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ZHR 181 (2017), 737-745
 

Sinn und Unsinn der D&O-Versicherung

I. Die D&O-Versicherung soll Schutz bieten für Vermögensschäden, die durch Pflichtverletzungen eines Organmitglieds des Unternehmens entstehen und für die das Organmitglied von dem geschädigten Unternehmen oder dem geschädigten Dritten auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird. Der Versicherungsvertrag wird von der Gesellschaft als Versicherungsnehmer abgeschlossen und durch ihre Beitragszahlungen finanziert, versicherte Personen und somit Inhaber des Anspruchs gegen die Versicherung auf Abwehrschutz und Freistellung sind dagegen die Organmitglieder.

Dabei spielt in Deutschland der Schutz für den Fall der seltenen Außenhaftung des Vorstands oder Aufsichtsratsmitglieds gegenüber Dritten keine wesentliche Rolle. Im Vordergrund steht in der deutschen D&O-Versicherungspraxis der Schutz der Organmitglieder für den Fall ihrer Innenhaftung gegenüber dem Unternehmen, sei es, dass sie durch ihre Pflichtverletzung dem Unternehmen unmittelbar Schaden zugefügt haben, sei es, dass durch ihre Pflichtverletzung ein Schadensersatzanspruch eines Dritten gegen das Unternehmen ausgelöst wurde. Die Versicherung übernimmt einerseits die Kosten der Verteidigung gegen den geltend gemachten Anspruch, wenn (und solange) sie ihn für unbegründet hält (Abwehrdeckung), und andererseits die Befriedigung des von ihr für begründet erachteten Anspruchs (Schadensdeckung).

Ein merkwürdiges Konstrukt: Die Gesellschaft schließt auf ihre Kosten eine Versicherung zugunsten ihrer Organmitglieder ab und nimmt dadurch die Organmitglieder in Schutz für den Fall, dass diese der Gesellschaft durch Verletzung ihrer Pflichten Schaden zugefügt haben. Das erscheint nicht nur Laien als geradezu sinnverkehrt.1

Dennoch ist die vom Unternehmen finanzierte D&O-Versicherung zum Schutz der Organmitglieder mittlerweile in Deutschland nicht nur weit verbreitet, sondern jedenfalls bei börsennotierten Gesellschaften allgemeiner Standard. Der Versicherungsvertrag wird für das Unternehmen, soweit nicht ausnahmsweise ein Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrats besteht, durch den Vorstand nach eigenem Gusto abgeschlossen, und die Zahlung der Prämien durch die Gesellschaft wird weder aktienrechtlich noch steuerrechtlichZHR 181 (2017) S. 737 (738) als Vergütung der Organmitglieder behandelt. Obwohl Versicherungsentgelte in der Aufzählung des § 87 Abs. 1 AktG als eine der typischen Formen der Vorstandsvergütung genannt werden und nach § 85 S. 1 Nr. 9a HGB in den Gesamtbezügen auszuweisen sind, soll das nicht für die Zahlung der D&O-Versicherungsprämie durch die Gesellschaft gelten. Weder muss der Aufsichtsrat im Hinblick auf die Versicherung der Vorstandsmitglieder noch die Hauptversammlung im Hinblick auf die Versicherung der Aufsichtsratsmitglieder über den von der Gesellschaft den Organmitgliedern gewährten Schutz entscheiden.2 Auch das ist merkwürdig und mag wiederum sinnwidrig erscheinen. Aber nach zu Anfang verbreitet und sogar überwiegend geäußerten Bedenken hat sich diese Auffassung durchgesetzt, allerdings erst als Folge der weiten Verbreitung dieses Schutzes der Organmitglieder. Seit die unternehmensfinanzierte D&O-Versicherung flächendeckend anzutreffen ist, wird sie als ein sozialadäquates Element der sachlichen Ausstattung des Arbeitsplatzes eines Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieds gewertet3 – ein schönes Beispiel für die “normative Kraft des Faktischen”.

Anfangs wurden auch grundsätzliche Bedenken gegen die aktienrechtliche Zulässigkeit der D&O-Versicherung erhoben, da es dem mit der Organhaftung verbundenen Zweck der Schadensprävention entgegenstehe, wenn das schädigende Organmitglied durch die Gesellschaft auf dem Umweg über die Versicherung im Ergebnis haftungsfrei gestellt werde.4 Aber diese Bedenken sind verstummt, seit der Gesetzgeber durch die Einführung des obligatorischen Selbstbehalts in § 93 Abs. 2 S. 3 AktG im Jahre 2009 die D&O-Versicherung mittelbar legitimiert hat.

Auch wenn somit aktienrechtlich die Zulässigkeit der unternehmensfinanzierten D&O-Versicherung gesichert ist, bleibt die Frage, ob es sich um einZHR 181 (2017) S. 737 (739) sinnvolles Schutzkonzept handelt. Zur Rechtfertigung werden häufig die folgenden Argumente genannt:5

– Die in den USA entwickelte D&O-Versicherung (directors and officers liability insurance) hat sich dort bewährt, und ein entsprechender Schutz sollte auch deutschen Vorständen und Aufsichtsräten nicht vorenthalten werden.6

  • Durch den Abschluss der Versicherung erhält das Unternehmen einen solventen “Schuldner”, wenn ihm durch ein Organmitglied ein Schaden zugefügt wird, für dessen Ausgleich das Vermögen des Organmitglieds im Zweifel nicht ausreicht.

  • Ohne D&O-Versicherung ist es kaum noch möglich, Führungskräfte als Organmitglieder zu rekrutieren.

  • Mit Hilfe der Absicherung durch die D&O-Versicherung wird die unternehmerische Risikobereitschaft der Organmitglieder, die für ein erfolgreiches Wirtschaften unverzichtbar ist, gestärkt.

Die Berufung auf die bewährte Praxis in den USA geht schon deshalb fehl, weil im Gegensatz zu Deutschland in den USA die Absicherung der Außenhaftung ganz im Vordergrund steht, während die Organmitglieder von der Innenhaftung für fahrlässige Pflichtverletzungen durch die Gesellschaft freigestellt werden können, was in Deutschland zwingend ausgeschlossen ist.7 Und wenn es darum geht, die Gesellschaft durch Abschluss der Versicherung gegen den Forderungsausfall bei Durchsetzung der Organhaftung abzusichern, kann die Gesellschaft eine Ausfallversicherung in Form der Eigenschadenversicherung abschließen, um das abzudecken, was sie von dem ersatzpflichtigen Organmitglied nicht erlangen kann.8 Richtig ist zwar die Beobachtung, dass es für die Anwerbung von Führungskräften zunehmend notwendig ist, eine D&O-Versicherung anzubieten, aber das ist keine Rechtfertigung der unternehmensfinanzierten D&O-Versicherung, sondern nur die Folge ihrer tatsächlichen Verbreitung. Einzig überzeugend ist das zuletzt genannte Argument, nämlich die D&O-Versicherung als Mittel zur Stärkung der unternehmerischen Risikobereitschaft der Organmitglieder. Wenn dieses Argument zutrifft, steckt darin zugleich eine Kritik an der gesetzlichen Haftungslage, die offenbar auch nach Kodifizierung der Business Judgment Rule nicht derart gestaltet ist, dass sie ausreichend Raum lässt für risikobereites Verhalten der Or-ZHR 181 (2017) S. 737 (740)ganmitglieder.9 Der wirkliche Grund und die einzige überzeugende Rechtfertigung für die unternehmensfinanzierte D&O-Versicherung, wie sie in Deutschland praktiziert wird, liegt in der Tat in den Mängeln der übermäßig strengen Haftungsnorm der §§ 93, 116 AktG, wonach Vorstände und Aufsichtsräte auch für leichteste Fahrlässigkeit und im Umfang unbeschränkt haften und diese Haftung, die auch noch durch die Beweislastumkehr des § 93 Abs. 2 S. 2 AktG verschärft wird, weder vertraglich noch durch Satzungsregelungen beschränkt werden kann. Darauf ist zurückzukommen.

II. Die D&O-Versicherung bietet allzu häufig nur einen trügerischen Schutz – trügerisch für das versicherte Organmitglied, für das geschädigte Unternehmen und nicht selten sogar für beide.

Ein wesentliches Handicap ist nach wie vor trotz möglicherweise vereinbarter Nachmeldefristen10 das claims-made-Prinzip.11 D&O-Versicherungen werden jeweils für ein Jahr abgeschlossen oder verlängert, und der Schutz durch die Versicherung hängt nicht davon ab, ob in dem Jahr der Pflichtverletzung der Versicherungsvertrag bestand, sondern ob der Versicherungsvertrag in dem Jahr besteht, in dem das geschädigte Unternehmen den Ersatzanspruch geltend macht. Wenn das Organmitglied das daraus für ihn erwachsende Risiko absichern will, reicht es nicht aus, wenn die Gesellschaft im Anstellungsvertrag (Vorstand/Geschäftsführer) oder durch die Satzung (Aufsichtsratsmitglied) verpflichtet wird, eine D&O-Versicherung mit angemessener Versicherungssumme abzuschließen und für die Dauer der Tätigkeit des Organmitglieds fortzuführen,12 sondern das Organmitglied muss sich, wenn es ganz sicher gehen will, sogar ausbedingen, dass die D&O-Versicherung für ihn über sein Ausscheiden hinaus für die Dauer der Verjährungsfrist von Organhaftungsansprüchen (fünf bzw. zehn Jahre ab Entstehung des Schadens, § 93 Abs. 6 AktG, § 43 Abs. 4 GmbHG) fortgesetzt wird.13

Häufig erweist sich auch die vereinbarte Versicherungssumme als unzureichend. Das kann daran liegen, dass der Schaden des Unternehmens weitaus größer ist als die vereinbarte Versicherungssumme (so in den besonders spektakulären Fällen der letzten Jahre, z.B. Siemens, BayernLB, MAN). Aber auchZHR 181 (2017) S. 737 (741) wenn die Höhe des Schadens darunter liegt, kann das geschädigte Unternehmen nicht sicher sein, den vollen Schaden ersetzt zu erhalten, und das versicherte Organmitglied kann ebenfalls nicht sicher sein, durch die Versicherung von seiner Haftpflicht in vollem Umfang freigestellt zu werden. Das hat mehrere Gründe: Die D&O-Versicherung wird üblicherweise als Gruppenversicherung abgeschlossen, in deren Schutz alle Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder und meist auch noch die Führungskräfte der nächsten Ebene sowie die Organmitglieder von Tochtergesellschaften einbezogen werden.14 Es kann deshalb sein, dass die für die Versicherungsperiode vereinbarte Deckungssumme bereits durch andere Schadensfälle weitgehend verbraucht ist.15 Zudem ist es häufig so, dass sich der “Topf” schon weitgehend durch Abwehrkosten geleert hat, so dass nur noch ein Teil der Versicherungssumme für die Freistellung des Organmitglieds und die Auskehrung an das geschädigte Unternehmen zur Verfügung steht.16 Im typischen Verfahrensablauf deckt die Versicherung im Interesse des versicherten Organmitglieds zunächst und vorrangig Abwehrkosten und befriedigt erst dann, wenn sich die Abwehr als erfolglos erwiesen hat, mit dem noch verbliebenen Teil der Versicherungssumme den Ersatzanspruch des Unternehmens.17 Wenn man außerdem bedenkt, dass es bei der Inanspruchnahme von Vorstandsmitgliedern wegen pflichtwidriger Geschäfte naheliegend und üblich ist, dass das Vorstandsmitglied allen Aufsichtsratsmitgliedern, die dem Geschäft zugestimmt oder es jedenfalls nicht verhindert haben, den Streit verkündet,18 kann sich die Zahl der Abwehrschutz verlangenden Personen und können sich damit die von der Versicherung aus der Versicherungssumme zu leistenden Verteidigungskosten ganz erheblich erhöhen. Schließlich herrscht auch noch immer rechtliche Unklarheit, wie bei unzureichender Versicherungssumme diese auf mehrere an dem Versicherungsfall beteiligte Organmitglieder zu verteilen ist.19

Nicht zuletzt müssen die versicherten Organmitglieder und das geschädigte Unternehmen damit rechnen, dass die Versicherung mit allen ihr nach den Versicherungsbedingungen zu Gebote stehenden Mitteln (Berufung auf Deckungsausschlüsse und Gestaltungsrechte, Verletzung von Obliegenheiten etc.) versuchen wird, ihre Deckungspflicht ganz oder teilweise in Frage zu stellen. Die Erfahrung zeigt, dass jedenfalls bei großen Schadensfällen regelmäßig nicht die volle Versicherungssumme zur Auszahlung kommt. Dabei kann esZHR 181 (2017) S. 737 (742) sein, dass die Versicherung im Verlauf der Auseinandersetzung ihre Argumente zur Abwehr ihrer Deckungspflicht wechselt, und es soll sogar vorkommen, dass die Versicherung zunächst eine Pflichtverletzung des Organmitglieds bestreitet, um später, wenn sich der Tatbestand einer Pflichtverletzung nicht mehr bestreiten lässt, zu dem Einwand überzugehen, es handele sich um eine wissentliche Pflichtverletzung, für die eine Deckung ausgeschlossen ist.20

III. Die Fülle der Interessenkollisionen und sinnverkehrten Konstellationen, die sich bei der D&O-Versicherung, wie sie in Deutschland praktiziert wird, ergeben können, ist nachgerade sprichwörtlich.21

So können sich im Dreiecksverhältnis von Organmitglied, Unternehmen und Versicherer zum Beispiel Interessenkonflikte und Ungereimtheiten aufgrund der wechselnden Rollen der Beteiligten in den getrennt zu führenden Prozessen zur Haftung des Organmitglieds und zur Deckungspflicht des Versicherers ergeben.22 Im Haftungsprozess kämpft das Organmitglied mit Unterstützung des Versicherers gegen das Unternehmen, und das Unternehmen finanziert diesen Kampf durch seine Prämienzahlungen. Im Deckungsprozess kämpft das Organmitglied als Anspruchsinhaber mit Unterstützung des Unternehmens (und zu dessen Gunsten) gegen den Versicherer. Besonders deutlich wird die wechselnde Rollenverteilung, wenn der Versicherer den zunächst betriebenen Abwehrschutz beendet, aber seine Pflicht zur Schadensdeckung bestreitet. Bis die Zahlungspflicht des Versicherers endgültig feststeht, müssen nicht nur in der Theorie sondern nicht selten auch in der Praxis zwei getrennte Prozesse bis zur Rechtskraft geführt werden.

Eine Vereinfachung kann sich ergeben, wenn das Organmitglied seinen Freistellungsanspruch an das Unternehmen abtritt. Der BGH hat kürzlich diesen Weg erleichtert, indem er zu § 108 Abs. 2 VVG entschieden hat, dass der Versicherer die Abtretbarkeit des Deckungsanspruchs nicht durch seine Allgemeinen Versicherungsbedingungen ausschließen kann.23 Allerdings gilt dieses Klauselverbot, wie sich aus § 210 VVG ergibt, nicht bei sog. Großrisiken,24 und ein Großrisiko ist schon dann gegeben, wenn die geschädigte Gesellschaft zwei der drei niedrigen Kennzahlen erfüllt: mehr als 6,2 Mio. Euro Bilanzsumme, mehr als 12,8 Mio. Euro Umsatz und mehr als 250 Mitarbeiter. Außerdem hilft die Abtretung zwar dem Unternehmen, aber nur bedingt dem in Anspruch genommenen Organmitglied. Das Organmitglied kommt zwar, was die Parteirolle betrifft, aus der Schusslinie, wenn das Unternehmen gegen die Versicherung vorgeht und (vorerst?) von einer Klage gegen das Organmit-ZHR 181 (2017) S. 737 (743)glied absieht. Aber abgesehen davon, dass das Organmitglied in den Deckungsprozess über Auskunftspflichten und andere Obliegenheiten involviert bleibt, wird es durch die Abtretung allein nicht frei von der Haftung. Das Organmitglied kann den Anspruch nur erfüllungshalber abtreten, denn ohne den fortbestehenden Haftungsanspruch gibt es keine Deckung. Was also soll das Organmitglied dazu bewegen, den Freistellungsanspruch abzutreten, wenn es gewärtigen muss, je nach Ausgang des Deckungsprozesses, dessen Führung das Organmitglied durch die Abtretung aus der Hand gegeben hat, vom Unternehmen doch noch verklagt zu werden, weil die Versicherung nicht oder nicht vollständig zahlen muss?25 Vernünftigerweise wird das Organmitglied dazu nur bereit sein, wenn es aufgrund eines Vergleichs mit dem Unternehmen sicher sein kann, von dem Unternehmen nicht mehr weitergehend in Anspruch genommen zu werden.

Bei einer AG bedarf ein Haftungsvergleich zwischen Organmitglied und Unternehmen, und zwar schon ein pactum de non petendo,26 der Zustimmung der Hauptversammlung und kann erst drei Jahre nach Entstehung des Anspruchs abgeschlossen werden, § 93 Abs. 4 S. 3 AktG. Nach den üblichen AVB ist auch die Zustimmung des Versicherers erforderlich, falls sich aus dem Vergleich eine Bindung des Versicherers im Sinne einer Beschränkung seiner Rechte ergibt.27 Auch ohne Einverständnis des Versicherers ist es möglich, dass sich Unternehmen und Organmitglied über den Teil des Schadens vergleichen, der die Versicherungssumme übersteigt. Aber auch im betragsmäßigen Rahmen der Versicherungssumme sollte es möglich sein, dass sich Unternehmen und Organmitglied in einem Haftungsvergleich dergestalt einigen, dass das Unternehmen das Organmitglied von der Haftung für den Differenzbetrag zur Versicherungssumme freistellt, der eventuell am Ende des Deckungsprozesses ungedeckt bleibt, also vom Versicherer nicht geschuldet wird. Der Versicherer wird durch einen solchen Vergleich nicht in seinen Rechten und Verteidigungsmöglichkeiten beschränkt, und er kann jedenfalls seit dem Urteil des BGH vom 13. 4. 2016 den Partnern des Haftungsvergleichs auch nicht entgegenhalten, der Haftungsanspruch werde von dem Unternehmen nicht ernsthaft geltend gemacht.28

Für den Versicherer ergibt sich ein besonders ausgeprägter Interessenkonflikt, wenn das in Anspruch genommene (i.d.R. inzwischen ausgeschiedene) Vorstandsmitglied den Aufsichtsratsmitgliedern den Streit verkündet, um die Weichen für den späteren Gesamtschuldnerausgleich zu stellen (und, soweitZHR 181 (2017) S. 737 (744) die Aufsichtsratsmitglieder noch im Amt sind, sie zu verunsichern und zur Zurückhaltung bei dem Vorgehen gegen das ehemalige Vorstandsmitglied zu gemahnen). Der Versicherer muss dann gleichzeitig für verschiedene versicherte Personen mit widerstreitenden Interessen die Abwehr organisieren und finanzieren.29 Lösbar ist dieser Konflikt, indem von vornherein separate Gruppenpolicen für Vorstand und Aufsichtsrat mit verschiedenen Versicherern abgeschlossen werden,30 aber die dazu propagierten Modelle erhöhen jedenfalls die Kosten für das Unternehmen.

Die D&O-Versicherung kann für das Organmitglied sogar einen schädlichen Effekt haben. Die D&O-Versicherung befördert nämlich Haftungsprozesse, die ohne eine D&O-Versicherung gar nicht stattfinden würden.31 Nach dem Motto “Deckung schafft Haftung” erweist sich die D&O-Versicherung als Treiber von Organhaftungsprozessen. Ohne Versicherung kann sich das Unternehmen angesichts der Kosten und der Prozess- und Reputationsrisiken eines Rechtsstreits mit dem Organmitglied sowie der fehlenden Aussicht auf Beitreibung eines weitgehenden Schadensausgleichs alsbald mit dem Organmitglied vergleichen und eine in Relation zu dem Vermögen des Organmitglieds spürbare, aber nicht ruinierende Ersatzleistung vereinbaren. Wenn dagegen eine D&O-Versicherung besteht, muss das Unternehmen, um an das Geld der Versicherung zu gelangen, das Organmitglied verklagen und mit einer Klageforderung überziehen, die in dieser Höhe beim beklagten Organmitglied niemals beigetrieben werden könnte. Die Einigung auf eine moderat bemessene Ersatzleistung des Organmitglieds kann jedenfalls nach dem bislang herrschenden Verständnis nur gelingen, wenn die Versicherung mitspielt und im Dreiecksverhältnis gleichzeitig ein Haftungsvergleich und ein Deckungsvergleich abgeschlossen werden. Die Vergleichsbereitschaft des Versicherers ist umso geringer, je höher die Versicherungssumme ist, und der Versicherer wird vor allem dann, wenn ihn kein Erstversicherungsinteresse mit dem Unternehmen verbindet, abwarten, was der Haftungsprozess erbringt, um dann im Deckungsprozess die weiteren Einwendungen gegen seine Zahlungspflicht vorzutragen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Versicherung jedenfalls bei hohen Versicherungssummen nicht nur mit einem Versicherer, sondern mit einem Konsortium von Versicherern abgeschlossen wird und die Willensbildung im Konsortium sehr schwerfällig und zeitraubend sein kann. Für das beklagte Organmitglied, z.B. ein ehemaliges Vorstandsmitglied, können sich der über Jahre hinziehende Rechtsstreit und die damit verbundene andauernde negative Publizität geradezu wie ein faktisches Berufsverbot auswirken. In solchen Konstellationen wird die als Segen gedachte Versicherung für die versicherte Person zum Fluch.ZHR 181 (2017) S. 737 (745)

IV. Die D&O-Versicherung ist eine Krücke, ein Notbehelf angesichts einer überschießenden Haftungsnorm. Was nottut, ist eine Korrektur der Organhaftungsregeln, um die Fehlentwicklung der D&O-Versicherung beenden zu können.

Von einigen Autoren wird versucht, die Rigorosität der – anders als z.B. bei Anwälten und Wirtschaftsprüfern – vertraglich nicht beschränkbaren Organhaftung und das daraus folgende Risiko der wirtschaftlichen Existenzvernichtung durch eine sachgerechte Interpretation der ARAG/Garmenbeck-Grundsätze für die Verfolgung von Organhaftungsansprüchen abzumildern.32 De lege ferenda hat der Deutsche Juristentag mit großer Mehrheit eine am Kern des Problems ansetzende Lösung empfohlen: Der Gesetzgeber sollte zulassen, dass die aktienrechtliche Innenhaftung der Organmitglieder durch die Satzung begrenzt wird, indem die Haftung für leichte Fahrlässigkeit ausgeschlossen wird und/oder Haftungshöchstgrenzen eingeführt werden.33 Was bei der GmbH möglich ist, sollte in der Tat der AG nicht verwehrt bleiben. Allerdings wäre es unrealistisch, auf den Gesetzgeber zu setzen und zu erwarten, dass er sich in absehbarer Zeit zu einer solchen Korrektur der gesetzlichen Regelung bewegen lässt. Zu sehr stehen die Organmitglieder der großen Unternehmen wegen der hohen Vorstandsbezüge in der öffentlichen Kritik, als dass maßgebliche Politiker bereit sein könnten, den Vorständen und Aufsichtsräten bei der Organhaftung Entlastung zu verschaffen. Aber die Rechtsprechung könnte den überzogenen Haftungsmaßstab korrigieren und in Anlehnung an die im Arbeitsrecht entwickelten Grundsätze zur begrenzten Haftung von Arbeitnehmern bei “betriebsbedingten” schadenstiftenden Handlungen eine entsprechende Haftungsmilderung für Organmitglieder erreichen. Lange Zeit wurde diese Parallele schlankweg abgelehnt, durchweg nur mit dem zwar zutreffenden, aber nicht ausreichenden Argument, dass Organmitglieder nicht Arbeitnehmer sind. In letzter Zeit hat sich jedoch die Lage im Schrifttum geändert, und es mehren sich die Stimmen, die mit sorgfältiger und überzeugender Begründung für eine entsprechende richterliche Rechtsfortbildung eintreten.34 Es bleibt zu hoffen, dass sie bei unserem obersten Zivilgericht Gehör finden.

Michael Hoffmann-Becking

1

Vgl. Armbrüster, NJW 2016, 897 (“ungewöhnliche Konstellation”); Bachmann, Gutachten zum 70. DJT, 2014, S. E 38 (Kritiker empfinden die Gestaltung als “grotesk”); Bayer/Scholz, NZG 2014, 926, 927 (“Systembruch”); Looschelders/Derkum, ZIP 2017, 1249 (“Gesellschaft unterhält die D&O-Versicherung zu Gunsten ihrer potentiellen Schädiger”).

2

So die heute h.M., siehe die Nachw. bei Hüffer/Koch, AktG, 12. Aufl. 2016, § 93 Rdn. 58, § 113 Rdn. 2a; GroßkommAktG/Hopt/Roth, 5. Aufl. 2015, § 93 Rdn. 454; Spindler/Stilz/Fleischer, AktG, 3. Aufl. 2015, § 93 Rdn. 232 ff.; Karsten Schmidt/Lutter/Krieger/Sailer-Coceani, AktG, 3. Aufl. 2015, § 93 Rdn. 56; für den Regelfall der Gruppenversicherung auch MünchKommAktG/Spindler, 4. Aufl. 2014, § 87 Rdn. 28 und MünchKommAktG/Habersack, 4. Aufl. 2014, § 113 Rdn. 13. Anders soweit ersichtlich nur Seyfarth, Vorstandsrecht, 2016, § 25 Rdn. 50 und Armbrüster, NJW 2016, 897, 900. Zur steuerlichen Behandlung siehe koordinierter Ländererlass des FinMin Niedersachsen v. 25. 1. 2002, DB 2002, 399.

3

Bezeichnend für diesen Meinungswandel ist Henssler in: Henze/Hoffmann-Becking, RWS-Forum 20: Gesellschaftsrecht 2001, 2001, S. 146 vs. S. 162: Erst wenn die D&O-Versicherung üblich geworden ist, ist statt von Vergütung von einem “Fürsorgeaufwand” der Gesellschaft auszugehen.

4

Ulmer, FS Canaris, Bd. II, 2007, S. 451, 462 ff.; ders., ZHR 171 (2007) 119, , 120 f.; Pammler, Die gesellschaftsfinanzierte D&O-Versicherung im Spannungsfeld des Aktienrechts, 2006, S. 47 ff. Zur Verletzung des Präventionszwecks siehe auch Wagner, ZHR 178 (2014) 227, , 272.

5

Vgl. die Zusammenstellung der Argumente bei Ulmer, FS Canaris, Bd. II, 2007, S. 451, 460; v. Schenck, NZG 2015, 494, 495; MünchKommAktG/Spindler (Fn. 2), § 87 Rdn. 25; Hemeling, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 491, 492; Fassbach/Wettich, KSzW 2016, 269, 274 f.; Schüppen/Sanna, ZIP 2002, 550, 551; Looschelders/Derkum, ZIP 2017, 1249, 1250.

6

Deutlich in diesem Sinne Ihlas, Vhdlg. des 70. DJT, 2014, Bd. II/2, S. N120 f.

7

Vgl. Henssler in: Henze/Hoffmann-Becking (Fn. 3), S. 131, 135; Peltzer, NZG 2009, 970, 971; Ihlas, Vhdlg. des 70. DJT, 2014, Bd. II/2, S. N181 f.

8

Pammler (Fn. 4), S. 58 f.; Ulmer, FS Canaris Bd. II, 2007, S. 451, 461; ders. ZHR 171 (2007) 119, , 121.

9

Vgl. KölnKommAktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl. 2010, § 93 Rdn. 244: “Die D&O-Versicherung bildet ein sinnvolles Gegengewicht zu der strengen gesetzlichen Organhaftung.”

10

Siehe dazu v. Schenck NZG 2015, 494, 496, 498; Hemeling, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 491, 495, 501; Krieger/Schneider/Sieg, Hdb. Managerhaftung, 2. Aufl. 2010, § 15 Rdn. 41; Melot de Beauregard/Gleich, NJW 2013, 824, 825.

11

Zur Zulässigkeit des claims-made-Prinzips in den AVB der Versicherungen nach §§ 305c, 307 BGB siehe OLG München NZG 2009, 714.

12

Sog. Verschaffungspflicht, siehe Seyfarth (Fn. 2), § 25 Rdn. 52; Hohenstatt/Naber, DB 2010, 2321, 2324; v. Schenck NZG 2015, 494/495; Hemeling, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 491, 507 f.; ausf. Wansleben in: Behme/Fries/Stark, Versicherungsmechanismen im Recht, 2016, S. 185, 214 ff.

13

v. Schenck, NZG 2015, 494, 499; Seyfarth (Fn. 2), § 25 Rdn. 53.

14

Seyfarth (Fn. 2), § 25 Rdn. 12 ff.; Armbrüster, NJW 2016, 897, 898; v. Schenck NZG 2015, 494, 497; Hemeling, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 491, 493

15

Sailer/Coceani, Referat zum 70. DJT, 2014, S. N11, 12; v. Schenck, NZG 2015, 494, 497.

16

Hemeling, Vhdlg. des 70 DJT 2014, Bd. II/2, S. N198; v. Schenck, NZG 2015, 494, 497; Armbrüster, NJW 2013, 897, 898; Fassbach/Wettich, KSzW 2016, 269, 275.

17

Krieger/Schneider/Sieg (Fn. 10), § 15 Rdn. 48; Böttcher, NZG 2008, 645, 647.

18

v. Schenck NZG 2015, 494, 497; Wettich, AG 2015, 681, 684; Fassbach/Wettich, KSzW 2016, 269, 276 f.; Armbrüster, NJW 2016, 897, 898 f.

19

Dazu Armbrüster, NJW 2016, 897 f.; Seyfarth (Fn. 2), § 25 Rdn. 68 f.

20

Peltzer, NZG 2009, 971, 973.

21

Vgl. Armbrüster, NJW 2016, 897 ff.; Peltzer, NZG 2009, 970, 973 ff.; ders., FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 861, 862; Seyfarth (Fn. 2), § 25 Rdn. 4; Hemeling, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 491, 503 f., 508; Sailer-Coceani, Vhdlg. des 70. DJT, 2014, Bd. II/2, S. N12 f.; v. Schenck, NZG 2015, 494, 497 f.

22

Hemeling, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 491, 508.

23

BGH v. 13. 4. 2016 – IV ZR 304/13, BGHZ 209, 373 = NZG 2016, 745.

24

Harzenetter, NZG 2016, 728, 729; Böttcher, NZG 2008, 645, 646.

25

Armbrüster, NJW 2016, 2155, 2157 r. Sp.; Brinkmann, ZIP 2017, 301, 305; vgl. auch Seyfarth (Fn. 2), § 25 Rdn. 63.

26

GroßkommAktG/Hopt/Roth (Fn. 2), § 93 Rdn. 528; Spindler/Stilz/Fleischer (Fn. 2), § 93 Rdn. 287; KölnKommAktG/Mertens/Cahn (Fn. 9), § 93 Rdn. 171.

27

Nachw. bei Lange, D&O-Versicherung und Managerhaftung, 2014, § 19 Rdn. 26.

28

In diese Richtung gehen die Überlegungen von Lange (Fn. 27), § 21 Rdn. 23 Fn. 47 schon vor BGHZ 209, 373 und von Harzenetter, NZG 2016, 728, 729 l. Sp. im Lichte der BGH-Entscheidung.

29

Armbrüster, NJW 2016, 897, 898 f.; v. Schenck, NZG 2015, 494, 497; Fassbach/Wettich, KSzW 2016, 269, 279.

30

Siehe dazu Reichert/Suchy, NZG 2017, 88 ff.; Armbrüster, NJW 2016, 897, 899; v. Schenck, NZG 2015, 494, 500.

31

Hemeling, Vhdlg. des 69. DJT, 2012, Bd. II/1, S. N31/38; Habersack, ZHR 177 (2013) 782, , 798.

32

Goette, ZHR 176 (2012) 588, , 593; ders., Liber Amicorum Winter, 2011, S. 153, 155 ff.; ders., FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 377, 386 ff.; Reichert, FS Hommelhoff, 2012, S. 907 ff; ders., ZHR 177 (2013) 756 ff.; Paefgen, AG 2014, 554, 571 ff.; Bieder, NZG 2015, 1178.

33

Beschlüsse der Abt. Wirtschaftsrecht in: Vhdlg. des 70. DJT, 2014, Bd. II/2, S. N61 f.

34

Ausf. Begründung bei Bachmann, ZIP 2017, 841 ff. und Wilhelmi, NZG 2017, 681 ff. Zu demselben Ergebnis gelangen andere Autoren unter Bezug auf die Treue- oder Fürsorgepflicht im Verhältnis zwischen Gesellschaft und Organmitglied, insbes. Koch, AG 2012, 429, 435 ff.; ders., AG 2014, 513, 524; Casper, ZHR 176 (2012) 617, , 638 f.; Hopt, ZIP 2013, 1793, 1804; GroßkommAktG/Hopt/Roth (Fn. 2), § 93 Rdn. 398 ff.; Spindler, AG 2013, 889, 894 f.; Peltzer, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 861, 865.

 
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