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ZFWG 2019, 1
Koenig 

Kann, was nicht zu verstehen ist, Befolgung erwarten?

Abbildung 1

Angesichts des manifesten Migrationsbefundes in Richtung nicht regulierter Online-Märkte stößt das Glücksspielrecht in rechtsphilosophische Regionen vor. Weder der Rechtsbefehl noch der Rechtsvollzug vermögen die große Mehrheit der Rechtsadressaten in den Bahnen zu halten, die ihnen die Rechtsordnung zuweist. Steuert der Staat nicht mit starker Hand gegen, erodiert irgendwann faktisch nicht nur der Rechtsbefehl der jeweiligen Normen, wie im Falle der sowohl wirkungslosen als auch fehlgeleiteten Kanalisierung durch das Internetverbot (§ 4 Abs. 4 GlüStV) in Richtung der viel suchtaffineren stationären Glücksspielangebote. Viel schlimmer noch kann auch der für den Rechtsstaat viel grundlegendere Rechtsanwendungsbefehl in der Online-Wahrnehmung der Rechtsadressaten Schaden erleiden, auch für die Rechtsgüter außerhalb des Glücksspielrechts – man denke nur an die Herausforderungen durch Kryptowährungen bei der Bekämpfung von Geldwäsche.

Hier ist nicht der Platz für rechtsphilosophische Diskurse, gleichwohl für einen kurzen Hinweis auf die englische Rechtspragmatik, die der Law Lord Alfred Denning treffend in einen Satz gefasst hat, der sich jedem Hörer der Lord Denning Lectures eingraviert hat: „Legal decision-making is regarded as the cognitive process resulting in the equitable selection of a course of action among several alternative possibilities“.

Die universelle Wirksamkeit von Lord Denning’s Rechtsaxiom „law has to make sense“, dessen Nichtbeachtung die Rechtsbefolgung massiv schwächt, lässt sich anhand vorhandener datenempirischer Befunde belegen. So zeigt der Jahresreport 2016 der – für grundlegende Reformabsichten unverdächtigen – Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder (in seiner endgültigen Fassung vom 20.3.2018) für den Online-Glücksspielbereich auf, dass im Jahr 2016 85 % der Bruttospielerträge im nicht regulierten Markt und lediglich 15 % im regulierten Markt erzielt wurden (381 Mio. Euro Bruttospielertrag im regulierten und 2.051,6 Mio. Euro Bruttospielertrag im nicht regulierten Online-Glücksspielmarkt). Dies entspricht auch den auf das vorangegangene Jahr bezogenen Erhebungen des Handelsblatt Research Institute zur Digitalisierung des Glücksspiels (Oktober 2017), wonach im Jahr 2015 mit 1,8 Mrd. Euro Bruttospielerträgen mehr als 80 % des Online-Marktes auf den nicht regulierten Bereich entfielen.

Abgesehen von der Wirkungslosigkeit erodiert § 4 Abs. 4 GlüStV mit seiner fehlgeleiteten, trotzdem weiterverfolgten Kanalisierung in Richtung gefährlicherer stationärer Glücksspielangebote besonders verheerend die Rezeption des Rechtsbefehls in der wachsenden Online-Community, die in allen Altersgruppen immer kritischer auf bevormundende Online-Beschränkungen reagiert. Der Endbericht des Landes Hessen vom 10.4.2017 zur Evaluierung des 1. Glücksspieländerungsstaatsvertrages zeigt in der Vergleichstabelle 12 (S. 38) klar auf, dass das stationäre Spiel deutlich gefährlicher ist als sämtliche Online-Spielvarianten, die am unteren Ende der Tabelle stehen. Gerade terrestrische Spielhallen, Gaststätten und Spielbanken werden nach den statistisch gewonnenen Erkenntnissen der Suchtforschung offenbar von Spielsüchtigen wesentlich stärker präferiert als Online-Spielangebote. Die nach § 4 Abs. 4 GlüStV verfolgte regulatorische Kanalisierung in Richtung der stationären Glücksspielangebote verstärkt damit die Gefahr, dass durch den Kontakt mit Spielsüchtigen in Spielhallen, Gaststätten und Spielbanken deren problematisches Spielverhalten adaptiert wird. Die gesetzgeberische Annahme, bei stationärem Glücksspiel finde eine „soziale Kontrolle“ statt, welche der Glücksspielsucht entgegenwirke, erweist sich empirisch als widerlegt und regulatorisch absurd.

Die Effizienz, Kohärenz und regulatorische Aktualität von Rechtsbefehlen in der Glücksspielregulierung wird auch in der Rechtsprechung des Gerichtshofs angemahnt:

„Aus dem Gebrauch der Wendung ‚in kohärenter und systematischer Weise‘ geht unmittelbar hervor, dass die betreffende Regelung nicht nur im Moment ihres ZfWG 2019 S. 1 (2)Erlasses, sondern auch danach dem Anliegen entsprechen muss, die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern oder die mit Spielen verbundene Kriminalität zu bekämpfen.“ (Rs. C-464/15 – Admiral Casinos & Entertainment AG, Rn. 34)

Dem hat sich das BVerwG in seinen beiden Revisionsurteilen 8 C 14.16 und 8 C 18.16 vom 26.10.2017 versagt. Das Revisionsgericht hat die Umstände und Daten zur tatsächlich wirkungslosen und fehlgeleiteten Kanalisierungsfunktion von § 4 Abs. 4 GlüStV vollständig übergangen, da ihm mangels (aber notwendiger) Rückverweisung an das Berufungsgericht aktualisiert zu berücksichtigende Tatsachengrundlagen fehlten.

Sollte sich bis zum Außerkrafttreten des 1. Glücksspieländerungsstaatsvertrages mit Ablauf des 30.6.2021 (§ 35 Abs. 2 GlüStV) keine Reform der Vernunft durchsetzen, kann das Unverständliche keine Befolgung erwarten.

Univ.-Prof. Dr. Christian Koenig, Bonn*

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