sicher bald wieder vom BVerfG hören. Denn – so brachte es Jaschinski kürzlich in seiner Stellungnahme zum Entwurf des Gesetzes zur Stärkung des fairen Wettbewerbs auf den Punkt – es gibt auch kein faires Verfahren, wenn ein unerfahrenes oder langsames Gericht angerufen wird.

RA Oliver Löffel, Düsseldorf

 
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