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ZHR 167 (2003), 627-631
Kübler 

Barabfindung bei Gründung einer Europa AG?

1. Am 8. Oktober 2004 wird die Verordnung über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE-VO)1 in Kraft treten. Sie bedarf der Ergänzung durch die deutsche Gesetzgebung. Dazu hat das Bundesministerium der Justiz den Diskussionsentwurf (DiskE) zu einem Gesetz zur Einführung der Europäischen Gesellschaft (SEEG) vorgelegt; Art. 1 des SEEG enthält Vorschriften zur Ausführung der SE-VO (SEAG)2. Dieser Entwurf ist das Ergebnis kompetenter und sorgfältiger Arbeit der zuständigen Abteilung. Er konfrontiert aber mit rechtspolitischen Grundsatzfragen, von deren Beantwortung mehr abhängen wird als die Resonanz, die der neuen Rechtsform in der unternehmerischen Praxis beschieden sein wird. Dazu zählen die Rechte, die der opponierenden Minderheit bei der Gründung einer SE oder ihrer späteren Sitzverlegung zustehen sollen3. Die Verordnung sieht generelle Mechanismen zum Schutz der Anteilsinhaber vor. Der Gründung einer SE durch Verschmelzung, der Gründung einer Holding-SE, der Umwandlung einer AG in eine SE und der Sitzverlegung einer SE4 müssen die Hauptversammlungen der beteiligten Gesellschaften mit qualifizierter Mehrheit zustimmen5. Die Pflicht zu Verschmelzungs-, Gründungs-, Umwandlungs- und Verlegungsplänen, -berichten und -prüfungen soll gewährleisten, dass die Aktionäre (oder anderen Anteilsinhaber) vor Beschlussfassung ausreichend informiert werden6. Für die Sitzverlegung, die Verschmelzung und die Gründung einer Holding-SE7 ermächtigt die Verordnung die Mitgliedstaaten, Vorschriften zum Schutz der Minderheitsgesellschafter zu erlassen, die sich gegen die Sitzverlegung oder Verschmelzung oder Gründung ausgesprochen haben8. Der DiskE sieht vor, von dieser Ermächtigung Gebrauch zu machen. Für die Verschmelzung und ZHR 167 (2003) S. 627 (628)die Gründung einer Holding-SE soll den Anteilsinhabern für den Fall eines nicht angemessenen Umtauschverhältnisses ihrer Anteile an der alten Gesellschaft in die Aktien der SE ein Anspruch auf bare Zuzahlung eingeräumt werden9. Für Verschmelzung, Holdinggründung und Sitzverlegung wird darüber hinaus angestrebt, dass jeder Aktionär (oder Anteilsinhaber), der gegen die jeweilige Transaktion „Widerspruch zur Niederschrift“ erklärt hat, einen Anspruch auf Barabfindung für seine Beteiligung erlangt10. (Allein) mit diesem Anspruch befassen sich die folgenden Überlegungen.

2. Für diese Regelung, d.h. die Gewähr eines Anspruchs auf Barabfindung, werden die folgenden Gründe angeführt:

a) Nur die Barabfindung erlaube es, den Anteilsinhabern die Anfechtungsklage zu versagen, die entsprechend § 16 Abs. 2 UmwG die Registersperre bewirken und somit den Vollzug der Transaktion erheblich verzögern müsste und aus diesem Grund die deutschen Unternehmen bei grenzüberschreitenden Verflechtungen zu benachteiligen drohte11. Die Gefahr der Registersperre ist in der Tat misslich; sie lässt sich aber dadurch minimieren, dass bei unzulässigen oder offensichtlich unbegründeten Anfechtungsklagen entsprechend §§ 16 Abs. 23 UmwG, 319 Abs. 6 AktG eingetragen wird12. Dieses Verfahren kann Schadensersatzansprüche zum Nachteil der entstehenden SE auslösen. Dieses Risiko ist indessen sehr gering; es lässt sich mit der Belastung durch die anvisierten Barabfindungsansprüche nicht vergleichen.

b) Der DiskE folge den Schutzvorkehrungen des deutschen Umwandlungsrechts13.

aa) Das trifft noch am ehesten auf die Verschmelzung zu. § 29 Abs. 1 UmwG beschränkt die Barabfindung aber auf die Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers bei Aufnahme in einen Rechtsträger anderer Rechtsform. Der DiskE schießt in § 7 Abs. 1 weit über diese Regelung hinaus: er will auch die Aktionäre der aufnehmenden AG einbeziehen, die durch die Fusion zu einer deutschen SE wird. Diesen Vorgang hält die VO nicht für schutzwürdig: für die Umwandlung einer nationalen AG in eine SE ist keine Ermächtigung zum Erlass von Vorschriften zum Schutz der Minderheit vorgesehen14.

ZHR 167 (2003) S. 627 (629)

bb) Für § 10 Abs. 1 DiskE, der die Barabfindung für die Gründung einer Holding-SE vorsieht, gibt es im deutschen Umwandlungsrecht kein Vorbild. Das hat gute Gründe: bei diesem Vorgang bleibt es den Anteilsinhabern der die Gründung betreibenden Gesellschaften überlassen, ob sie ihre Anteile behalten oder in Aktien der Holding SE umtauschen wollen. Wenn sie sich für den status quo entscheiden, riskieren sie, Teilhaber einer abhängigen Gesellschaft zu werden. Für diesen Fall der faktischen Konzernierung bietet ihnen das deutsche Gesellschaftsrecht keinen Anspruch auf Abfindung, aber andere und hinreichende Schutzinstrumente15.

cc) Dasselbe gilt für § 11 Abs. 1 DiskE: die Barabfindungspflicht, die durch den Sitzwechsel einer SE ausgelöst werden soll, ist schon deshalb ein rechtspolitisches Novum, weil derartige Transaktionen bislang nicht möglich waren. Sie kann sich auf die Ansicht stützen, auch die Fusion auf einen ausländischen Rechtsträger gleicher Rechtsform müsse ein zwingendes Abfindungsrecht auslösen16. Selbst wenn das richtig wäre, kann es für die SE nicht gelten: die VO schafft eine im Kern einheitliche – durch die Gesetzgebung der Mitgliedstaaten lediglich zu ergänzende – Rechtsform17, um die Verwirklichung des Binnenmarktes voranzutreiben18. Abfindungsrechte, die durch den bloßen Grenzübertritt ausgelöst werden, sind mit dieser Zielsetzung unvereinbar.

3. Die rechtspolitischen Argumente, auf die sich die Barabfindungsregelungen im DiskE stützen lassen, sind mithin schwach. Ihnen stehen zudem schwerwiegende Bedenken entgegen:

a) Der Schutz der Minderheit ist unabdingbar, wo die Mehrheit eigensüchtige Ziele zum Nachteil der Minderheit verfolgt. Zudem können strukturelle Veränderungen, die mit keinem derartigen Makel behaftet sind, sich soweit von den legitimen Erwartungen entfernen, die die Anlageentscheidung motiviert haben, dass dem Investor die Möglichkeit des Ausscheidens gegen Abfindung zu eröffnen ist. Der von § 29 UmwG erfasste Wechsel der Rechtsform kann dieser Prämisse entsprechen: durch die Verschmelzung einer AG auf eine GmbH verliert die Kapitalanlage einen wesentlichen Teil ihrer Liquidität. Das kann aber nicht für alle organisationsrechtlichen Modifikationen gelten. Denn Abfindungsrechte benachteiligen das Unternehmen und die übrigen Teilhaber: die Liquidität wird verkürzt, die Firmen- und Unternehmensplanung gestört, die Expansion behindert. Kapitalgesellschaften versagen ihren Mitgliedern das Recht zum Austritt, weil anders langfristige Investitionen nicht möglich wären; dafür bietet die (börsennotierte) AG die Möglichkeit der Veräußerung der Aktie auf dem dafür organisierten Sekundärmarkt. Unter¬ZHR 167 (2003) S. 627 (630)nehmen bedürfen der strukturellen Anpassung an sich ändernde Marktbedingungen; deshalb lässt das Kapitalgesellschaftsrecht Mehrheitsentscheidungen zu. Der dissentierende Aktionär kann verkaufen; er braucht kein Abfindungsrecht. Bei einem hinreichend diversifizierten Portefeuille schadet ihm die Barabfindung sogar dann, wenn sie im Einzelfall mehr bringt als der Verkauf19, weil sie bei allen anderen Investments negativ zu Buche schlägt. D.h., Abfindungsregelungen, die die unternehmerisch gebotenen Strukturanpassungen erschweren, sind wirtschaftspolitisch schädlich, weil sie die Gesamtheit der Aktionäre finanziell belasten und damit das Kapital verteuern20.

b) Hinzu kommt ein Weiteres. Wenn Strukturanpassungen dadurch mit Kosten belastet werden, dass sie Abfindungsansprüche auslösen, sind diese Austrittsrechte geeignet, unternehmerisch sinnvolle oder sogar gebotene Veränderungen zu verhindern; das schadet dem Unternehmen, den Investoren und der Allgemeinheit. Ganz konkret: die im DiskE vorgesehenen Barabfindungen verknüpfen den Übergang in die SE mit schwer abschätzbaren Kosten, da im vorhinein nicht klar ist und auch nicht geklärt werden kann, wie viele der Aktionäre von dieser Möglichkeit Gebrauch machen werden. Dieses Risiko wird den Zugang zur SE wesentlich erschweren21. Es besteht kein Grund zu der Annahme, dass diese Konsequenz gewollt ist22; es reicht aus, dass sie mit erheblicher Wahrscheinlichkeit eintreten wird. Sie hat zur Folge, dass den deutschen Unternehmen und ihren Anlegern sinnvolle Optionen der strukturellen Entwicklung verbaut werden.

c) Damit wachsen die Zweifel daran, dass die Barabfindungsregelungen im DiskE mit der SE-VO vereinbar sind. Art. 10 SE-VO verlangt, dass eine SE – vorbehaltlich der Bestimmungen der VO – in jedem Mitgliedstaat wie eine nach dessen Recht gegründete AG behandelt wird. Diese Bestimmung wird durch den Erwägungsgrund (5) konkretisiert: die ergänzende Rechtsetzung der Mitgliedstaaten darf die SE nicht schlechter behandeln als die AG und die Gründung oder Sitzverlegung nicht mit unverhältnismäßig strengen Auflagen belasten. Eben dies geschieht durch die §§ 7 Abs. 1, 10 Abs. 1 und 11 Abs. 1 des DiskE: sie belasten Gründung und Sitzverlegungen der SE mit Abfindungsverpflichtungen, die das deutsche Aktien- und Umwandlungsrecht für die entsprechenden Vorgänge nicht kennt. Das wird durch die Ermächtigungen in den Art. 8 Abs. 5, 24 Abs. 2 und 34 der SE-VO nicht gedeckt: sie erlau¬ZHR 167 (2003) S. 627 (631)ben den Minderheitenschutz nur insoweit, als er die SE nicht diskriminiert und die Wahl dieser Rechtsform nicht behindert. Nur dieses Rechtsverständnis respektiert das allen Mitgliedstaaten gemeinsame Interesse an der Verwirklichung des Binnenmarktes.

4. Die Rechtsform der SE ist geeignet, das überlieferte Regime des deutschen Aktien- und Mitbestimmungsrechts erheblich zu modifizieren23. Das kann dazu verlocken, die zur Transformation und Einbettung der SE-VO und der sie begleitenden Richtlinie24 erforderliche Gesetzgebung mit Elementen anzureichern, die den Zugang zur SE erheblich erschweren. Vor dieser Strategie ist nicht nur aus den erörterten Gründen zu warnen. Das überregulierte und ungemein starre Modell der deutschen Unternehmensverfassung erhält im Vergleich mit den anlegerfreundlichen und marktorientierten Systemen unserer wichtigsten Konkurrenten zunehmend schlechte Noten25; es mehren sich die Anzeichen dafür, dass die auf den grenzüberschreitenden Finanzmärkten operierenden Investoren diese Einschätzung teilen. Wenn dies zutrifft, besteht aller Grund, die SE als Chance zu nutzen und nicht als Gefahr zu immunisieren. Auch aus diesem Grunde ist zu empfehlen, die §§ 7 Abs. 1, 10 Abs. 1 und 11 Abs. 1 im DiskE zum SEEG ersatzlos zu streichen.

Friedrich Kübler

1

Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. 10. 2001, ABl. EG L 294/1 vom 10. 12. 2001.

2

Abgedruckt in AG 2003, 204ff.; Erläuterungen der Urheber des Entwurfs Neye und Teichmann a.a.O. S. 169ff.

3

Eingehende Darstellung durch Teichmann, ZGR 2003, 367ff.

4

Anderes gilt zu Recht nur für die Gründung einer Tochter-SE; dazu Teichmann, ZGR 2003, 395ff.

5

Art. 18 und 23 SE-VO mit §§ 65 und 73 UmwG für die Verschmelzung; Art. 32 Abs. 6 mit analoger Anwendung der Verschmelzungsregeln (dazu Teichmann S. 392) für die Gründung der Holding-SE; Art. 37 Abs. 7 SE-VO mit § 65 Abs. 1 UmwG für die Umwandlung und Art. 8 Abs. 6 und 59 SE-VO für die Sitzverlegung.

6

Art. 20ff., 32 Abs. 2 bis 4, 37 Abs. 4 bis 6, 8 Abs. 2 und 3 SE-VO.

7

Nicht: für die Umwandlung in eine SE.

8

Art. 8 Abs. 5, 24 Abs. 2 und 34 SE-VO.

9

§§ 6 und 9 DiskE SEAG.

10

§§ 7, 10 und 11 DiskE SEAG. In §§ 7 Abs. 1, 10 Abs. 1 und 11 Abs. 1 ist vorgesehen, dass dem Aktionär oder Anteilsinhaber im Verschmelzungs- bzw. Gründungs- bzw.Verlegungsplan der Erwerb seiner Anteile gegen eine angemessene Barabfindung anzubieten ist.

11

Teichmann (Fn. 3), S. 383 und S. 394; Neye/Teichmann (Fn. 2) S. 172f.

12

Zu den Einzelheiten vgl. Volhard in: Semler/Stengel (Hrsg.) UmwG, 2003, § 16 Rdn. 21ff. und Sailer, Aktienrechtliche Minderheitskompetenzen zwischen Missbrauch und unternehmerischer Entscheidungsfreiheit, 1999, S. 171ff., beide m.w.N.

13

Teichmann, Ausführungsgesetz in Deutschland, in: Theisen/Wenz (Hrsg.), Die europäische Aktiengesellschaft, 2002, S. 573, 584f.; vorsichtiger Neye/Teichmann (Fn. 2) S. 172: § 7 Abs. 1 DiskE „lehnt sich an die §§ 29ff. UmwG an“.

14

Vgl. Art. 37 SE-VO.

15

Zutreffend Casper, FS Ulmer, 2003, S. 51, 60f.

16

So etwa Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. I, 1980, S. 874; dagegen Lennerz, Die internationale Verschmelzung und Spaltung unter Beteiligung deutscher Gesellschaften, 2001, S. 181f.

17

Erwägungsgrund (6) der VO spricht von der „juristische(n) Einheitlichkeit“ der SE.

18

Dazu die Entscheidungsgründe (1) bis (5) der VO.

19

Was wenig wahrscheinlich ist, wenn sich die Höhe der Abfindung – wie von BVerf-GE 100, 289, 308 gefordert – am Börsenkurs orientiert.

20

Nachteilig ist zudem, dass exzessiver Minderheitenschutz unternehmerische Entscheidungen auf die Gerichte überträgt; dazu K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, 46ff.

21

Eben dies befürchten die Spitzenverbände der deutschen Industrie, die die Austrittsrechte des DiskE dezidiert ablehnen; vgl. FAZ Nr. 138 vom 17.6.2003, S. 18.

22

Es kursiert freilich das Gerücht, dass im Bundeskanzleramt nach strukturellen Vorkehrungen gefahndet wird, die geeignet sind, den Wechsel in die SE zu erschweren und die überlieferte deutsche Unternehmensverfassung zu konservieren.

23

Dazu Luca Enriques, Silence is Golden: The European Company Statute as a Catalyst for Company Law Arbitrage, ECGI Working Paper No. 07/2003; Kübler, ZHR 167 (2003), 222ff.

24

RL 2001/86/EG des Rates vom 8. 10. 2001, ABl. EG L 294/22 vom 10. 11. 2001.

25

Dazu die Nachweise bei Kübler, ZHR 167 (2003), 234 Fn. 93, und neuerdings Mark Roe, Political Determinants of Corporate Governance, 2003, insbes. S. 27ff. und 71ff.

 
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