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ZHR 168 (2004), 373-381
Habersack 

Der Aufsichtsrat im Visier der Kommission

I. In ihrem am 21. 5. 2003 vorgelegten Aktionsplan „Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union“1 widmet sich die Kommission unter anderem der Modernisierung des Leitungs- oder Verwaltungsorgans im Allgemeinen und der Unabhängigkeit der nicht geschäftsführenden Direktoren im Besonderen.2 Danach sollen in börsennotierten Gesellschaften „Entscheidungen in wichtigen Bereichen, in denen sich geschäftsführende Direktoren klar in einem Interessenkonflikt befinden (Entgelte der Direktoren und Beaufsichtigung der Jahresabschlussprüfung) ausschließlich von nicht geschäftsführenden Direktoren oder Aufsichtsräten getroffen werden, die mehrheitlich unabhängig sind.“ Angekündigt wird nicht etwa eine – in staatliches Recht zu transformierende – Richtlinie, sondern eine Empfehlung, die eine Durchsetzung der empfohlenen Maßnahmen über einen durch den jeweiligen Mitgliedstaat einzurichtenden „comply or explain“-Mechanismus und damit aus deutscher Sicht über die in § 161 AktG verlangte Entsprechenserklärung nebst einer entsprechenden Änderung des Deutschen Corporate Governance Kodex anstrebt.3 Die Kommission weist ausdrücklich darauf hin, dass sie in dieser Maßnahme eine „Grundvoraussetzung für die Wiederherstellung des Vertrauens in die Märkte“ erblickt.

Dieser Ankündigung ist nun – nicht einmal ein Jahr nach Vorlage des Aktionsplans – eine erste Tat gefolgt: Am 5.5.2004 hat die Kommission ein Konsultationspapier zur Stellung unabhängiger nicht geschäftsführender Verwaltungsrats- bzw. Aufsichtsratsmitglieder in börsennotierten Gesellschaften veröffentlicht4 und die interessierten Kreise um Stellungnahme gebeten. Dieses Papier soll sodann in eine entsprechende Empfehlung münden. Es steht zu erwarten, dass die für den Herbst dieses Jahres angekündigte Annahme der Empfehlung inhaltlich weitgehend dem im Konsultationspapier vorgelegten Vorschlag folgen wird. Für den deutschen Kodex dürfte sich hieraus beträchtlicher Anpassungsdruck ergeben.

ZHR 168 (2004) S. 373 (374)

II. 1. Das Konsultationspapier betont noch einmal die Zielsetzung der Empfehlung: Der Aufsichtsrat müsse im Interesse vor allem der Aktionäre über eine ausreichende Zahl an unabhängigen Mitgliedern verfügen, wobei in Publikumsgesellschaften primär die Verantwortung der Geschäftsleiter gegenüber den einflusslosen Kleinaktionären zu besorgen sei, während bei Gesellschaften mit einem kontrollierenden Aktionär der Schutz der Minderheitsaktionäre im Vordergrund stehe. Im Interesse einer effizienten Aufsicht spricht sich das Papier für die Einrichtung von zumindest drei Ausschüssen aus, nämlich eines für die Überwachung der Finanzberichterstattung zuständigen Prüfungsausschusses,5 eines für die Nominierung der Vorstandsmitglieder zuständigen Nominierungsausschusses und eines für die Vergütung des Vorstands zuständigen Vergütungsausschusses; auf diesen Gebieten seien die Interessenkonflikte in der Person der Geschäftsleiter – und damit die Notwendigkeit unabhängiger Kontrolle – besonders ausgeprägt. Aus Sicht des deutschen Aktienrechts bestehen hiergegen keine prinzipiellen Bedenken. Die Einrichtung eines Prüfungsausschusses entspricht ohnehin guter Corporate Governance.6 Auch die Existenz eines für die Vergütung des Vorstands und für die Vorauswahl neuer Vorstandsmitglieder zuständigen Personal- oder Vorstandsausschusses ist – auch unabhängig von der allgemein gehaltenen Empfehlung in Ziffer 5. 3. 1 zur Bildung fachlich qualifizierter Ausschüsse – verbreitete Praxis. Insoweit dürfte die Empfehlung aus deutscher Sicht keinen nennenswerten Anpassungsbedarf hervorrufen, zumal das Konsultationspapier ausdrücklich betont, dass es im Kern um die Zusammensetzung und nicht um die Zahl der Ausschüsse geht, so dass insbesondere die Vorstandsvergütung und die Auswahl geeigneter Kandidaten weiterhin der Zuständigkeit ein- und desselben Ausschusses überantwortet werden könnten.7 Im Gegenteil darf mit Erleichterung registriert werden, dass sich die Kommission von dem noch im Aktionsplan unterbreiteten Vorschlag, die Auswahl geschäftsführender Direktoren einem Gremium zu übertragen, das hauptsächlich aus geschäftsführenden Direktoren besteht,8 angesichts der verbreiteten Kritik, auf die dieser ZHR 168 (2004) S. 373 (375)Vorschlag gestoßen war,9 distanziert hat und nunmehr einen überwiegend mit unabhängigen Mitgliedern besetzten Nominierungsausschuss favorisiert.

2. Von Brisanz sind die – ersichtlich durch die Final Rules der SEC10 beeinflussten – Ausführungen zum „Profil“ der Aufsichtsratsmitglieder und des Aufsichtsrats. Neben Fragen der Qualifikation, der Amtszeit11 und des zeitlichen Engagements der Aufsichtsratsmitglieder12 sowie der Komposition und Evaluation des Gesamtaufsichtsrats13 ist vor allem die Unabhängigkeit der Mitglieder der drei Ausschüsse angesprochen. Sie ist Gegenstand einer allgemeinen Definition, die wiederum flankiert wird durch einen Liste von Kriterien, die zumindest erfüllt sein müssen, soll ein Ausschussmitglied als unabhängig gelten. Schon die allgemeine Umschreibung hat es in sich. Danach nämlich ist ein nicht geschäftsführender Direktor (und damit ein Aufsichtsratsmitglied) unabhängig, wenn er frei von jeder geschäftlichen, familiären oder sonstigen Beziehung zur Gesellschaft, zum kontrollierenden Aktionär oder zum Management ist, die einen die Möglichkeit freier Entscheidung gefährdenden Interessenkonflikt begründet. An der Unabhängigkeit soll es ausweislich des ergänzenden Katalogs unter anderem fehlen, wenn der Kandidat (i) derzeit oder in den letzten fünf Jahren vor der Ernennung geschäftsführender Direktor oder Arbeitnehmer der Gesellschaft oder eines verbundenen Unternehmens war, (ii) selbst Kontrollaktionär der Gesellschaft ist oder diesen repräsentiert, (iii) insgesamt mehr als zwölf Jahre dem Vorstand oder dem Aufsichtsrat der Gesellschaft angehört hat oder (iv) über eine Festvergütung hinaus eine weitere Vergütung erhält. Auf die so verstandene Unabhängigkeit gilt es bei Besetzung des Nominierungs-, Vergütungs- und Prüfungsausschus¬ZHR 168 (2004) S. 373 (376)ses zu achten; denn alle drei Ausschüsse müssen nach der Vorstellung der Kommission mehrheitlich mit unabhängigen Mitgliedern besetzt sein.14

a) Aus Sicht deutscher Gesellschaften wären diese Anforderungen kaum zu erfüllen. Ursächlich hierfür ist zunächst die quasi-paritätische Mitbestimmung.15 Zwar gebietet das MitbestG nicht die paritätische Zusammensetzung eines vom Aufsichtsrat gebildeten Ausschusses.16 Die vom BGH für den Personalausschuss angedeutete Beweislastregel, der zufolge die Tatsache, dass diesem Ausschuss kein Arbeitnehmervertreter angehört, die Vermutung einer Diskriminierung der Arbeitnehmervertreter begründet,17 dürfte sich indes verallgemeinern und auf andere Ausschüsse übertragen lassen.18 Zumal vor dem Hintergrund, dass sich die Anteilseignervertreter in der Praxis ganz überwiegend scheuen, konfliktträchtige Auseinandersetzungen über die Zusammensetzung ihrer Ausschüsse zu führen und selbst in Prüfungsausschüssen zu paritätischen Lösungen neigen, wäre die Folge, dass ein Gutteil des zulässigen Anteils „abhängiger“ Ausschussmitglieder bereits aus Gründen der Mitbestimmung aufgezehrt wäre. In der Sache vermag die Qualifizierung der Arbeitnehmervertreter als „abhängig“ nicht zu überzeugen. Zwar lassen sich Interessenkonflikte in der Person der Arbeitnehmervertreter nicht leugnen;19 diese erwachsen indes aus dem „natürlichen“ Interesse der Arbeitnehmer an Sicherung der Arbeitsplätze und Optimierung der Arbeitsbedingungen und treten deshalb vor allem im Zusammenhang mit Maßnahmen der Unternehmensleitung und -umstrukturierung zu Tage. Namentlich in Vergütungsfragen20 bilden die Arbeitnehmervertreter dagegen typischerweise ein Gegengewicht zu den Vorstellungen der Vorstandsmitglieder; und im Prüfungsausschuss ist nicht die Unabhängigkeit, sondern allenfalls die Qualifikation das Problem. Selbst der US-amerikanische Sarbanes-Oxley-Act hat deshalb im Grundsatz21 die Mitwirkung der Arbeitnehmervertreter im audit committee ZHR 168 (2004) S. 373 (377)anerkannt, obschon sämtliche Mitglieder dieses Ausschusses unabhängig zu sein haben.22 Aus Sicht der Kommission läge eine entsprechende Einschränkung des Abhängigkeitstatbestands um so näher, als die Mitbestimmung der Arbeitnehmer – wenn auch nur im Sinne einer um eine Auffangregelung ergänzten Verhandlungslösung, nicht dagegen im Sinne einer eigenständigen Mitbestimmungsmodells – auch der SE und der Europäischen Genossenschaft eigen ist und damit inzwischen einen Bestandteil des europäischen Gesellschaftsrechts bildet.23

b) Gleichfalls zu widersprechen ist dem Vorschlag, der Kontrollaktionär und seine Repräsentanten befänden sich in einem ihre Unabhängigkeit beseitigenden Interessenkonflikt.24 Dass eine entsprechende Regelung mit den Grundlagen des Konzernrechts unvereinbar wäre, ist schon verschiedentlich dargelegt worden.25 In der Tat basiert nicht nur im deutschen Recht die Konzernleitung auf dem Einfluss, der der Konzernspitze im Zusammenhang mit der Bestellung und Abberufung der geschäftsführenden Direktoren abhängiger Gesellschaften zukommt. Würde man der Konzernspitze dieses Einflusspotential über eine entsprechend weite Auslegung des Erfordernisses der Unabhängigkeit des Ausschussmitglieds nehmen, wäre letztlich die Grundlage der Konzernleitung beseitigt. Der Kommissionsvorschlag ist denn auch umso bemerkenswerter, als der Aktionsplan an anderer Stelle eine Rahmenbestimmung in Aussicht stellt, der zufolge die „Leitung eines Konzernunternehmens eine abgestimmte Konzernpolitik festlegen und umsetzen darf, sofern die Interessen seiner Mitglieder wirkungsvoll geschützt werden und die Vor- und Nachteile im Lauf der Zeit gerecht auf die Aktionäre des Unternehmens verteilt werden.“26 Hierin kommt die berechtigte Vorstellung zum Ausdruck, dass der Schutz der Minderheitsaktionäre und Gläubiger durch Regeln über das zulässige Maß der Einflussnahme auf die Geschäftsführung, durch Ausgleichsregeln sowie gegebenenfalls durch Austrittsregeln und Durchgriffstatbestände,27 nicht aber durch die Vereitelung der Möglichkeit zur Konzernleitung zu sor¬ZHR 168 (2004) S. 373 (378)gen ist. Dem muss auch im Rahmen des Erfordernisses der Unabhängigkeit der Ausschussmitglieder Rechnung getragen werden: Der Kontrollaktionär als wesentlicher Miteigentümer des kontrollierten Unternehmens hat nachgerade ein „natürliches“ Recht darauf, in dem Prüfungsausschuss und in dem Personalausschuss vertreten zu sein; jedenfalls ist es legitim, dass er selbst auf die Ordnungsmäßigkeit der Rechnungslegung durch seine „Agenten“ hinwirkt und bei der Auswahl der Verwalter seines Vermögens und deren Vergütung mitwirkt. Wer dies anders sieht, verkennt nicht nur Existenz und Wirkungsweise von Konzernen, sondern zugleich die historische Funktion des Aufsichtsrats (und seiner Ausschüsse) als eines Aktionärsausschuss und – damit eng zusammenhängend – die Wertungen des Art. 14 Abs. 1 GG. Auch für das deutsche Konzernrecht hat man darüber nachgedacht, ob nicht der Aufsichtsrat der beherrschten Gesellschaft zumindest über ein „neutrales“ Mitglied verfügen müsse;28 durchgesetzt hat sich diese These, die ohnehin nicht auf den locker geführten Konzern gemünzt war, sondern den Übergang zur „qualifizierten faktischen Konzernierung“ unterbinden sollte, bekanntlich nicht. Damit soll die Existenz von Interessenkonflikten in der Person des Kontrollaktionärs nicht negiert werden. Diese sind vielmehr dem Konzerntatbestand nachgerade immanent; die im Falle des gewöhnlichen Aktionärs berechtigte Vermutung eines Gleichlaufs von Gesellschafts- und Anteilseignerinteressen kann mit Blick auf die außerhalb der Gesellschaft verfolgten wirtschaftlichen Interessen nicht eingreifen. Doch müssen die Konflikte nach Lage der Dinge mit den Mitteln des Konzernrechts bekämpft werden.

c) Der Vorschlag, Vorständen der Gesellschaft oder eines verbundenen Unternehmens bis zum Ablauf einer fünfjährigen „cool-off“-Periode die Unabhängigkeit abzusprechen, greift in die derzeit intensiv geführte Diskussion über Vor- und Nachteile solcher Praktiken ein. Das geltende Aktienrecht schließt es bekanntlich nicht aus, dass Vorstandsmitglieder nach Ablauf ihrer Amtszeit in den Aufsichtsrat gewählt werden.29 Nr. 5.4.2 Deutscher Corporate Governance Kodex, § 161 AktG knüpfen allein an die Tatsache, dass dem Aufsichtsrat mehr als zwei ehemalige Vorstandsmitglieder angehören, die Pflicht zur Verlautbarung dieses Umstands; die Zugehörigkeit von bis zu zwei ehemaligen Vorstandsmitgliedern bleibt de lege lata gänzlich folgenlos, ebenso die Mitgliedschaft in Vorstand oder Aufsichtsrat über einen Zeitraum von mehr als zwölf Jahren. Über die Frage, ob ein Wechsel vom Vorstand in den Aufsichtsrat guter Corporate Governance entspricht, kann man trefflich streiten; Schwarz-Weiß-Malereien dürften insoweit nicht angebracht sein. Dann aber sollte zumindest im derzeitigen Stadium der Diskussion nicht eine (zu) ZHR 168 (2004) S. 373 (379)ambitionierte Kommissionsempfehlung der Debatte ein vorzeitiges Ende bereiten. Entsprechendes gilt für den Vorschlag, dass nicht mehr unabhängig sein soll, wer insgesamt mehr als zwölf Jahre Mitglied des Vorstands oder Aufsichtsrats der Gesellschaft war. Er nimmt zudem keine Rücksicht auf das legitime und wohl auch verfassungsrechtlich abgesicherte Interesse insbesondere eines Großaktionärs, für die Dauer seiner Beteiligung im Aufsichtsrat der Gesellschaft vertreten zu sein, und hat schon deshalb deutlich überschießenden Charakter.

d) Zur Frage der Vergütung der geschäftsführenden und nicht geschäftsführenden Direktoren schließlich hat die Kommission bereits am 23. 2. 2004 ein Konsultationspapier vorgelegt.30 Es befasst sich indes vor allem mit der Offenlegung der Vergütungspolitik und dem Einzelausweis der Vergütung sowie mit der Rolle der Hauptversammlung. Die besondere Problematik einer erfolgsorientierten Vergütung des Aufsichtsrats wird nun in dem Konsultationspapier vom 5. 5. 2004 aufgegriffen. Danach soll als nicht unabhängig gelten, wer über eine Festvergütung hinaus eine zusätzliche Vergütung erhält, etwa in Gestalt einer Teilnahme an einem Aktienoptionsprogramm oder einem anderen erfolgsorientierten Vergütungssystem der Gesellschaft. Was die Einbeziehung von Aufsichtsratsmitgliedern in Aktienoptionsprogramme betrifft, geht das deutsche Recht noch über den Kommissionsvorschlag hinaus, indem es eine solche Vergütung gänzlich verbietet.31 Die Ausgangslage in Bezug auf sonstige Formen einer erfolgsorientierten Vergütung ist dagegen, wie § 113 Abs. 3 S. 1 AktG in aller Deutlichkeit zeigt, eine gänzlich andere.32 Der Deutsche Corporate Governance Kodex empfiehlt sogar erfolgsorientierte Vergütungsbestandteile und regt insoweit auf den langfristigen Unternehmenserfolg bezogene Bestandteile an.33 In der Praxis sind denn auch auf die Dividende oder den Konzerngewinn je Aktie bezogene Tantiemen durchaus verbreitet.34 Die diesbezügliche Offenheit des geltenden Aktienrechts ist nicht zuletzt deshalb bemerkenswert, weil der Aufsichtsrat nach § 171 Abs. 1 AktG auch auf bilanzpolitische Ermessensentscheidungen35 und damit auf die für seine Vergütung maßgebenden Parameter Einfluss nehmen kann. Die auf Aktienoptio¬ZHR 168 (2004) S. 373 (380)nen gemünzte Feststellung des BGH, eine Angleichung der Vergütungsinteressen von Vorstand36 und Aufsichtsrat sei der Kontrollfunktion des Aufsichtsrats u.U. abträglich,37 lässt sich deshalb auf die Vereinbarung von Tantiemen durchaus übertragen. An anderer Stelle wurde bereits dargelegt, dass sich dieser Gefahr bereits de lege lata durch ein aus dem Grundsatz der Funktionstrennung herzuleitendes Verbot übereinstimmender Erfolgsparameter Rechnung tragen lässt.38 De lege ferenda mag das Interesse an einer Effektuierung der Kontrollfunktion des Aufsichtsrats dafür sprechen, von der Zulässigkeit einer erfolgsorientierten Vergütung des Aufsichtsrats Abstand zu nehmen,39 zumal jegliche erfolgsabhängige Vergütung daran krankt, dass sie dem Aufsichtrat gerade dann keine angemessene Entlohnung zu verschaffen vermag, wenn er – wie in der Krise der Gesellschaft – besonders gefragt ist.40 Die zunehmende Einbindung des Aufsichtsrats in die unternehmerische Planung und die damit einher gehende Beratungsfunktion41 dürften dagegen für die Beibehaltung erfolgsorientierter Vergütungsformen streiten. Auch dürfte eine erfolgsorientierte Vergütung eher in der Lage sein, für die Identifizierung der Arbeitnehmervertreter mit dem Unternehmensinteresse und die Überwindung der in ihrer Person anzutreffenden Interessenkonflikte42 zu sorgen.43 Die Diskussion über diese Grundsatzfrage ist hierzulande nicht einmal richtig in ZHR 168 (2004) S. 373 (381)Fahrt gekommen; die angekündigte Kommissionsempfehlung könnte ihr alsbald ein vorzeitiges Ende bereiten.

III. Das Konsultationspapier könnte das Recht des Aufsichtsrats und mit ihm das geltende Konzernrecht in einer Art und Weise verändern, wie es selbst im Zeitalter gesellschafts- und kapitalmarktrechtlicher Jahresgesetze ohne Beispiel ist. Zwar zielt das Vorhaben der Kommission nur auf eine Empfehlung. Die Mitgliedstaaten werden indes der Kommission zum 31. 12. 2005 über die Entwicklung zu berichten haben; auf der Basis des dann zu vermeldenden Ist-Standes wird die Kommission im Laufe des Jahres 2006 prüfen, ob weitere Maßnahmen veranlasst sind. Schon diese Perspektive und der zunehmende Druck, der von dem Kapitalmarkt im Allgemeinen und den institutionellen Investoren im Besonderen auf die börsennotierten Gesellschaften ausgeht, dürften indes ausreichen, um der Empfehlung den seitens ihrer Urheber gewünschten Nachdruck zu verleihen. Zumal vor dem Hintergrund, dass nach der Rechtsprechung des EuGH die nationalen Gerichte gehalten sind, eine Empfehlung im Rahmen der Auslegung des nationalen Rechts zu „berücksichtigen“,44 dürften börsennotierte Gesellschaften gut daran tun, sich auf weitreichende Änderungen des Deutschen Corporate Governance Kodex einzustellen.

Mathias Habersack

1

Mitteilung an den Rat und das Europäische Parlament (KOM [2003] 284 eng.); Abdruck in NZG 2003, Beilage zu Heft 13; dazu etwa Maul/Lanfermann/Eggenhofer, BB 2003, 1289ff.; Wiesner, ZIP 2003, 977ff.; Bayer, BB 2004, 1, , 5ff.; Habersack, NZG 2004, 1.

2

Aktionsplan (Fn. 1), Nr. 3.1.3, NZG 2003, Beilage zu Heft 13, S. 8f.

3

Den Mitgliedstaaten bleibt es selbstredend unbenommen, empfehlungskonforme gesetzliche Vorschriften zu erlassen.

4

Abrufbar unter http://europa.eu.int/internal_market/company/index_de.htm.

5

Auch Art. 39 des Vorschlags für eine Richtlinie über die Prüfung des Jahresabschlusses (abrufbar unter der in Fn. 4 angegebenen Adresse) sieht zwar die obligatorische Einrichtung eines Prüfungsausschusses vor; die geplante Empfehlung zur Stellung unabhängiger Aufsichtsratsmitglieder in börsennotierten Gesellschaften wird jedoch nicht nur vor Verabschiedung der Richtlinie ergehen, sondern in der Frage der Zusammensetzung des Ausschusses deutlich weiter gehende Vorgaben enthalten.

6

Vgl. Ziffer 5.3.2 Deutscher Corporate Governance Kodex und dazu Kremer, in: Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder, Deutscher Corporate Governance Kodex, 2003, Rdn. 687ff.

7

Das Konsultationspapier stellt zudem in Aussicht, dass Gesellschaften mit kleinen Aufsichtsräten auf die Bildung von Ausschüssen verzichten können.

8

Aktionsplan (Fn. 1), Nr. 3.1.3, NZG 2003, Beilage zu Heft 13, S. 8f.

9

Vgl. etwa Handelsrechtsausschuss des DAV, ZIP 2003, 1909, 1910; näher Habersack NZG 2004, 1, 5.

10

Abrufbar unter http://www.sec.gov/rules/final/33-8220.htm; dazu etwa Peltzer, NZG 2004, 509, 510.

11

Abweichend von § 102 Abs. 1 AktG soll die Bestellung für maximal vier Jahre erfolgen.

12

Im Rahmen eines Wahlvorschlags sollen alle anderen nennenswerten Tätigkeitsfelder des Kandidaten (insbesondere anderweitige Mandate) offengelegt werden (vgl. § 125 Abs. 1 S. 3 AktG); der Aufsichtsrat soll jährlich eine entsprechende Liste erstellen und diese im Rahmen seines Jahresberichts veröffentlichen (vgl. § 285 Nr. 10 HGB).

13

Danach soll der Aufsichtsrat evaluieren, ob seine Zusammensetzung dem vorab festgelegten Anforderungsprofil entspricht; dabei sei sicherzustellen, dass der Aufsichtsrat als Ganzes über die erforderliche Bandbreite an Fähigkeiten und Erfahrung verfügt, die erforderlich ist, um die Aufgaben angemessen zu erfüllen. Die Mitglieder des Prüfungsausschusses müssten im Zeitpunkt der Ernennung in der Lage sein, Finanzberichte und Dokumente der Rechnungslegung zu lesen und zu verstehen; zumindest ein Mitglied des Prüfungsausschusses „must have recent and relevant experience which results in the invidual’s sophistication in finance and accounting“, muss also Finanzexperte sein.

14

Vergütungs- und Prüfungsausschuss dürfen zudem auch im Board-System nur mit nicht geschäftsführenden Direktoren besetzt sein.

15

Zu ihr namentlich Ulmer, ZHR 166 (2002), 271ff.; Hanau/Wackerbarth, Unternehmensmitbestimmung und Koalitionsfreiheit, 2004, S. 64ff.; rechtsvergleichende Bestandsaufnahme in Baums/Ulmer (Hrsg.), Unternehmens-Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Recht der EU-Mitgliedstaaten, ZHR-Beiheft 72, 2004.

16

BGHZ 122, 342, 355ff. mit eingehender Darstellung des Meinungsstandes.

17

BGHZ 122, 342, 361f.

18

Vgl. GroßkommAktG/Oetker, 4. Aufl., § 25 MitbestG Rdn. 35; Henssler, FS 50 Jahre BGH, 2000, Bd. 2, S. 387, 397.

19

Ulmer, in: Hanau/Ulmer, MitbestG, 1981, § 25 Rdn. 96ff.; Hanau, ebenda, § 26 Rdn. 23ff.; speziell zu den Gewerkschaftsvertretern Hanau/Wackerbarth, Unternehmensmitbestimmung und Koalitionsfreiheit, 2004, S. 64ff.

20

Auch in Bezug auf die Nominierung geeigneter Vorstandsmitglieder (einschließlich des Arbeitsdirektors) dürften Interessenkonflikte zu vernachlässigen sein.

21

Eine Ausnahme gilt für so genannte „executive officers“, also Angestellte, die unterhalb des Vorstands Leitungsaufgaben wahrnehmen; näher Krause, WM 2003, 762, 770; Kersting, ZIP 2003, 2010, 2012f.

22

Vgl. neben den Nachw. in Fn. 21 noch Altmeppen, ZGR 2004, 390, 393ff.; Atkins, Der Konzern 2003, 260ff.; Henssler, Der Konzern 2003, 255, 257ff.

23

Vgl. Richtlinie 2001/86/EG des Rates v. 8. 10. 2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft (SE) hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer (ABl. EG L 294/22 v. 10. 11. 2001); Richtlinie 2003/72/EG des Rates v. 22. 6. 2003 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Genossenschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer (ABl. EG L 207/25 v. 18. 8. 2003).

24

Zur Kritik an diesem zwar im Abschlussbericht der High-Level-Group (abrufbar unter der in Fn. 4 genannten Adresse), nicht aber im Aktionsplan enthaltenen Vorschlag s. bereits Handelsrechtsausschuss des DAV, ZIP 2003, 1909, 1910; Arbeitsgruppe Europäisches Gesellschaftsrecht, ZIP 2003, 863, 869; Habersack, NZG 2004, 1, 5; Hoffmann-Becking, ZGR 2004, 355, 359f.

25

Vgl. die Nachw. in Fn. 24.

26

Aktionsplan (Fn. 1), Nr. 3.3, NZG 2003, Beilage zu Heft 13, S. 11; näher dazu Habersack, NZG 2004, 7f.

27

Oder Verlustausgleichspflichten nach Art des § 302 AktG.

28

OLG Hamm NJW 1987, 1030 – Banning; ablehnend die ganz h. M., vgl. MünchHdb.GesR/Krieger, Bd. 4 Aktiengesellschaft, 2. Aufl. 1999, § 69 Rdn. 31; Kropff, FS Goerdeler, 1987, S. 259, 266ff.

29

Ganz h. M., vgl. LG München ZIP 2004, 853, 855; MünchKommAktG/Semler, 2. Aufl., § 105 Rdn. 25f.; a.A. Lange NZG 2004, 265ff.

30

Konsultationspapier „Förderung einer geeigneten Regelung für die Vergütung von Direktoren“, abrufbar unter der in Fn. 4 angegebenen Adresse.

31

Vgl. für die Unterlegung mit bedingtem Kapital § 192 Abs. 2 Nr. 3 AktG, für die Unterlegung mit eigenen Aktien § 71 Abs. 1 Nr. 8 S. 5 Halbs. 2 AktG und BGH NJW 2004, 1109; für die Begebung von Wandel- oder Optionsanleihen (insoweit offen gelassen von BGH a.a.O.) sowie für schuldrechtliche Gestaltungen (Phantom Stocks, Stock Appreciation Rights) s. Meyer/Ludwig, ZIP 2004, 940ff., jew.m.w.N.

32

Näher MünchKommAktG/Semler (Fn. 29) § 113 Rdn. 46ff.; Hüffer, AktG, 6. Aufl. 2004, § 113 Rdn. 9.

33

Näher Kremer (Fn. 6), Rdn. 755ff.

34

Vgl. Deutsches Aktieninstitut/Towers Perrin, Empfehlungen zur Aufsichtsratsvergütung, Studien des Deutschen Aktieninstituts, Heft 23, 2003, S. 17ff., 28ff.

35

MünchKommAktG/Kropff, 2. Aufl., § 171 Rdn. 28; Hüffer (Fn. 32) § 171 Rdn. 7; näher Forster, FS Kropff, 1997, S. 71, 84ff.

36

Die Aufhebung des § 86 AktG durch Art. 1 Nr. 4 TransPuG vom 19. 7. 2002 (BGBl. I, S. 2681) hat an der Zulässigkeit einer entsprechenden Vergütung des Vorstands nichts geändert; s. statt aller Hüffer (Fn. 32) § 86 Rdn. 1; zu entsprechenden Vergütungsformen vgl. etwa BGHZ 145, 1, 3 = NJW 2000, 2998; BGH NZG 2003, 535.

37

BGH ZIP 2004, 613, 614; dazu bereits unter I. 2.

38

Habersack, ZGR 2004, Heft 5 oder 6.

39

Vgl. denn auch Hopt JCLS (The Journal of Corporate Law Studies) 2003, 221, 236: „But it is hardly realistic to expect non-executive directors to check the management and its pay if they themselves may benefit from the same source. Again, the German Corporate Governance Code is not up to this when recommending that the members of the supervisory board should also be paid according to the success of their company.“; vgl. auch Peltzer, NZG 2004, 509, 511f. (betr. Aktienoptionen für Vorstandsmitglieder).

40

Zur Intensivierung der Überwachungs- und Beratungstätigkeit des Aufsichtsrats in der Krise vgl. LG Düsseldorf AG 1991, 71; LG Bielefeld ZIP 2000, 23f. mit Anm. Westermann; näher zu Abstufungen der Überwachungspflicht MünchKommAktG/Semler (Fn. 29) § 111 Rdn. 208ff.; ders. AG 1983 141ff.; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 4. Aufl. 2002, Rdn. 87ff.

41

BGHZ 114, 127, 130 = NJW 1991, 1830; BGH 126, 340, 344f. = NJW 1994, 2484; BGHZ 135, 244, 255 = NJW 1997, 1926; ferner Lutter/Krieger (Fn. 40) Rdn. 94ff., MünchKommAktG/Semler (Fn. 29) § 111 Rdn. 246ff.; Hüffer (Fn. 32) § 111 Rdn. 5.

42

Vgl. die Nachw. in Fn. 19.

43

Zu den von den Arbeitnehmervertreter zu leistenden Abführungen an die Hans-Böckler-Stiftung s. aber Köstler/Kittner/Zachert/Müller, Aufsichtsratspraxis, 7. Aufl., 2003, Rdn. 706f.

44

EuGH, Slg. 1989, 4407, 4421 (Tz. 18).

 
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