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ZNER 2014, 5
Becker 

Editorial

Energiewende, die Zweite

Schon Heft 6/2013 war ein Schwerpunktheft zur Reform des EEG. Es diente der Vorbereitung der Konferenz am 10. Dezember, die die ZNER zusammen mit dem IK Stromerzeugung veranstaltet hat – nach allgemeiner Meinung eine interessante und gelungene Konferenz. Vorbereitende Beiträge hatten sich bereits in Heft 6 gefunden. Der einleitende Beitrag hieß: „Die Stromwende: Start, Status, Probleme, Lösungswege“. „Stromwende“ deswegen, weil die Diskussion sich auf den Umbau des Stromerzeugungssystems konzentriert, während die beiden anderen Standbeine der Energiewende – Energieeffizienz und Mobilität – derzeit eher am Rande mitschwimmen. In diesem Heft sind die zentralen Einzelthemen zu finden.

Die Regierungsbildung enthielt ja einen echten Coup: Die Bestellung des SPD-Vorsitzenden zum „Superminister“ für Wirtschaft und Energie, der die Ressorts im Wirtschaftsministerium konzentriert. Diese Entscheidung war in der Branche seit langem herbeigesehnt worden. Kaiser, leitender Mitarbeiter des Umweltministeriums, hatte die Anforderungen bereits in ZNER 2013, 107, zitiert. Gabriel traf auch sehr schnell zwei wichtige Entscheidungen: Zum einen die Bestellung von Rainer Baake zum beamteten Staatssekretär im Wirtschaftsministerium. Baake hatte schon als hessischer Umwelt-Staatssekretär den Atomausstieg vorbereitet, für den ihm allerdings die Zuständigkeit fehlte. Mit der ersten rot-grünen Regierung 1998 wurde er Staatssekretär im Bundesumweltministerium unter Jürgen Trittin. Von 2006 bis 2012 war er Geschäftsführer des Verbandes Deutsche Umwelthilfe, dann Direktor der Initiative Agora Energiewende, die Anfang 2012 von der Stiftung Mercator und der European Climate Foundation ins Leben gerufen wurde. Dass sich Gabriel ausgerechnet einen Politiker der Grünen als Staatssekretär auserkor, ist unter mehreren Aspekten ein Signal: Baake ist fachlich hoch versiert und Profi im Politikgeschäft. Als Grüner wird es ihm gelingen, mit den acht Landesregierungen, an denen die Grünen beteiligt sind, vertrauensvoll zu reden. Das muss er auch, weil sich Gabriel angesichts des engen Zeitplanes für das weitere Management der Energiewende keinen Konflikt mit dem Bundesrat leisten kann. Deswegen könnte es durchaus zu einer Umweltministerkonferenz unter Bundesführung kommen.

Die zweite schnelle Entscheidung war die Vorlage der „Eckpunkte für die Reform des EEG“ am 17. Januar 2014. Da war er gerade einen Monat im Amt. Diese Eckpunkte, inzwischen vom Kabinett als „Eckpunkte Meseberg“ einstimmig beschlossen und in diesem Heft abgedruckt, lösten freilich eine heftige Kontroverse aus. Denn mit den Eckpunkten tritt Gabriel nicht nur den Verbänden der Erneuerbaren auf die Füße, sondern auch der Industrie (vgl. WamS 02.02.2014). Einen sehr interessanten Überblick über die Probleme hat Franzjosef Schafhausen geschrieben, „Graue Eminenz“ im Bundesumweltministerium. Sein Aufsatz ist aus einem Vortrag auf der Jahrestagung des Berliner Instituts für Energie- und Regulierungsrecht (Prof. Säcker) entstanden.

Die Eckpunkte enthalten mehrere interessante und sehr folgenreiche Neuerungen – aber auch schwarze Löcher. Zu den Neuerungen zählt die stärkere Verzahnung des EE-Anlagenzubaus mit dem Netzausbau. Der Zubau geht schneller als der Netzausbau. Die Verzahnung ist nicht nur geboten, sondern auch rechtlich zulässig, wie der Frankfurter Professor Georg Hermes auf der Berliner Konferenz aufzeigte, Autor einer grundlegenden Habilitationsschrift über Staatliche Infrastrukturverantwortung.

Für den EE-Zubau sehen die Eckpunkte „Ausbaukorridore“ vor. Beim Thema PV wird an den bisherigen Regelungen festgehalten, die noch zusammen mit Wirtschaftsminister Rösler festgelegt worden waren. Die Neuerungen sind: Der Freiflächenzubau wird zurückgefahren. Soweit Freiflächenprojekte auf den Weg gebracht werden, soll die richtige Vergütungshöhe zukünftig mittels Ausschreibung festgelegt werden. Mit den Problemen der Ausschreibung befasst sich ein Aufsatz von Nicolai Herrmann von Enervis. Die Eigenerzeugung, die durch den Modul-Preisverfall deutlich günstiger geworden ist als der Direktbezug vom Versorger, wird damit rechnen müssen, dass ein Netzentgeltanteil aufgeschlagen wird. Insgesamt heftige Restriktionen, die PV als bisher so erfolgreiche Ausbaulinie empfindlich beeinträchtigen.

Zumindest genauso weitreichend sind die Restriktionen bei Wind onshore. Wind offshore wird praktisch nicht angetastet, auch wenn der Zubau gedeckelt wird. Das dürfte damit zusammenhängen, dass Wind offshore vom Energiekonzept der Bundesregierung 2010 als Integrationsangebot an die Stromkonzerne gedacht war, wofür freilich auch die Kapitalkraft der Konzerne spricht. Zusammen mit dem erforderlichen Netzausbau ist der Zubau von Wind offshore die deutlich teurere Technologielinie.

Wind onshore wird hingegen richtig in die Mangel genommen. Es wird ein jährlicher Zubau von – nur noch – 2.500 MW angestrebt. Dabei handelt es sich aber wohl nur um eine Hausnummer: Klar ist, dass sich die Windkraftländer – Schleswig-Holstein, Niedersachsen und die neuen Länder – auflehnen. Thorsten Albig/Kiel redete gar von „Sozialismus“. Da Gabriel auf Einigkeit setzt, wird hier noch einiges an Veränderungen durchgesetzt werden. Aber die andere Neuerung, der „atmende Deckel“ (wie bei PV), wird wohl beibehalten. Er soll mit der automatischen Anpassung von Fördersätzen dafür sorgen, dass der tatsächliche Ausbau den vorgesehenen Pfad erreicht. Damit wird klar: Die Einspeisevergütung ist das Steuerungsinstrument. Der „Deckel“ wird nicht rechtlich verbindlich, was wegen der denkbaren Grundrechtseingriffe auch rechtlich schwierig wäre.

Ein weiterer Schlag ereilt die Bioenergie. Der jährliche Zubau soll auf höchstens 100 MW beschränkt werden und überwiegend auf Basis von Abfall- und Reststoffen erfolgen. Schon jetzt steht deswegen Bayern auf der Matte.

Aber auch die Industrie bekommt ihr Fett weg. Die wichtigste Einschränkung liegt in der – ausgeuferten – Privilegierung stromintensiver Unternehmen, zu denen auch Straßenbahnen, Golfplätze und die Stromkonzerne selbst zählten. Die Einschränkung ist vor dem am 18. Dezember von der Kommission eröffneten Beihilfeverfahren auch unerlässlich. Interessant war, dass in den letzten Tagen auch RWE-Chef Peter Terium die Industriekollegen warnte. Mit den Problemen befasst sich der Aufsatz von Frenz in diesem Heft. Er räumt dem Beihilfeverfahren keine großen Chancen ein – was die Bundesregierung erfreuen dürfte.

Auf der Streichliste steht auch das Grünstromprivileg. Nach dieser Regelung ist ein „Grünstromhändler“ vollständig von der EEG-Umlage befreit, auch wenn sein Portfolio lediglich zu 50 Prozent plus X aus EE-Strom besteht.

ZNER 2014 S. 5 (6)

Ein weiterer Privilegierungstatbestand, die Freistellung selbsterzeugten Stroms von der EEG-Umlage, trifft die industrielle Eigenerzeugung, gegen deren Wegfall BDI, VIK und andere Verbände Sturm laufen. Gerade hier ist sehr schön zu besichtigen, wie Gabriel das Ziel verfolgt, nicht nur einer Seite auf die Füße zu treten.

Einer der Hauptkritikpunkte am bisherigen EEG wird allerdings nicht aufgegriffen – ein schwerwiegendes Versäumnis! Dabei handelt es sich um den Ausgleichsmechanismus des EEG, der seit 01.01.2010 dazu führt, dass die ÜNBs aufgenommenen und vergüteten EE-Strom nur noch über den börslichen Spotmarkt verkaufen dürfen. Dieser neue finanzielle – im Unterschied zum vorher geltenden physikalischen – Ausgleichsmechanismus führt dazu, dass der Spotmarktpreis auf 40 Euro/MWh gesunken ist (was die stromintensive Industrie freilich überhaupt nicht beklagt). Wettbewerbsfähig ist bei diesem Spotmarktpreis nur der Strom aus abgeschriebenen Braun- und Steinkohlekraftwerken. Verkehrte Welt: Ausgerechnet der EE-Strom führt zu einer Renaissance der Braunkohleverstromung. Der deutsche CO2-Ausstoß ist im vergangenen Jahr wieder gestiegen! Eine Revision dieses Mechanismus war daher überfällig – und die Eckpunkte nehmen sich des Problems nur mit der Ankündigung der verpflichtenden Direktvermarktung an, aber nicht mit einer schnellen Revision des Ausgleichsmechanismus.

Wie dieser aussehen könnte, hat bereits Leprich – in ZNER 2013, 101 – dargestellt. Danach müssen alle Stromvertriebe im Wege der „physikalischen Echtzeitwälzung“ Vermarkter des EE-Stroms werden. Dafür spricht, dass sie eben tatsächlich auch Stromhändler sind und die erforderlichen Ausgleichsmaßnahmen marktlich organisieren können, etwa Speicherungen. Hierzu steuert Hölder von Clean Energy Sources in diesem Heft einen sehr interessanten Aufsatz bei.

An dieser Stelle wird auch ein Grundproblem der Vermarktung sichtbar: Wer wird in die Pflicht genommen? Entscheidet man sich allein für die Direktvermarktung, sind es die Anlagenbetreiber, die dafür gar nicht gerüstet sind, oder sind es die Vertriebe, die das alles viel besser können. Dieser Konflikt wurde auf dem abschließenden Podium der Berliner Konferenz deutlich, und zwar in der Diskussion zwischen dem VKU-Vertreter Fabian Schmitz-Grethlein und Thomas Carstensen vom Wirtschaftsverband Windkraftwerke (WVW). Der WVW plädiert für einen „Masterplan für die Energiewende“ (ZNER 2013, 581, sehr interessant).

Ein weiteres, großes Problem ist das immer deutlicher werdende Scheitern des europäischen Emissionshandelssystems, das auf einem Umweg den Erfolg des EEG teilweise wieder zunichte macht. Denn das EEG verringert den Bedarf an Emissionszertifikaten, die aber im Übermaß am Markt sind und bisher nicht entschieden verringert werden. Cornelia Ziehm, Mitglied der Redaktion dieser Zeitschrift, plädiert daher für nationale CO2-Standards.

In eigener Sache: Das Redaktionsteam der ZNER freut sich über Verstärkung: Thorsten Müller ist an Bord, Vorsitzender des Vorstands der Stiftung Umweltenergierecht, Würzburg, Experte für das Recht der EU (in diesem Heft mit einem einschlägigen Aufsatz). Darüberhinaus freut die ZNER über eine ungemeine Bereicherung des Wissenschaftlichen Beirats; Stichwort Interdisziplinarität: Prof. Dr. Edmund Brandt, Braunschweig, Jurist und Politikwissenschaftler, war Präsident der Technischen Hochschule Clausthal und hat sich in den letzten Jahren explizit den Umsetzungsproblemen der Energiewende zugewandt. Prof. Dr. Lorenz Jarass, Hochschule Rhein-Main, Wiesbaden, ist Ökonom, engagierter Kritiker des Systems der Unternehmensbesteuerung und ebenfalls engagiert in den Planungsproblemen der Energiewende (s. ZNER 2013, 572), Prof. Dr. Uwe Leprich, Vorsitzender des Saarbrücker IZES, als Ökonom jedem Insider bekannt für innovatives Denken.

Und schließlich verstärken den Herausgeberkreis Sylvia-Pilarsky-Grosch, Präsidentin des Bundesverbandes WindEnergie e.V., und Dr. Ing. Eh. Fritz Brickwedde, Präsident des Bundesverbandes Erneuerbare Energie e.V. (BEE). Dafür scheiden Hermann Albers und Dietmar Schütz aus.

Peter Becker

 
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