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ZFWG 2022, 1
Krüper 

Glücksspielregulierung zwischen Prävention und Repression

Abbildung 1

Das Jahr 2021 hat dem deutschen Glücksspielrecht mit dem im Juli in Kraft getretenen Staatsvertrag zur Neuregulierung des Glücksspielwesens (GlüStV 2021) eine neue regulatorische Grundlage gegeben, durch die die Länder die Ausübung ihrer Gesetzgebungskompetenz koordinieren und präformieren. Das regulatorische Herzstück ist vor allem die Legalisierung des Online-Glücksspiels, administrativ ist es die Einrichtung einer neuen länderübergreifenden Glücksspielbehörde im organisationsrechtlichen Gewand einer Behörde des Landes Sachsen-Anhalt. Ist die Legalisierung des Online-Glücksspiels vor allem ein politisches Eingeständnis, dass Verbote, die nicht vollzogen werden, der Erreichung der anspruchsvollen Ziele des GlüStV mehr schaden als nützen, ist die Einrichtung einer (in ihrer verfassungsrechtlichen Zulässigkeit noch immer mehr als zweifelhaften) Glücksspielbehörde Ausdruck des Umstands, dass die noch herrschende glücksspielrechtliche Kompetenzvermutung zugunsten der Länder mehr denn je auf schwankendem Grund steht. Dass eine echte regulatorische und administrative Unitarisierung des Glücksspielrechts durch den Bund nicht nur nicht von Art. 72 Abs. 2 GG gesperrt würde, sondern auch sachlich geboten scheint, ist hier mit Händen zu greifen.

Aber auch unterhalb der großen Richtungsentscheidungen bietet der neue Vertrag Anlass für einen juristischen zweiten Blick. Prägend für die dogmatischen Strukturen des deutschen Wirtschaftsverwaltungsrechts ist die Unterscheidung von Genehmigungstypen – präventiven Verboten mit Erlaubnisvorbehalt und repressiven Verboten mit Befreiungsvorbehalt. In diesem Sinne präventiv sind etwa die gängigen gewerberechtlichen Genehmigungen, repressiv etwa die Genehmigungstatbestände im Waffen- und Tierschutzgesetz, aber zum Teil auch im Umweltrecht. Wiewohl die Abgrenzung im Einzelnen äußerst umstritten ist, lässt sich sagen: Der wesentliche Unterschied zwischen beiden Genehmigungstypen liegt darin, dass die durch einen präventiven Genehmigungsvorbehalt gesperrte Tätigkeit von der Rechtsordnung grundsätzlich gewünscht ist und nur aus Gründen der Gefahrenvermeidung eine Genehmigung notwendig ist. Demgegenüber ist das durch einen repressiven Genehmigungsvorbehalt gesperrte Handeln eher unerwünscht. Präventive Genehmigungsmodelle sind daher typischerweise auch als gebundene Entscheidungen ausgestaltet, repressive demgegenüber als Ermessensentscheidung. Dabei ist in beiden Konstellationen das jeweilige Handeln grundrechtlich geschützt, die mit ihm verbundenen Risiken werden aber vom Gesetzgeber unterschiedlich bewertet. Es bedürfte eigener Überlegungen, ob der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung wirtschaftsrechtlicher Genehmigungsregime freie Wahl zwischen beiden Modellen hat oder ob er aus grundrechtlichen Gründen nur ausnahmsweise das Modell des repressiven Verbots mit Befreiungsvorbehalt wählen darf. Auch bleibt fraglich, wie weit die Unterscheidung in der Rechtspraxis trägt, namentlich, ob die den beiden Modellen zugewiesenen Steuerungswirkungen sich tatsächlich belegen lassen. Sicher aber ist, das mit dem dualistischen Modell, von dessen grundsätzlichem Bestehen auch der neue Staatsvertrag ausgeht, Begründungslasten verteilt werden: Wo ein (und sei es auch nur vermeintlich) repressives Verbot besteht, ist der Aufwand einer abweisenden Behördenentscheidung geringer als dort, wo ein Verbot als präventiv eingestuft wird.

Es scheint aber, und hier ist die Brücke zum GlüStV 2021 zu schlagen, dass mit dem neuen Vertragswerk eine grundlegende Veränderung in der dogmatischen Struktur des Glücksspielrechts eingeführt wurde. Konventionell wurde nämlich der § 4 GlüStV, die Erlaubnisgrundnorm des Staatsvertrags, als repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt eingeordnet; zu klar war der erklärte Wille der Länder, das Glücksspielangebot als „schädliche und sozial unerwünschte Tätigkeit“, als „demeritorisches Gut“ nur in engen Grenzen überhaupt am Markt zuzulassen. Jedenfalls für das Online-Glücksspiel lässt sich diese Bewertung aber kaum noch halten. Hier haben die Länder auch ausweislich der Begründung zum Staatsvertrag das größere Risiko in der ZfWG 2022 S. 1 (2)Hinnahme eines unregulierten Schwarzmarkts gesehen und daher die Legalisierung von Online-Angeboten ermöglicht. Ungeachtet der Kontroverse um die Abgrenzung von präventiven und repressiven Verboten ist jedenfalls der Wegfall des alten § 4 Abs. 2 S. 3 GlüStV 2012, der ausdrücklich regelte, dass auf die Erteilung einer glücksspielrechtlichen Erlaubnis kein Anspruch bestehe, ein starkes Indiz für einen (verdeckten) Strukturwandel des glücksspielrechtlichen Genehmigungsregimes. Das bedeutet nicht, dass eine glücksspielrechtliche Erlaubnis künftig ohne Weiteres zu erlangen wäre; es bedeutet allerdings, dass den Zulassungsbehörden mit dem vormals bestehenden Zulassungsermessen ein Steuerungsinstrument aus der Hand genommen ist und sie fürderhin auf die Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe in den Zulassungsnormen verwiesen sind. Da diese nicht durchweg durch hohe Detailschärfe glänzen, sind die verbleibenden Spielräume also durchaus noch erheblich, aber eben auch erheblich kleiner als zuvor. Die Erfassung, Beurteilung und Verarbeitung der von den Ländern hier angestoßenen dogmatischen Kurskorrektur bleibt eine Aufgabe, die Glücksspielrechtswissenschaft und -praxis in den kommenden Jahren wird beschäftigen müssen.

Prof. Dr. Julian Krüper, Bochum*

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