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ZLR 2019, 339
Unland/Grube 

Doppelstandards bei der Qualität von Lebensmitteln (“Dual Quality”)

“Ich werde nicht akzeptieren, dass den Menschen in manchen Teilen Europas qualitativ schlechtere Lebensmittel verkauft werden als in anderen, obwohl Verpackung und Markenkennzeichnung identisch sind. (. . .) Wir müssen nun die nationalen Behörden mit umfassenderen Befugnissen ausstatten, sodass sie flächendeckend gegen diese illegalen Praktiken vorgehen können.” Mit diesen Worten setzte Jean-Claude Juncker, Präsident der Europäischen Kommission, in seiner Rede zur Lage der Union am 13.9.20171 das politische Fanal, die Regulierung sogenannter Doppelstandards bei der Qualität von Lebensmitteln anzugehen.2 Als prominente Beispiele werden Kaffeeanbieter angeführt, die unter ihrer Marke Kaffee mit unterschiedlichen Koffein- und Zuckergehalten anbieten, oder tiefgekühlte Fischstäbchen, die in verschiedenen Ländern der Europäischen Union unterschiedliche Fischgehalte aufweisen, sowie weiterhin Eistees mit unterschiedlichen Gehalten an Zuckern und Süßungsmitteln.3

Laut Pressemeldung der Europäischen Kommission vom 2.4.20194 haben nun das Europäische Parlament und der Rat eine vorläufige Einigung über ein ganzes Paket regulatorischer Maßnahmen5 erzielt, die eine Stärkung und bessere DurchsetzungZLR 2019 S. 339 (340) von Verbraucherschutzvorschriften bezwecken und u. a. auch Regelungen zu “dualen Qualitäten” bei Verbrauchsgütern beinhalten. Damit wird die Realisierung dieses Gesetzgebungsvorhabens wahrscheinlich. Bereits im September 2017 hatte die Europäische Kommission die “Bekanntmachung zur Anwendung des EU-Lebensmittel- und Verbraucherschutzrechts auf Fragen der Produkte von zweierlei Qualität”6 vorgelegt und für den Umgang mit der Thematik vor allem die harmonisierten Regelungsbereiche der Lebensmittelinformations-Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 sowie die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt (UGP-Richtlinie) identifiziert.

Kern des offenbar nunmehr im Trilog-Verfahren “vorläufig” konsentierten Gesetzgebungsvorhabens ist die Definition einer spezifischen irreführenden Geschäftspraxis in Art. 6 Abs. 2 der UGP-Richtlinie, wonach “jegliche Art der Vermarktung eines Produkts als identisch mit demselben in mehreren anderen Mitgliedstaaten vermarkteten Produkten” als irreführend gilt, wenn “sich diese Produkte in ihrer Zusammensetzung oder ihren Merkmalen wesentlich voneinander unterscheiden”.7 Zur Feststellung eines solchen unzulässigen Doppelstandards hat die bei der EU-Kommission ansässige Gemeinsame Forschungsstelle eine Testmethodik veröffentlicht –,8 mit deren Hilfe nach einem bestimmten Schema Produkte selektiert und untersucht werden sollen, um relevante Unterschiede bei unter gleicher Marke und Aufmachung vertriebenen Lebensmitteln in unterschiedlichen Mitgliedstaaten zu identifizieren. Wird ein Erzeugnis auffällig, so soll der Hersteller konsultiert und nach einer Erklärung für die festgestellten Unterschiede befragt werden. Gelingt dem Hersteller die Exkulpation nicht, soll seine Vermarktungsstrategie als unfaire kommerzielle Praxis von den Behörden verfolgt werden.

ZLR 2019 S. 339 (341)

Der Europäischen Union wird immer wieder vorgeworfen, sie fördere die Zentralisierung und die Gleichmacherei. Mit ihrem Ansatz zur Bekämpfung vermeintlicher Doppelstandards bei der Qualität von Verbrauchsgütern nährt die EU diesen Vorwurf. Denn die Existenz unterschiedlicher Qualitäten bei Produkten, die unter einer Dachmarke angeboten werden, ist zunächst einmal per se nicht verwerflich. So räumt die Europäische Kommission in ihrer Bekanntmachung selbst ein, dass Lebensmittelunternehmer üblicherweise ihre Produkte den Verbraucherpräferenzen und anderen örtlichen Gegebenheiten anpassen. So können die Ernährungsgewohnheiten und Geschmackserwartungen, letztlich also die Verkehrsauffassungen von Region zu Region sehr unterschiedlich ausfallen, was sich auch in der jeweiligen Rechtsetzung widerspiegeln kann. Ferner können sich Verarbeitungserzeugnisse auch aufgrund der regionalen oder saisonalen Verfügbarkeit der eingesetzten Rohstoffe objektiv mit Blick auf die Zusammensetzung oder den Geschmack unterscheiden. Schließlich können auch Unterschiede bei der regionalen Kaufkraft bzw. den regionalen Preisstrukturen Anlass geben, unterschiedliche Rezepturen einzusetzen.9 Diese Gesichtspunkte werden nun voraussichtlich bei der Exkulpation des Lebensmittelunternehmers bzw. bei der rechtlichen Würdigung der Tatbestandsmerkmale “im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände”10 eine Rolle spielen. Die geplante Neuregelung führt jedenfalls dazu, dass Anbieter unterschiedlicher Qualitäten unter einer Dachmarke bzw. bei “identischer”/vergleichbarer Aufmachung der Produkte in dem starken Verdacht einer irreführenden Handlungspraxis stehen.

Für die Überwachungsbehörden, aber auch für Gerichte dürfte es schwierig werden, mit dem neuen Tatbestand einer irreführenden Geschäftspraxis sicher umzugehen, da eine entsprechende rechtliche Bewertung die Erhebung zahlreicher und komplexer Informationen voraussetzt, welche Gegebenheiten in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union betreffen.

Aus rechtlicher Sicht ist bedenklich, dass das Vorhaben eine Art Obligation einführt, mit einer Marke ein bestimmtes Qualitätsversprechen zu verbinden. Marken sind Zeichen, um Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden.11 Damit kennzeichnen Marken die betriebliche Herkunft eines Produktes und treffen grundsätzlich keine Aussage zu einer bestimmten Qualität, wie dies nur ausnahmsweise bei bestimmten geografischen Angaben der Fall sein kann. Die geplante wettbewerbsrechtliche Neuregelung findet so-ZLR 2019 S. 339 (342)mit nicht nur keine Stütze im harmonisierten Lebensmittelrecht, sondern steht auch in einem gewissen Spannungsverhältnis zum harmonisierten Markenrecht.12

Am 1.5.2019 jährte sich zum 15. Mal die Osterweiterung der Europäischen Union um zehn Mitgliedstaaten. Bedenkt man, dass die Forderung nach einer regulatorischen Maßnahme zu Produkten “von zweierlei Qualität” ein Anliegen vor allem Kroatiens, Litauens, Polens, der Slowakei, Tschechiens sowie Ungarns, also der osteuropäischen Beitrittsländer, darstellt, mag es weise sein, dass die Europäische Union diese Forderung aufgreift und umsetzt, um einem Auseinanderdriften der Europäischen Union entgegenzuwirken. Aus rechtlicher Sicht, aber auch mit Blick auf seine Umsetzbarkeit, erscheint das Gesetzgebungsprojekt jedoch fragwürdig.

Abbildung 1

Dr. Petra-Alina Unland, Bielefeld, und Rechtsanwalt Dr. Markus Grube, Gummersbach

1

Zitat laut “Factsheet zur Rede zur Lage der Union 2017 – Lebensmittel von zweierlei Qualität”, https://ec.europa.eu/commission/sites/beta-political/files/dual-food_de.pdf.

2

Im Jahre 2011 hat eine Studie des “Verbandes der Verbraucher in der Slowakischen Republik” ergeben, “dass die Zusammensetzung von sechs Markenlebensmitteln und ihre Preise in sieben EU-Ländern erheblich variieren”. Im Jahr 2015 untersuchte die Universität für Chemie und Technologie Prag die qualitativen Merkmale von 24 Produkten aus dem Einzelhandel Tschechiens und Deutschlands im Vergleich, “um zu bewerten, ob richtige oder falsche Angaben gemacht” werden; “bei einem Drittel der Stichproben wurden erhebliche Unterschiede festgestellt (z. B. war der Hauptbestandteil eines Produkts, das in Tschechien verkauft wurde, Geflügelseparatorenfleisch, während es auf dem deutschen Markt Schweinefleisch enthielt)”, vgl. die Begründung einer “Entschließung des Europäischen Parlaments vom 13. September 2018 zu zweierlei Qualität von Erzeugnissen im Binnenmarkt” (P8_TA-PROV(2018)0357), http://www.europarl. europa.eu/doceo/document/A-8-2018-0267_DE.html?redirect. Die Forderung nach einer regulatorischen Maßnahme “zu dem Problem der Produkte von zweierlei Qualität” wurde offenbar in einem gemeinsamen Schreiben der Republik Kroatien, Litauens, der Republik Polen, der Slowakischen Republik, der Tschechischen Republik und Ungarns vom 23.3.2018 an die Europäische Kommission bekräftigt, vgl. die “Entschließung des Europäischen Parlaments vom 13. September 2018 zu zweierlei Qualität von Erzeugnissen im Binnenmarkt”, http://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-8-2018-0357_DE.pdf, S. 3, dort drittletzter Spiegelstrich.

3

Vgl. wiederum das oben genannte “Factsheet zur Rede zur Lage der Union 2017 – Lebensmittel von zweierlei Qualität” (s. oben unter Fn. 1).

4

Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 2.4.2019 “Neue Rahmenbedingungen für Verbraucher: Europäische Kommission begrüßt vorläufige Einigung über Stärkung der EU-Verbraucherschutzvorschriften”, http://europa.eu/rapid/press-release_IP-19-1755_de.htm.

5

Vgl. den “Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993, der Richtlinie 98/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlament und des Rate sowie der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zur besseren Durchsetzung und Modernisierung der EU-Verbraucherschutzvorschriften” vom 11.4.2018 – COM(2018) 185 final 2018/0090 (COD), https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CE LE X:52018PC0185&from=EN; vgl. weiterhin die Pressemitteilung der Europäische Kommission vom 11.4.2018 “Neue Rahmenbedingungen für die Verbraucher: Kommission stärkt Verbraucherrechte in der EU und ihre Durchsetzung”: Neben der Regulierung von Doppelstandards bei der Qualität von Konsumgütern erhalten be ispie lswe ise bestimmte qualifizierte Einrichtungen die Möglichkeit, Verbandsklagen im Namen von Verbrauchern zu erheben; weiterhin werden im Bereich des Verbraucherschutzes stärkere Sanktionsbefugnisse für Vollzugsbehörden der Mitgliedstaaten eingeführt und die Verbraucher rechte im Online-Bereich ausgeweitet, http://europa.eu/rapid/press-release IP – 18-3041 de.htm.

6

“Bekanntmachung der Kommission zur Anwendung des EU-Lebensmittel- und Verbraucherschutzrechts auf Fragen der Produkte von zweierlei Qualität – Der besondere Fall der Lebensmittel”, Abl. C 327 v. 29.9.2017, S. 1.

7

Vgl. den Entwurf eines neuen Art. 6 Abs. 2 Buchst. c) UGP-Richtlinie gem. dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung u. a. der Richtlinie 2005/29/EG (s. oben unter Fn. 5): “Eine Geschäftspraxis gilt ferner als irreführend, wenn sie im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände einen Durchschnittsverbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst oder zu veranlassen geeignet ist, die er ansonsten nicht getroffen hätte, und Folgendes beinhaltet: (. . .) c) jegliche Art der Vermarktung eines Produkts als identisch mit demselben in mehreren anderen Mitgliedstaaten vermarkteten Produkt, obgleich sich diese Produkte in ihrer Zusammensetzung oder ihren Merkmalen wesentlich voneinander unterscheiden.”

8

Joint Research Centre (JRC), “Framework for selecting and testing of food products to assess quality related characteristics: EU harmonized testing methodology”, https://ec.europa.eu/knowledge4policy/sites/know4pol/files/eu_harmonised_testing_methodology_-_framework_for_selecting_and_testing_of_food_dproucts_to_assess_quality_related_characteristics_0.pdf.

9

Vgl. zu allen vorgenannten “legitimen Faktoren” auch die “Bekanntmachung der Kommission zur Anwendung des EU-Lebensmittel- und Verbraucherschutzrechts auf Fragen der Produkte von zweierlei Qualität – Der besondere Fall der Lebensmittel” (s. oben unter Fn. 6), S. 5.

10

Vgl. den Wortlaut des Entwurfs eines neuen Art. 6 Abs. 2 Buchst. c) UGP-Richtlinie (s. oben unter Fn. 7).

11

Vgl. auch Art. 3 der Richtlinie (EU) 2015/2436 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken.

12

Vgl. dazu näher GRUR “Stellungnahme zum Vorschlag der EU-Kommission vom 11.4.2018 zur Änderung der Richtlinie 2005/29/EG im Hinblick auf Produkte von zweierlei Qualität”, http://www.grur.org/uploads/tx_gstatement/2019-02-11-GRUR-Stn-Vorschlag-EU-KommÄnderung-200529_EG.pdf.

 
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