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ZLR 2020, 585
Mrohs 

Schlank ohne Werbung?

Großbritannien ist in den letzten Jahren nicht unbedingt der Hort weiser politischer Entscheidungen, wie die Beschlüsse zu Brexit und die damit verbundenen langwierigen und andauernden Verhandlungen gezeigt haben, und manches ist anders in diesem Land als im Rest Europas.

Umso erstaunter kann man sein, dass politische Aktivitäten im Vereinigten Königreich nach wie vor einen großen Einfluss auf das Geschehen in der restlichen EU zu haben scheinen. So löste eine britische Regelungsinitiative zum Thema Werbung in den vergangenen Wochen eine von den Grünen angeschobene Diskussion auch in Deutschland aus.

Um was geht es? Es geht, wie so oft, um Übergewicht bei Kindern, ein tatsächlich ernst zu nehmendes Problem, von dem vor allem Großbritannien stark betroffen ist. Als eine Lösungsmöglichkeit hatte man dort bereits 2007 ein Werbeverbot für Produkte festgelegt, die einen hohen Gehalt an Salz, Fett oder Zucker aufweisen. Für solche Produkte darf in an Kinder gerichteten TV-Programmen und in den angrenzenden Programmen im Vereinigten Königreich nicht geworben werden. Kinder sind dabei definiert als “unter 16 Jahre”. Auch Sender, die sich speziell an Kinder richten, dürfen generell keine Werbung für solche Produkte ausstrahlen. Nach nunmehr 13 (!) Jahren musste man feststellen, dass sich diese Regelungen bisher nicht auf die Gewichtssituation der Kinder in Großbritannien ausgewirkt haben (nicht verwunderlich, wenn man weiß, dass hier viele Ursachen zusammenwirken). Eigentlich müsste man erwarten, dass nunmehr ein Prüfungsprozess einsetzt, wie ursachenrelevant Werbung tatsächlich in dem multikausalen Ursachengeflecht für Übergewicht insbesondere auch bei Kindern ist, und möglicherweise müsste die Frage gestellt werden, ob man hier nicht an falscher Stelle angesetzt hat. Nicht so die Briten: Der nicht effektiven Maßnahme sollen jetzt vielmehr weitere Restriktionen in der Werbung folgen, die voraussichtlich allerdings auch nicht effektiver sein werden.

Angefeuert durch die Covid-19-Situation und einem schweren Verlauf dieser Krankheit bei dem leicht übergewichtigen Premierminister, sieht dieser sich nun aufgerufen, dem Risikofaktor Übergewicht bei Covid-19 die Stirn zu bieten. Und die Lösung liegt – man glaubt es kaum – mal wieder im Bereich Werbung: Für die so genannten HFSS-Produkte, d. h. solche mit hohen Gehalten an Salz, Fett und Zucker (wie hoch eigentlich?), soll im TV und online vor 21:00 Uhr nicht mehr geworben werden dürfen. Wie eine solche Regelung im Internet durch- und umgesetzt werden soll, ist derzeit noch unklar, eine Lösung soll aber bis spätestens Ende 2022 gefunden werden.

17 (!) Kalorien pro Tag und Kind sollen damit eingespart werden, belegen nach Aussagen des britischen Industrieverbandes1 die im Vorfeld von der britischen Regi-ZLR 2020 S. 585 (586)erung in Auftrag gegebenen Studien. Andere kommen zu dem Ergebnis, es seien gar nur 1,7 Kalorien.2 Die Autorin hat das Rechenexempel nicht selbst überprüft, fügt aber in der Fußnote einen Link zu den Studien der britischen Regierung hinzu für diejenigen, die es nachrechnen möchten.3 Ein bis zwei Schokolinsen pro Tag oder zwei bis drei Pommes Frites werden hier also eingespart mit einer die Wirtschaft in schwieriger Zeit treffenden, tiefgreifend einschränkenden Maßnahme. Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit scheinen dabei völlig aus dem Blickwinkel geraten zu sein. Schon drei bis fünf Minuten Gehen pro Tag hätten (mindestens) denselben Effekt und wären in der bewegungsarmen Zeit der Corona-Krise mindestens ebenso wünschenswert. Während Sporthallen in Schulen dem Verfall ausgesetzt sind, dem Sportunterricht nur wenig Aufmerksamkeit von Seiten der Politik gewährt wird, sollen 17 Kalorien weniger pro Tag nun die Lösung (näher) bringen – jeder, der schon einmal eine Diät gemacht hat, weiß um die Sinnhaftigkeit eines solchen Vorgehens. Schlanker wird man davon (leider) nicht!

Und was passiert in Deutschland? Die Grünen – inzwischen erholt von ihrem Veggie-Day-Desaster – sehen hier eine neue Möglichkeit, ihren Ernährungsvorstellungen politische Aktivitäten folgen zu lassen, und fordern ähnliche Verbote auch für Deutschland. Und die zuständige Bundesministerin Julia Klöckner zeigt sich “offen” für solche Vorstöße.

Dabei müssten sie es doch besser wissen: Deutschland ist kein rechtsfreier Raum, was Werbung gegenüber Kindern betrifft. Gerade hinsichtlich Gesetzen zur Werbung mit Blick auf Kinder ist Deutschland besonders streng und zum Beispiel eines der wenigen Länder, in dem Kindersendungen im Radio und Fernsehen durch Werbung nicht unterbrochen werden dürfen. Diese Regelung im Rundfunkstaatsvertrag (jetzt Medienstaatsvertrag) wurde zusätzlich zu den entsprechenden europäischen Vorgaben eingeführt. Für alle Medien gelten die Gebote der Trennung von Werbung und Programm und der Erkennbarkeit von Werbung. Um insbesondere kleineren Kindern deutlich zu machen, wann es sich um Werbung handelt, kennzeichnen die im Verband Privater Rundfunk und Telemedien e. V. (VPRT) zusammengeschlossenen privaten Fernsehanbieter in Absprache mit den Landesmedienanstalten zusätzlich ihre Werbeblöcke im Umfeld von Kinderprogrammen am Anfang und am Ende durch einen audiovisuellen Trenner. Wenn Kinder angesprochen werden, muss eine altersgerechte Gestaltung und Platzierung erfolgen. Insbesondere für die Online-Werbung wurde hierzu unter Beteiligung der Lebensmittelwirtschaft ein Kriterienkatalog erarbeitet, der einzuhalten ist.

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Es dürfen keine unmittelbaren Kaufappelle an Kinder gerichtet werden, wie “Kauf dir das” oder “Hol dir das”. Jede Ausnutzung von geschäftlicher Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit ist gesetzlich untersagt. Ebenso verboten ist auch, Kinder in der Werbung zu motivieren, ihre Eltern oder Erwachsene zum Kauf zu überreden. Hinzu kommen die Regelungen des UWG und eine Vielzahl spezialgesetzlicher Vorgaben, die dem Lebensmittelrechtler wohl bekannt sind (siehe z. B. EU-Claims Verordnung (EG) Nr. 1924/2006).

Daneben gibt es verschiedene freiwillige Selbstverpflichtungen der Wirtschaft. So haben verschiedene Unternehmen sich im sog. EU-Pledge verpflichtet, gegenüber Kindern bis zwölf Jahren nur dann zu werben, wenn ein Produkt alle Nährwertkriterien des EU-Pledge für die entsprechende Produktkategorie einhält. Einige Unternehmen verpflichten sich zudem, generell keine Werbung an Kinder unter sechs Jahren bzw. an Kinder unter zwölf Jahren zu richten. Die am EU-Pledge beteiligten Unternehmen repräsentieren über 80 Prozent der Werbeausgaben für Lebensmittel und Getränke in der EU.

Die Verhaltensregeln des Deutschen Werberats über sämtliche Formen der Kommunikation für Lebensmittel beinhalten Vorgaben für speziell an Kinder gerichtete Lebensmittelwerbung. Danach ist alles zu unterlassen, dass als Aufforderung zu einer übermäßigen und einseitigen Ernährung verstanden werden könnte. Nicht zulässig ist auch eine Verbindung zwischen dem Konsum des Lebensmittels und einem dadurch verbesserten sozialen oder schulischen Erfolg herzustellen. Grundsätzlich soll dem Erlernen eines gesunden aktiven Lebensstils und einer ausgewogenen Ernährung mit Werbung nicht entgegengewirkt werden und die Rolle der Eltern oder Erziehungsberechtigten für eine ausgewogene gesunde Ernährung der Kinder darf nicht untergraben werden.

Und damit sind wir schon bei den wichtigsten Playern in diesem Spiel: nämlich den Eltern und Erziehungsberechtigten. Sie haben das Recht und die Pflicht, ihre Kinder zu erziehen, und dazu gehört auch die Ernährungsbildung und das Erlernen des Umgangs mit Werbung und – um ehrlich zu sein – auch einmal “nein” zu sagen.

Dazu kommt Folgendes: Die meisten Eltern wissen, dass Kinder unter zwölf Jahren selten bis gar nicht den Lebensmitteleinkauf für die Familie erledigen (manche berufstätige Mutter würde sich es wünschen) – nein, in der Regel entscheiden die Eltern darüber, was auf den Tisch kommt. Mit ihrem durchschnittlich täglich zur Verfügung stehenden Geld in Höhe von 1,20 Euro (Taschengeld und Geldgeschenke, siehe Kinder-Medien-Studie 2019), das sie nicht nur für Lebensmittel, sondern auch für andere kindliche Interessen, wie Spielzeug oder Handy ausgeben, können Kinder keinen maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung ihres Körpergewichts nehmen.

Und hier greift auch der Bildungsauftrag: Neben den Eltern können und sollten auch Schule und Kindergarten eine wichtige Rolle im Bereich Lebensbildung übernehmen, nämlich die Vermittlung von Medienkompetenz im umfassenden Sinne. DazuZLR 2020 S. 585 (588) gehört auch, mit den Anforderungen des realen Lebens, in dem in unserer sozialen Marktwirtschaft Werbung unverzichtbar hinzugehört, zurecht zu kommen und sich zurecht zu finden. Der Umgang mit und die Einordnung von Werbung muss im jugendlichen Alter erlernt werden, um dann als Erwachsener souverän und selbstbestimmt auch in einem werblichen Umfeld eine eigene Kaufentscheidung treffen zu können. Wir erwarten von unseren Kindern eine große Lernfähigkeit in vielen Bereichen – trauen wir ihnen auch dieses zu!

Rechtsanwältin Angelika Mrohs, Bonn

1

www.fdf.org.uk/news.aspx?article=8328.

2

www.adassoc.org.uk/resource/advertising-matters-14-08-20/.

3

assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/770705/impact-assessment-for-restricting-volume-promotions-for-HFSS-products.pdf, assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/770706/impact-assessment-restricting-checkout-end-of-aisle-and-store-entrance-sales-of-HFSS.pdf, assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/786554/advertising-consultation-impact-assessment.pdf.

 
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