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ZLR 2024, 477
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Erwartungen der Lebensmittelwirtschaft für die EU-Legislaturperiode 2024 bis 2029: Investitionen, Innovationen, Wettbewerbsfähigkeit, bessere Rechtsetzung und bessere Abstimmung bei Rechtsetzung und -anwendung!

Als der Lebensmittelverband Deutschland vor fünf Jahren seine Erwartungen für die vergangene Wahlperiode unter der Überschrift “Gemeinsam für ein Europa der Vielfalt” formulierte, war zentrales Anliegen das Zurück zu gemeinsamen Lösungen und zur Stärkung des Binnenmarktes. Die Europäische Kommission hatte im Umfeld des Brexit dieses Ziel ein wenig aus den Augen verloren und die Mitgliedstaaten hatten mit ihren immer deutlicheren Bestrebungen zur Renationalisierung von Märkten und der Weigerung, sich in Brüssel auf gemeinsame Lösungen zu verständigen, Anlass zur Erinnerung an die Bedeutung des Binnenmarktes gegeben. Die allesamt unionsrechtswidrigen mitgliedstaatlichen Regelungen zur Herkunftskennzeichnung waren da nur ein Beispiel unter vielen.

Von “Gemeinsam für ein Europa der Vielfalt” zur schnöden Aufzählung der Instrumente und Maßnahmen? Schon vor fünf Jahren standen Investitionen, Innovationen, Wettbewerbsfähigkeit, bessere Rechtsetzung und bessere Abstimmung bei Rechtsetzung und -anwendung als entscheidende Instrumente im Mittelpunkt der Erwartungen der Lebensmittelwirtschaft. Sie tun dies nun erneut und prominent in der Überschrift der Erwartungen der gesamten europäischen Lebensmittelwirtschaft, die für die Legislaturperiode 2024 bis 2029 einen “Fünf-Stufen-Plan” mit genau diesen fünf Instrumenten formuliert hat. Man könnte auch sagen, über das schöne Ziel sollen die entscheidenden Maßnahmen und Instrumente nicht vergessen werden. Erfreulich ist insoweit schon einmal, dass die politischen Leitlinien, mit denen Ursula von der Leyen für die kommende Legislaturperiode antritt, im Wesentlichen die gleichen Ziele, Instrumente und Maßnahmen benennen: weitere Stärkung von Wirtschaft und Binnenmarkt, Unterstützung von Forschung und Innovation und Investitionen in nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen! Es fehlen eigentlich nur die – allzu technischen? – Themen bessere Rechtsetzung und bessere Abstimmung bei Rechtsetzung und -anwendung.

Der Versuch der Kommission, in der nun vergangenen Legislaturperiode u. a. mit dem “grünen Deal” und der “Vom Hof auf den Tisch”-Strategie und der Zielsetzung der Etablierung nachhaltigerer Lebensmittelsysteme wieder stärker zu gemeinsamen Lösungen kommen, war bekanntlich nur mäßig erfolgreich. Das lag auch und vor allem daran, dass ehrgeizige Nachhaltigkeitsziele formuliert worden sind, ohne dass den entscheidenden Erfolgsfaktoren ausreichend Beachtung geschenkt worden ist: Investitionen, Innovationen, Wettbewerbsfähigkeit, bessere Rechtsetzung und bessereZLR 2024 S. 477 (478)Abstimmung bei Rechtsetzung und -anwendung. Um nur einige wenige aber bedeutsame Maßnahmen zu erwähnen: Die Arbeiten am Fundament der neuen Nachhaltigkeitsstrategie, dem Rechtsrahmen für nachhaltige Lebensmittelsysteme, sind ebensowenig abgeschlossen worden, wie die zu den Kennzeichnungsthemen der “Vom Hof auf den Tisch”-Strategie, die erneut vor allem am mangelnden Einigungswillen der Mitgliedstaaten gescheitert sind. Und was beschlossen wurde, war dann auch von eher überschaubarer Bedeutung für die Nachhaltigkeitsziele, wenn nicht gar kontraproduktiv. Das gilt für die Änderungen der Frühstückrichtlinien ebenso, wie für die Richtlinien zu Umweltangaben.

Dabei bleiben die formulierten Nachhaltigkeitsziele natürlich von essentieller Bedeutung. Die Erkenntnis aber, dass Nachhaltigkeit wirtschaftlichen Erfolg der Nachhaltigkeitsverpflichteten voraussetzt, dass Versorgungssicherheit in der Europäischen Union nicht zum Nulltarif zu haben ist, dass Forschung, Entwicklung und Innovation essentielle Voraussetzungen für mehr Nachhaltigkeit sind und den Unterschied machen werden, wenn es um die Verwirklichung von Nachhaltigkeitszielen und -ambitionen geht und dass die Europäische Union und die Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen zu besserer Rechtsetzung und besserer Abstimmung bei Rechtsetzung und -anwendung besser gerecht werden müssen als in der Vergangenheit, müssen dann endlich auch ernst genommen werden und Voraussetzung des Handelns in den kommenden fünf Jahren sein. Deshalb stehen sie im Mittelpunkt der Erwartungen der europäischen Lebensmittelwirtschaft für die kommende Legislaturperiode.

Über die Abstimmung zwischen den Generaldirektionen und die Anwendung des Unionsrechts durch die Mitgliedstaaten wird in Brüssel, darf in Brüssel, so gut wie nicht geredet werden. Das war tendenziell schon immer so und hat sich in den vergangenen Jahren noch verstärkt. Dass aber die besten Absichten des Regelungsgebers nichts nützen, wenn Regelungen nicht abgestimmt beraten werden und dann die Anwendung in den Mitgliedstaaten nicht einheitlich und zutreffend erfolgt, liegt auf der Hand. Hier gibt es deutliches Verbesserungspotential schon bei der Abstimmung innerhalb der Kommission und im Rahmen der Evaluierungen, die in allen Regelungen zwischenzeitlich verpflichtend vorgesehen sind. Diese Aspekte sollten zukünftig ein wichtiger Prüfpunkt sein.

Bei der Rechtsetzung muss durch sorgfältige Folgenabschätzungen und eine intensive Beteiligung der interessierten Kreise geprüft werden, ob und wie die verfolgten Ziele mit den in Aussicht genommenen Instrumenten und Maßnahmen am besten erreicht werden können. Fehlende oder mangelhafte Folgenabschätzungen und die nicht ausreichende Einbeziehung der interessierten Kreise sind ein Hauptgrund für das Scheitern vieler Maßnahmen in der vergangenen Legislaturperiode. Das Thema Höchstmengen für Vitamine und Mineralstoffe war dabei ein Extrembeispiel, wurde doch dreieinhalb Jahre beraten, ohne dass auch nur ein Wort an die interessierte Öffentlichkeit gelang. Es ist deshalb gut, dass das Vorhaben, sich mit den Mitgliedstaaten auf einen Ansatz zu verständigen, bevor dieser auch nur “ansatzweise” mit denZLR 2024 S. 477 (479) interessierten Kreisen auch im Hinblick auf seine Folgen für Wirtschaft und Verbraucher diskutiert worden ist, gescheitert zu sein scheint.

Die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit gerade der 95 % KMU in der Lebensmittelwirtschaft muss das zentrale Anliegen für die Politik überhaupt sein. Nicht erst seit den Schlussfolgerungen des Rates vom 24.5.2024 für “Eine wettbewerbsfähige europäische Industrie als Motor für unsere grüne, digitale und widerstandsfähige Zukunft” ist das eine wichtige Erkenntnis. Nun muss es darum gehen, dieses Ziel auch ernst zu nehmen – und da sind Evaluierungen aller bestehenden und entsprechende Folgenabschätzungen und Bewertungen auch für alle zukünftigen Regelungen ein wichtiger Baustein: Was genau kostet eine neue Verpflichtung, welcher Euro “alte” Bürokratiekosten wird für welchen Euro “neue” Bürokratiekosten abgeschafft, wie hoch ist genau der bürokratische Aufwand, und was bringt eine Regelung für die Ziele der Lebensmittelsicherheit, der Versorgungssicherheit und der Nachhaltigkeit? Die Risikobewertung als notwenige Voraussetzung für Regelungen im Lebensmittelrecht gibt es seit 2002, es ist Zeit für eine entsprechende Verpflichtung auf eine “Nachhaltigkeitsbewertung”, die alle drei Säulen der Nachhaltigkeit berücksichtigt, die wirtschaftliche, soziale und die umweltbezogene. Spezifische KMU-Tests müssen ebenso ernst genommen werden, bisher wurden sie es nicht.

Und schließlich sind Investitionen und Innovationen wichtige Bausteine für nachhaltigere und zukunftssichere Lebensmittelsysteme. Forschung und Entwicklung müssen auch finanziell unterstützt werden, denn ohne Innovation wird es die gewünschten Nachhaltigkeitseffekte nicht geben. Auch sind die bürokratischen Hürden und Kosten für die Zulassung innovativer Techniken und Erzeugnisse im weltweiten Maßstab immer noch deutlich zu hoch und verhindern Lösungen eher als sie zu fördern. Zulassungsverfahren müssen weniger aufwendig und Engpässe etwa bei der wissenschaftlichen Bewertung müssen überwunden werden. Ein einheitliches Zulassungsverfahren für alle zulassungsbedürftigen Erzeugnisse könnte ein Mittel sein, das schnellere Verfahren ermöglicht. Oftmals funktionieren freiwillige Lösungen deutlich besser als Vorgaben des Gesetzgebers. All das setzt schließlich auch eine noch bessere Abstimmung auf Brüsseler Ebene voraus, denn auch in der Kommission wurde bislang oft in “Silos” gedacht und gearbeitet.

Die Erwartungen sind formuliert, die Instrumente liegen bereit, jetzt müssen sie nur noch Verwendung finden.

Rechtsanwalt Peter Loosen, LL.M., Brüssel

 
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