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ZHR 172 (2008), 379-387
Hemeling 

Beschlussmängelrecht – Quo Vadis?

Eine funktionierende Beschlusskontrolle, aber auch die rasche und verlässliche Umsetzung von Gesellschafterbeschlüssen sind wichtige Bausteine eines wettbewerbsfähigen Gesellschaftsrechts. Dabei ist insbesondere bei börsennotierten Unternehmen eine zügige und sichere Umsetzung von Hauptversammlungsbeschlüssen zu wichtigen Struktur- und Kapitalmaßnahmen ein relevanter Standortfaktor.

Bei der Anfechtungsklage im Aktienrecht steht es diesbezüglich nicht zum Besten. Seit nunmehr 20 Jahren wird immer wieder Beschwerde geführt über den Missbrauch des Anfechtungsrechts, über vorbereitende Formalattacken in der Hauptversammlung, erzwungene Vergleichszahlungen, Blockaden und Trittbrettfahrer. Zugleich erleben wir im Bereich der Unternehmensbewertung die Nichtbewältigung der Spruchverfahren durch die Justiz mit einer Verfahrensdauer von nicht selten mehr als 10 Jahren bzw. der unverhohlenen Aufforderung der Gerichte, durch Aufbesserung der Abfindung oder des Umtauschverhältnisses einen Vergleich zu ermöglichen. Gerade in den letzten Monaten erreichte die Diskussion einen neuen Höhepunkt. Empirische Untersuchungen über die Praxis im Anfechtungsbereich1 und speziell bei Squeeze Out-Verfahren2 zeigen ein erschreckendes Bild. Unvermindert werden von einem bestimmten Kreis von Aktionären und Rechtsanwälten eintragungspflichtige Hauptversammlungsbeschlüsse angefochten und die Freigabeverfahren wo immer es geht verzögert. In den seltensten Fällen führen diese Verfahren jedoch zu einer dauerhaften Blockade oder einer abschließenden inhaltlichen Überprüfung der Beschlüsse. Vielmehr genügt bei wichtigen Strukturmaßnahmen eine Verzögerung von 8–12 Monaten, um im Vergleichswege wirtschaftliche Vorteile zu erzielen.

Wenn sich die Kritik auf die Berufsopponenten fokussiert, hilft dies allerdings wenig. Abgesehen von wenigen Ausreißern3 nutzen die Kläger legal die Möglichkeiten der allen Aktionären offen stehenden Rechtsmittel. Durch die mit dem UMAG4 im Jahre 2005 eingeführte Veröffentlichungspflicht für abgeschlossene Vergleiche noch gefördert, hat sich geradezu eine Prozesskultur im Beschlussmängelrecht herausgebildet. Der Kreis der Akteure erweitert ZHR 172 (2008) S. 379 (380)sich stetig und auch der eine oder andere Hedge Fonds scheint die Schwächen des Rechtssystems insbesondere in Squeeze Out-Situationen zur Renditeaufbesserung zu nutzen.

Ein kurzer Rückblick veranschaulicht das zugrundeliegende Problem. Mit dem Aktiengesetz 1965 wurde die bis dahin unbekannte Negativerklärung eingeführt. Bei der Anmeldung einer Verschmelzung zum Handelsregister hatte der Vorstand nach § 345 Abs. 2 AktG 1965 zu erklären, dass der Verschmelzungsbeschluss innerhalb der Anfechtungsfrist nicht angefochten oder die Anfechtung rechtskräftig zurückgewiesen wurde. Ratio dieser Negativerklärung war, die praktisch nicht durchführbare Rückabwicklung einer fehlerhaften Verschmelzung zu vermeiden. Denn nach der seinerzeit herrschenden Meinung wurden Mängel der Verschmelzung durch die Eintragung im Handelsregister grundsätzlich nicht geheilt und somit eine Rückgängigmachung der Verschmelzung und der dazugehörenden Kapitalerhöhung für erforderlich gehalten5. Die Negativerklärung führte aber zur automatischen Sperrwirkung der Anfechtung. Im Jahre 1990 entschied dies der Bundesgerichtshof in dem FGG-Verfahren einer Hypothekenbankenfusion. Die Eintragung einer angefochtenen Verschmelzung in das Handelsregister sei nur im Falle einer offensichtlich missbräuchlichen Klage möglich6. Es wundert nicht, dass die daraus für die Unternehmenspraxis resultierende untragbare Blockadesituation (bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Hauptsache) ein breites Echo fand7. Die Erkenntnisse dieser Diskussion führten dann zu wesentlichen Weichenstellungen im Umwandlungsgesetz vom 28. 10. 1994. Neben der Klarstellung, dass ohne Negativerklärung eine Handelsregistereintragung nicht möglich sei, wurde das Freigabeverfahren nach § 16 Abs. 3 UmwG eingeführt, das die Blockade durch Anfechtungsklagen vermeiden sollte. Gleichzeitig wurde die Bestandskraft der Handelsregistereintragung geregelt und die Rechtsfolge einer erfolgreichen Anfechtungsklage nach Eintragung auf den individuellen Schadensersatz beschränkt. Nicht minder von Bedeutung war die Einführung des gesonderten Spruchverfahrens zur Überprüfung von Bewertungsfragen. Das Konzept wurde als Lösung der absoluten Registersperre allgemein begrüßt und für die Eingliederung und das aktienrechtliche Squeeze Out-Verfahren übernommen. Später erfuhr das Freigabeverfahren durch das UMAG eine weitere Ausdehnung mit der Einführung des neuen § 246a AktG für Kapitalmaßnahmen und Unternehmensverträge.

So überzeugend das System des Freigabe- und des Spruchverfahrens in der Theorie sein mag und in Einzelfällen geholfen hat, trotz einer laufenden Beschlusskontrolle die bestandskräftige Umsetzung von Strukturmaßnahmen zu ZHR 172 (2008) S. 379 (381)ermöglichen, so nachhaltig sind die verfahrensmäßigen Schwächen, die zur Ausdehnung einer nicht im Aktionärsinteresse liegenden Prozesskultur geführt haben. Die Schwachstellen sind nicht schwer zu analysieren und wurden wiederholt adressiert8. Im Freigabeverfahren ist es die Kombination der – rechtlichen oder faktischen – Handelsregistersperre und der Verfahrensdauer, die mit einem Zeitraum von durchschnittlich 8–12 Monaten ein ausreichendes Störpotential bietet. Die Zwangssituation des Unternehmens kann ohne Kostenrisiko genutzt werden, um fragwürdige Vergleiche zu erzielen, bei denen nicht selten die von der Gesellschaft zu erstattenden Anwaltshonorare im Vordergrund stehen. Die Kreativität zur Aufrechterhaltung des Störpotentials ist dabei beeindruckend. Bereits die Einleitung des Freigabeverfahrens kann um Wochen verzögert werden, wenn bei Klageerhebung zunächst kein Kostenvorschuss eingezahlt wird. Eine Vielzahl weitgehend identischer Klagen, gezielte Auslandsadressen einzelner Kläger und die Zurückweisung von Zustellungen im Freigabeverfahren durch den Prozessanwalt verzögern das Verfahren weiter. Droht schließlich eine Freigabe, wird zusätzlich auch schon einmal die Nichtigkeitsklage bemüht, um das Wirksamwerden des Hauptversammlungsbeschlusses weiter aufzuschieben. Im Bereich der Bewertungsrügen muss man angesichts der unzumutbaren Verfahrensdauer gar von einem partiellen Versagen des Rechtsstaates sprechen. Auch nach den Maßstäben der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 19999, wonach 7 Jahre Verfahrensdauer ohne Sachentscheidung bei objektiv schwieriger Begutachtung und angemessener gerichtlicher Verfahrensförderung noch hinnehmbar sei, dürften bei einzelnen Spruchverfahren verfassungsrechtliche Bedenken nicht mehr von der Hand zu weisen sein. Die Reform des Spruchverfahrensgesetzes im Jahre 2003, die eine Verfahrensbeschleunigung zum Ziel hatte, hat an diesem Zustand nichts Entscheidendes verbessern können.

Was also ist zu tun? Der Gesetzgeber hat sich insbesondere im UMAG um Verbesserungen bemüht und nimmt sich des Themas erneut im Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechte-RiL vom 6. 5. 2008 an. Er verfolgt dabei weiter das Ziel, im Rahmen des geltenden Systems die verfahrensmäßigen Schwächen zu beseitigen. So soll mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf in § 246a Abs. 1 AktG klargestellt werden, dass der Prozessbevollmächtigte des Hauptsacheverfahrens auch im Freigabeverfahren zustellungsbevollmächtigt ist. Ferner soll in § 246a Abs. 2 AktG im Sinne der Regierungsbegründung zum UMAG klargestellt werden, dass bei der Interessenabwägung auf Seiten der Kläger nur auf die möglichen Nachteile der Anfechtungskläger selbst und nicht auch auf die denkbaren Verletzungsfolgen aller Aktionäre abzustellen ist. Schließlich soll eine Mindestbesitzschwelle von € 100,– anteiliger Betrag des Grundkapitals für das Freigabeverfahren eingeführt werden.

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So begrüßenswert diese Ansätze auch sind, gibt es wenig Hoffnung, dass sich auf diese Weise das Problem lösen lässt. Das Freigabeverfahren wird hierdurch nicht zu einem echten Eilverfahren. Die gesetzliche Vorgabe, dass der Beschluss im Freigabeverfahren regelmäßig innerhalb von 3 Monaten nach Antragstellung ergehen soll, bezieht sich nur auf eine Instanz. Unter Berücksichtigung der Zeitspanne zwischen Ablauf der Anfechtungsfrist und der Einleitung des Freigabeverfahrens ergibt sich bereits nach der Zielvorstellung des Gesetzgebers ein Zeitbedarf von ca. 8 Monaten. Die Möglichkeit, auch einmal ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, wird in der Praxis nicht genutzt.

Es bedarf daher einer weitergehenden Reform des Beschlussmängelrechts, wie dies in jüngster Zeit von verschiedenen Seiten gefordert wird10. Nicht ganz neu, aber sehr grundsätzlich ist der Vorschlag zur Einführung eines Mindestquorums für Anfechtungskläger. Ein solches Quorum erscheint zur Eindämmung von Missbräuchen geeignet, wenn der Schwellenwert hoch genug ist. Teilweise wird hierzu ein Quorum von 1% des Grundkapitals oder € 100000,– anteiliger Betrag am Grundkapital vorgeschlagen11. Immerhin kennt das Aktiengesetz bereits ein Anfechtungsquorum bei der Gewinnverwendung (§ 254 Abs. 2 S. 3 AktG) und auch im Bereich der Sonderprüfung und beim Klagezulassungsverfahren zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen wurden Mindestquoren eingeführt. Im italienischen Gesellschaftsrecht gilt ein generelles Mindestquorum für Anfechtungsklagen12 und in Spanien bedarf der Antrag auf gerichtliche Anordnung der Suspensivwirkung eines erheblichen Aktienbesitzes13.

Gleichwohl erscheint gegenüber der Einführung eines Anfechtungsquorums Zurückhaltung geboten. Zum einen wird eine namhafte Schwelle in Deutschland rechtspolitisch nicht durchsetzbar sein. Darauf deutet das jetzt vom Gesetzgeber vorgeschlagene Miniquorum für das Freigabeverfahren hin. Ein zu niedriger Schwellenwert kann jedoch die eigennützige Ausnutzung des Freigabeverfahrens nicht verhindern. Die professionellen Anfechtungskläger sind in der Zwischenzeit so gut organisiert, dass sie auch höhere Quoren erfüllen können, gegebenenfalls durch einen Zusammenschluss mehrerer Opponenten oder mit Hilfe der Wertpapierleihe bzw. kleinerer Hedge Fonds. Zu bedenken ist ferner, dass jedes Quorum verfahrensmäßige Fragen mit Verzögerungspotential aufwerfen kann, etwa beim Nachweis oder dem Poolen des notwendigen Aktienbesitzes. Das Quorum wäre darüber hinaus eine Kapitu¬ZHR 172 (2008) S. 379 (383)lation vor der Aufgabe, das nicht austarierte System von Suspensivwirkung und Freigabeverfahren ins Lot zu bringen. Schließlich sollte auch nicht vergessen werden, dass gerade Minderheitsaktionäre eine sehr effektive Aufsicht über das Beschlussverfahren ausüben. Trotz des zu Recht beklagten Missbrauchs gibt es genügend Beispiele dafür, dass Kläger mit sehr geringem Anteilsbesitz im Interesse aller Aktionäre die Durchsetzung rechtswidriger Beschlüsse verhindert haben. Eine ernst zu nehmende Klageschwelle würde mit Sicherheit den Überlegungen einer staatlichen Aufsicht Auftrieb verleihen14. Bedenkenswert bleibt andererseits, dass auch ein Quorum im Suspensivverfahren helfen könnte, die ständig zunehmende Zahl von Kleinstklagen zu begrenzen, ohne auch nur einen Aktionär von der Klagemöglichkeit auszuschließen. Der Gesetzgeber hat diesbezüglich einen Stein ins Wasser geworfen. Auch wenn die vorgesehene Hürde irritierend niedrig erscheint, sollte die Diskussion über die Tauglichkeit des Instruments geführt werden.

Der entscheidende Nachteil der zu langen Verfahrensdauer stellt das Freigabekonzept aber als solches infrage. Will man es retten, müsste ein konsequenterer Eingriff in das Verfahren vorgenommen werden. Hierzu liegt mit dem Entwurf des Bundesrats für ein Gesetz zur Einführung erstinstanzlicher Zuständigkeiten des Oberlandesgerichts in aktienrechtlichen Streitigkeiten15 ein konkreter Vorschlag auf dem Tisch. Der von Baden-Württemberg und Sachsen initiierte Entwurf sieht für das Freigabeverfahren nur eine Gerichtsinstanz, und zwar das Oberlandesgericht vor, das zugleich Eingangsinstanz für das Anfechtungsverfahren werden soll. Mit einer solchen Verkürzung des Freigabeverfahrens auf eine Instanz müsste sich die bisherige durchschnittliche Verfahrensdauer halbieren lassen. Auf gleicher Linie liegt auch ein Gesetzgebungsvorschlag des Handelsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltsvereins zum Spruchverfahren und zur Sachkapitalerhöhung vom Juni 200716, mit dem im Interesse der Beschleunigung der Rechtsschutzverfahren eine Beschränkung sowohl des Freigabeverfahrens als auch des Spruchverfahrens auf eine Instanz gefordert wird. Eine deutliche Verkürzung der Verfahrensdauer würde auch den krassen Fehlentwicklungen auf der Kostenseite entgegenwirken. Mit dem schwindenden Drohpotential würde die Vergleichsbereitschaft der Unternehmen sinken und für die Kläger zugleich ein disziplinierendes Prozesskostenrisiko im Hauptsacheverfahren entstehen. Vorschläge, den Auswüchsen der risikolosen Generierung von Anwaltshonoraren Einhalt zu gebieten, etwa durch Einführung einer gesetzlichen Begrenzung des Vergleichsmehrwerts17, könnten sich auf diese Weise erledigen. Die bislang eher ableh¬ZHR 172 (2008) S. 379 (384)nenden Reaktionen aus Berlin erstaunen angesichts der Ankündigung der Bundesregierung, gegen den Missstand im Anfechtungsbereich entschlossen vorgehen zu wollen

Vieles spricht aber dafür, das Zusammenspiel von Suspensivwirkung und Freigabe grundsätzlicher zu überdenken. Ein Vergleich mit anderen Rechtsordnungen macht dabei deutlich, dass die Wurzel für die Blockademöglichkeit mit der konstitutiven Wirkung der Handelsregistereintragung für fast alle wichtigen Kapital- und Strukturmaßnahmen gelegt wird. In vielen Ländern ist das Wirksamwerden eines Hauptversammlungsbeschlusses nicht oder nur in engen Ausnahmefällen wie der Verschmelzung von einer Registrierung abhängig; die Wirksamkeit tritt regelmäßig unmittelbar mit der Beschlussfassung bzw. der Beschlussfeststellung ein. Dementsprechend sind dort die automatische Sperrwirkung des Rechtsmittels und ein spezifisches Freigabeverfahren zur Überwindung dieser Sperre unbekannt. Vielmehr setzt eine Aussetzung der Wirksamkeit des Gesellschafterbeschlusses bzw. seiner Umsetzung eine gerichtliche Verfügung voraus, die vom Kläger zu beantragen ist. Dies gilt etwa nach dem Recht von Delaware, aber auch in zahlreichen europäischen Staaten. Beispielhaft wird in diesem Zusammenhang die spanische Regelung angeführt. Danach setzt die gerichtliche Anordnung eines Suspensiveffektes einen Antrag durch ein bestimmtes Aktionärsquorum voraus (1% bei börsennotierten Gesellschaften und 5% bei nicht börsennotierten Gesellschaften)18; Prüfungsmaßstab des Gerichts für eine Aussetzungsverfügung sind die Offensichtlichkeit der Erfolgsaussichten und die Schadenabwägung. Eine nähere Betrachtung verdient auch die Schweizer Regelung. Nach bisherigem Registerrecht wurde dem Anfechtungskläger, der gegen die Eintragung im Handelsregister Einspruch eingelegt hat, vom Registeramt eine sehr kurze Frist für die Erwirkung einer richterlichen Verfügung zur Herstellung der Suspensivwirkung eingeräumt19. Durch die ab 1. 1. 2008 geltende Neufassung der Handelsregisterverordnung bewirkt der Einspruch gegen die Eintragung zunächst eine provisorische Registersperre. Der Kläger muss dann innerhalb von 10 Tagen beim Spruchgericht ein Gesuch auf Anordnung der Registersperre stellen. Das Gericht hat darüber unverzüglich in einem summarischen Vorverfahren zu entscheiden20. Nicht nur der Vergleich mit anderen Rechtsordnungen, sondern auch der Vergleich mit anderen Rechtsgebieten, etwa dem Wettbewerbsrecht oder dem Verwaltungsrecht, legen es nahe, von der automatischen Suspensivwirkung der Anfechtung abzurücken und das Freigabeverfahren in ein Aussetzungsverfahren umzukehren21.

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Diese Umstellung könnte zu einer erheblichen Verfahrensstraffung führen. So stellt sich die Frage, warum es dem Kläger zeitlich nicht zumutbar sein sollte, einen Antrag auf Aussetzung des Eintragungsverfahrens zusammen mit der Anfechtungsklage innerhalb der Anfechtungsfrist von 4 Wochen zu stellen. Die Gesellschaft könnte daraufhin die – während der Anfechtungsfrist weitgehend vorbereitete Antragserwiderung – in kürzester Zeit einreichen. Sofern das Oberlandesgericht entsprechend dem vorliegenden Gesetzesentwurf des Bundesrats allein und abschließend über den Antrag entscheiden würde, erscheint eine abschließende Klärung der Eintragungsfähigkeit innerhalb von 4 Wochen nach Ablauf der Anfechtungsfrist realistisch.

Gegen die Umstellung des Freigabeverfahrens auf ein Aussetzungs- bzw. Verfügungsverfahren könnte zum einen eingewandt werden, dass dadurch eine wesentliche Änderung nicht bewirkt wird, da es auch in einem Aussetzungsverfahren in aller Regel entscheidend auf die Abwägung des Vollzugsinteresses der Gesellschaft mit dem Aufschubinteresse des Klägers auf Basis des beiderseitigen Nachteilspotentials ankommen wird. Zum anderen wird sich die Frage der Bestandskraft für die Fälle stellen, in denen kein Antrag auf Aussetzung gestellt und die Maßnahme trotz Anfechtung im Handelsregister eingetragen wird.

Der erste Einwand verfängt nur theoretisch. Ein Aussetzungsverfahren liefe zwar in der Tat bei nicht offensichtlichen Erfolgsaussichten der Klage auf eine Abwägung der möglichen Nachteile des Klägers gegen den potentiellen Verzögerungsschaden der Gesellschaft hinaus. Durch eine bereits in der Gesetzesbegründung zum UMAG angelegte und jetzt im Referentenentwurf zur Umsetzung der Aktionärsrechte-RiL ausdrücklich enthaltene Klarstellung der Abwägungsklausel in § 246a AktG verengt sich hierauf aber auch die Abwägung im Freigabeverfahren. Dabei muss allen Beteiligten klar sein, dass diese Abwägung, sofern nicht ganz außergewöhnliche Umstände wie ein erheblicher klägerischer Anteilsbesitz vorliegen, im Zweifel immer zu Gunsten der Gesellschaft ausgeht. Neben dem unguten Gefühl, dass damit der ursprüngliche Anspruch einer Berücksichtigung des wohlverstandenen Interesses aller Aktionäre verloren geht, drängt sich die Frage auf, warum für die Vornahme dieser reduzierten Abwägung ein Zeitraum von 8–12 Monaten nötig sein soll. Mit der Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses in einem Aussetzungsverfahren könnten die Grundsätze eines einstweiligen Verfügungsverfahrens mit ungleich kürzeren Zeitabläufen zur Anwendung kommen. Zugleich würde die Last der Darlegung und der Glaubhaftmachung sachgerecht der Partei auferlegt, die die Sperre einer mehrheitlich beschlossenen Maßnahme verfolgt. Zu weit würde es dagegen führen, dem Antragsteller im Aussetzungsverfahren auch nur ein begrenztes Haftungsrisiko im Sinne des § 945 ZPO aufzuerlegen22.

ZHR 172 (2008) S. 379 (386)

Schwerwiegender sind die Folgewirkungen, die die Aufgabe des bisherigen Freigabekonzepts auf die Bestandskraft von Hauptversammlungsbeschlüssen hat. Einem angefochtenen Beschluss der Hauptversammlung, der trotz anhängigen Anfechtungsverfahrens ohne gesonderte Entscheidung des Spruchgerichts in das Handelsregister eingetragen wird, kann schwerlich eine Bestandskraft etwa im Sinne des § 20 Abs. 2 UmwG zuerkannt werden. Droht als Preis für die Schnelligkeit also wieder eine Rückabwicklung vollzogener Struktur- oder Kapitalmaßnahmen?

Aus folgenden Gründen wird ein solcher Rückfall nicht eintreten: Zum einen kann davon ausgegangen werden, dass ein Anfechtungskläger bei relevanten Hauptversammlungsbeschlüssen einen Antrag auf Aussetzung der Eintragung stellen wird. Wird dem Antrag stattgegeben, bleibt es bei der Sperrwirkung bis zur rechtskräftigen Entscheidung. Weist das Spruchgericht den Antrag dagegen zurück, etwa wegen Erfolglosigkeit oder auf Basis einer zugunsten des Unternehmens ausgehenden Interessenabwägung, ist die Legitimation für die Bestandskraft gegeben. In diesem Zusammenhang könnte auch überlegt werden, der Gesellschaft bei ausbleibendem Antrag des Anfechtungsklägers ein Antragsrecht auf Zwischenentscheidung des Spruchgerichts über die Bestandskraft der Handelsregistereintragung einzuräumen. Ganz fremd ist dieser Gedanke auch dem heutigen Verfahren nicht. So wird der Gesellschaft das Recht zuerkannt, nach bereits erfolgter Registereintragung einen Freigabeantrag zu stellen, um eine Bestandskraft herbeizuführen23.

Schließlich hängt die Bedeutung der Bestandskraft unmittelbar davon ab, wie weit die Kassationswirkung bei mängelbehafteten Beschlüssen reicht. Es gilt daher, die Rechtsfolge einer ex tunc-Unwirksamkeit auf die Fälle zu beschränken, bei denen der Bestand eines fehlerhaften Hauptversammlungsbeschlusses bzw. seine Umsetzung zu untragbaren Ergebnissen führen würde, die mit anderen Rechtsfolgen nicht zu kompensieren sind. Die z.T. sehr unscharfen Umschreibungen der Nichtigkeitsgründe in § 241 AktG bewirken jedoch das Gegenteil; selbst unbedeutende Verfahrensmängel ohne jede Relevanz für die Beschlussfassung können zur Nichtigkeit führen. Die sachgerechte Einschränkung der Kassationswirkung ist jedoch keine leichte Aufgabe. Wenig erfolgversprechend wäre etwa der Versuch, einen abschließenden Katalog von Nichtigkeitsgründen zu erstellen. In allen Kategorien von Beschlussmängeln, seien es Verfahrensfehler, Informationsmängel, Fehler in der Abstimmung oder inhaltliche Fehler, sind so gravierende Fälle vorstellbar, dass eine Nichtigkeitsfolge unausweichlich erscheint. Umgekehrt gibt es in allen Bereichen Beispiele, bei denen eine ex tunc-Unwirksamkeit nicht gerechtfertigt ist. Der Gesetzgeber hat dies für Informationsmängel bereits in § 243 Abs. 4 AktG anerkannt. Im Ergebnis muss daher Maßstab einer Nichtigkeit die Schwere des Rechtsverstoßes bzw. bei Verfahrensfehlern und Informationsmängeln die Wesentlichkeit oder Kausalität für die Beschlussfassung sein.

ZHR 172 (2008) S. 379 (387)

Um die Nichtigkeitsfolge auf krasse Ausnahmefälle im Sinne einer „Unerträglichkeit“ zu beschränken, ist zugleich auf der Rechtsfolgenseite Kreativität gefragt. Nicht in allen Fällen wird dabei die Kompensation durch einen verschuldensunabhängigen individuellen Schadensersatzanspruch ausreichen. In einigen Fällen nicht eintragungsbedürftiger Beschlüsse wie der Aufsichtsratswahl würde bereits die Möglichkeit einer ex nunc-Unwirksamkeit einen erheblichen Fortschritt bringen.Es spricht einiges dafür, dem Spruchgericht in diesem Sinne mehr Gestaltungsspielraum einzuräumen, um den jeweiligen Umständen im Einzelfall besser gerecht werden zu können. Schließlich sollten Maßnahmen mit erhöhter erzieherischer Wirkung, wie z.B. eine bekannt zu gebende ausdrückliche Feststellung der Rechtswidrigkeit, in Betracht gezogen werden.

Beim Spruchverfahren führt die Mängelanalyse zu anderen Schlussfolgerungen. Mit Ausnahme einer verfahrensmäßigen Straffung durch Instanzenverkürzung und der Möglichkeit, den Ausgleichsanspruch durch Aktien zu erfüllen24, liegt der Schwerpunkt hier nicht beim Gesetzgeber, sondern beim richterlichen Verständnis der Unternehmensbewertung. Das Bedürfnis nach geschriebenen Regeln und Genauigkeit haben viele Gerichte glauben lassen, es gebe einen absolut richtigen Unternehmenswert, der ausschließlich anhand des Ertragswertverfahrens nach dem Standard des IDW zu ermitteln sei. Dieses unzutreffende Verständnis ist das eigentliche Problem des Spruchverfahrens. Es muss sich die Erkenntnis durchsetzen, dass das Gesetz keinen absoluten Unternehmenswert voraussetzt, sondern sowohl bei der Abfindung als auch bei einem Umtauschverhältnis auf die Angemessenheit abstellt. Ferner wird auch keine bestimmte Bewertungsmethode vorgegeben. Die Fokussierung auf das Ertragswertverfahren kann nur mit der Scheingenauigkeit dieser Methode erklärt werden. Deren Unzulänglichkeit zeigt sich jedoch bereits daran, dass die größte Stellschraube für den Ertragswert die in die ewige Rente eingehende unsicherste Planzahl der Zukunftsperiode ist. Erfreulicherweise ist diesbezüglich von verschiedenen Seiten erhebliche Bewegung in die Bewertungsdiskussion gekommen, nicht zuletzt durch die richtungsweisende Spruchpraxis des OLG Stuttgart25, aber auch aus Erkenntnissen bei grenzüberschreitenden Transaktionen26 sowie durch den verstärkten Trend, den Börsenwert als einen maßgeblichen Wertindikator anzuerkennen27.

Peter Hemeling

1

Baums/Keinath/Gajek, ZIP 2007, 1629.

2

DAI 39/2007, Squeeze Out, Recht und Praxis.

3

Vgl. LG Frankfurt/Main AG 2007, 824.

4

Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts v. 22. 9. 2005, BGBl. 2005 I, 2802.

5

Z.B. KölnKomm/Kraft, 1. Aufl. 1985, § 346 AktG, Rdn. 49ff.

6

BGH WM 1990, 1372ff.

7

Z.B. Baums in: Timm (Hrsg.), Missbräuchliches Aktionärsverhalten, 1990, S. 85; Boujong, FS Kellermann, 1991, S. 1; Hirte, BB 1988, 1469; Timm/Schick, DB 1990, 1221.

8

Vgl. zuletzt Vetter, AG 2008, 177; Niemeier, ZIP 2008, 1148.

9

BVerfG NJW 1999, 2582.

10

Vetter, AG 2008, 177; Niemeier, ZIP 2008, 1148; vgl. auch Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins durch den Handelsrechtsausschuss zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechte-RiL, Juli 2008, Nr. 36/08, abrufbar unter www.anwaltverein.de.

11

Noack, BB 32/2007, 1. Seite;Vetter, AG 2008, 177, 188; vgl. auch Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins (Fn. 10).

12

Für börsennotierte Gesellschaften 1/1000, für nicht börsennotierte Gesellschaften 5% des Grundkapitals, vgl. Art. 2377 Codice Civile.

13

Vgl. Fn. 18.

14

Vgl. Schiessl, in VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 1999, 2000, S. 57, 65ff., für die konzern- und umwandlungsrechtlichen Strukturmaßnahmen bei börsennotierten Gesellschaften.

15

BT-Drs. 16/9020, v. 30. 4. 2008.

16

Nr. 27/07, S. 7.

17

Vgl. Vetter, AG 2008, 177, 193f.

18

Art. 727 Nr. 10, LEY 1/2000, de 7 de enero, de Enjuiciamiento Civil.

19

Art. 32 Abs. 2 Handelsregisterverordnung alte Fassung; einige Handelsregisterämter begnügten sich mit einer Frist von 10–14 Tagen, vgl. Isler/von der Crone, Schweizerische Zeitschrift für Wirtschafts- und Finanzmarktrecht 2008, 222, 228.

20

Art. 162 Handelsregisterverordnung, vgl. dazu Isler/von der Crone, Schweizerische Zeitschrift für Wirtschafts- und Finanzmarktrecht 2008, 222, 228 ff.

21

So auch Niemeier, ZIP 2008, 1148.

22

So aber Niemeier, ZIP 2008, 1148, 1153.

23

Vgl. Hüffer, § 264 a AktG, Rdn. 2a.

24

Vgl. Gesetzgebungsvorschlag des Handelsrechtsausschusses des DAV Nr. 27/07.

25

Vgl. OLG Stuttgart AG 2006, 421.

26

Z. B. Kiem, ZGR 2007, 542.

27

Vgl. Hüffer in seinem Vortrag zum Zusammenschluss von Unternehmen im Aktien- und Umwandlungsrecht, auf dem ZHR Symposium 150 Jahre ZHR am 6. 6. 2008 in Berlin, abgedruckt in Heft 5/6-2008; Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des DAV Nr. 36/08.

 
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