R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
Logo ruw-online
Logo ruw-online
Suchmodus: genau  
 
 
ZNER 2012, 451
Becker 

Editorial

Die Liberalisierung der Energiemärkte und die Energiewende sind auch gigantische ABM-Maßnahmen. Das gilt auch für die europäische Ebene, die vor der Aufgabe steht, die Energiemärkte für den grenzüberschreitenden Handel zu öffnen. Nötig sind nicht nur integrierte Netze, die nach einheitlichen Regeln funktionieren müssen, sondern auch die fortschreitende Öffnung der Grenzen für den Energiehandel, die allerdings von den nationalen Energie-Champions abgewehrt wird und daher nur langsam vorankommt. Bei der Netzinfrastruktur ist hingegen von Vorteil, dass sie nicht nur durch gleichmäßige technische Anforderungen, sondern auch durch den „öffentlichen“ Charakter dieser Infrastrukturen geprägt ist. Für die 27 EU-Mitgliedstaaten gilt darüber hinaus der „third party access“ nach einheitlichen Regeln.

Mit dem Erzeugungsprozess für einheitliche Netznutzungsregeln befasst sich der Aufsatz von Fischerauer über die Ausarbeitung europäischer Netzkodizes im Energiesektor. Der dritte Binnenmarkt für den Energiesektor aus dem Jahr 2009 hat dafür einen neuen Rahmen geschaffen. Die Betreiber von Übertragungs- und Fernleitungsnetzen sind zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in einem europäischen Verbund der Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO Strom) und Fernleitungsnetzbetreiber (ENTSO Gas) verpflichtet. Die Erarbeitung der Regeln erfolgt in einem zunächst selbstverwalteten Prozess, der aber von der Kommission, vom Parlament und vom Rat „approbiert“ wird. So steht der Erzeugungsprozess zwischen Regulierung und Selbstregulierung, wie der Autor richtig schreibt. Rechtstheoretisch ist auch der Charakter der Regelungen sehr interessant, weil die Normen zwar herkömmlich als soft law bezeichnet werden. Ihre Bindungswirkung für die Betreiber der Netze und ihre Nutzer gibt ihnen aber eine Verbindlichkeit, die im Prozess zur richterlichen Überprüfung wie bei Normen führen würde. Daher ist der Vorgang der Normerzeugung nicht nur auf die Sachkunde der Teilnehmer angewiesen, sondern auch auf Akzeptanz. Je besser das gelingt, desto höher die Standfestigkeit. Die Zusammenhänge stellt der Autor höchst transparent und verständlich dar.

Mit den nationalen Anforderungen an den Infrastrukturausbau in der Energiewende befasst sich Krawinkel, der trotz seiner leitenden Stellung in der Verbraucherzentrale Bundesverband weit über die Interessen der Verbraucher hinausgreift. Er zeigt vielmehr auf, in welch hohem Ausmaß die Veränderung vorhandener und die Schaffung neuer Infrastrukturen auf klare planerische Vorgaben und Verfahren angewiesen ist. Dabei legt der Autor den Finger auf eine der brisantesten Baustellen der Energiewende, nämlich deren Kosten. Sie könnten deutlich gebremst werden, wenn für den Zubau von Windstromerzeugung als Eckpfeiler erneuerbaren Stroms die vorhandenen Onshore-Zubaupotentiale ausgeschöpft würden, statt so stark wie derzeit beobachtbar auf Offshore-WKAs zu setzen. Offshore-Strom ist in weitaus größerem Ausmaß als Onshore auf learning-by-doing angewiesen und nicht nur deswegen weit teurer. Es ist auch gerade der Offshore-Zubau, der die ausgedehnten Netzzubauten erfordert. Dazu ist eine dem Aufsatz beigegebene Tabelle höchst aufschlussreich, nämlich die über die angemeldete Wind-Onshore-Kapazität und das Potential. Das Letztere liegt mehr als doppelt so hoch wie die Anmeldungen und mehr als sechsmal so hoch wie die installierte Leistung (30 GW Mitte 2012). Für die erforderlichen Planungsprozesse verweist Krawinkel richtigerweise auf die Länder, bei denen die Regionalplanung als Infrastrukturplanung am besten entwickelt ist. Gefordert wird ein Landesinfrastrukturplan, für dessen Erarbeitung Bürgerbeteiligung – unter starker Betonung der kommunalen und regionalen Planungen – nötig ist. Eine derartige Planung beschafft „vor Ort ein Höchstmaß an Transparenz und Legitimation“.

Auch der Entscheidungsteil ist ein Indikator für die Komplexität der Energiewende, die sich – wie eine aktuelle Zählung ergeben hat – auf über 150 Regelwerke mit ca. 10.500 Paragrafen stützt. Viel Streit und eine Entscheidungsflut sind die Folge. Zum Abdruck standen an knapp 50 Entscheidungen. Die Redaktion hat sich entschieden, aus diesem Angebot 25 Entscheidungen abzudrucken, einige in das Internet zu stellen und eine neue Kategorie aufzumachen, in der die nicht abgedruckten Entscheidungen mit Leitsätzen aufgeführt werden. Die Redaktion freut sich über Rückmeldungen zu diesem Vorgehen.

Peter Becker

 
stats